Bei The Markets, der Auftaktkonferenz der Frankfurter Buchmesse, stehen wie im vergangenen Jahr sieben internationale Märkte im Fokus. Im Vorfeld präsentiert die Frankfurter Buchmesse in Kooperation mit buchreport eine Serie, in der Experten aus den Ländern ihre Märkte vorstellen. Diesmal: Javier Celaya, Geschäftsführer und Gründer von Dosdoce.com.
Was sind die drei erstaunlichsten Fakten zu Ihrem nationalen Buchmarkt?
1. Die spanische Verlagsindustrie (Spanien und Lateinamerika) wird mit einem ungefähren Wert von 6 Mrd Euro beziffert und beschäftigt mehr als 110.000 Personen (Autoren, Verleger, Zulieferer, Buchhändler, Bibliothekare, Literaturagenten etc.). Mit mehr als 80.000 neuen Titeln jährlich ist Spanien einer der führenden Buchmärkte weltweit. Der Verlagssektor ist der primäre kulturelle Industriezweig Spaniens und stellt einen wichtigen Wachstumstreiber für das Land dar. Sein durchschnittlicher Anteil am Gesamtbeitrag der Kultur- und Kreativwirtschaft zum BIP wird auf 38,1% geschätzt.
2. Eine weitere bemerkenswerte Errungenschaft des spanischen Verlagssektors ist ein beeindruckender kultureller Pluralismus. Auch wenn es durchaus den klassischen Effekt gibt à la „ 5 große Verlagshäuser dominieren den Markt”, bietet der spanische Verlagssektor insgesamt ein diverses Bild mit 3000 unabhängigen Verlagen, bei denen alle Genres gut abgebildet sind, von der Produktion kommerzieller Unterhaltungsliteratur bis zu sehr erlesenen literarischen Werken, Sozialwissenschaften, Geisteswissenschaften, Lyrik etc. Außerdem bietet der spanische Verlagssektor seinen Lesern ein sehr vielfältiges Sortiment an übersetzten Werken aus mehr als 50 Ländern, hauptsächlich aus Frankreich, Italien, USA, dem Vereinigten Königreich, Deutschland und seit Kurzem aus arabischen und osteuropäischen Ländern.
3. In den letzten fünf Jahren haben wir eine Explosion an digitalen Innovationen in allen Bereichen des spanischen Verlagssektors erleben können, mit mehr als 100 digitalen Initiativen, die auf eine Transformation und Bereicherung des Sektors zielten. Es ist sehr positiv zu sehen, dass viele junge Unternehmer glauben, es gäbe eine vielversprechende Zukunft für verlegerische Geschäftstätigkeiten im digitalen Zeitalter. Eine engere Beziehung mit zukünftigen Unternehmern des 21. Jahrhunderts wird es seit Langem etablierten Verlagen ermöglichen, Zugang zu neuen und innovativen Produkten und Dienstleistungen zu bekommen sowie umfassendere Kenntnisse von den Vorteilen digitaler Geschäftsmodelle zu erlangen.
Was für Lehren können ausgehend von Ihrem Markt für andere Märkte gezogen werden?
Die größten Wettbewerbsvorteile der spanischen Verlagsbranche sind das Export-Know-How sowie bewährte Fähigkeiten, die Sprache als Wirtschaftsgut kommerziell nutzbar zu machen. Verkäufe nach Lateinamerika stellen 68,2% am Gesamtwert des Umsatzes mit spanischen Büchern. Spanisch ist die nach dem Chinesischen und Englischen am dritthäufigsten gesprochene Sprache der Welt. Die Größe der gemeinsamen Sprachgruppe, nämlich über 550 Mio Sprecher weltweit, erhöht den Wert dieser Sprache, da die Handels- und Transaktionsmöglichkeiten sich weltweit vervielfachen. Global gesehen gibt es mindestens 20 Mio Schüler jährlich, die Spanisch als Zweitsprache lernen. Innerhalb weniger Generationen werden 10% der Weltbevölkerung auf Spanisch als Zweitsprache kommunizieren können. Laut Angaben der Studie „2016 Spanish Markets Digital Evolution Report” von Bookwire stellt Lateinamerika auch die wichtigste Zielregion für digitale Exporte dar, mit Mexiko ganz oben auf der Liste. 37 % der von mehr als 170 spanischen unabhängigen Verlagen produzierten E-Books werden in Lateinamerika verkauft, 9% auf dem spanischsprachigen Markt der USA und 8% in Zentraleuropa (vor allem Frankreich und Deutschland). Mexiko ist für 19% der nach Lateinamerika exportierten E-Books verantwortlich, während die übrigen 18% sich auf Kolumbien, Chile, Peru und Argentinien verteilen. Diese Zahlen zeigen, wie wichtig Lateinamerika für die spanische Verlagsindustrie ist. Eine gemeinsame Sprache zu haben – das eröffnet einen riesigen Markt, der nicht nur ökonomisch, sondern auch kulturell lohnenswert ist.
Wo liegen nach Ihrer Einschätzung die Schwachpunkte Ihres Marktes?
In den letzten 5 Jahren war der spanische Verlagssektor einem dramatischen Umsatzrückgang von 40% ausgesetzt, vor allem aufgrund der Finanzkrise, aber auch wegen anderer wichtiger Faktoren wie eines drastischen Umbruchs im Konsum von Kulturgütern (Bücher, Musik, Kino etc.). Hier handelt es sich nicht einfach um einen neu einsetzenden Konjunkturzyklus, der sich normalerweise innerhalb von 3 bis 5 Jahren selbst korrigiert: Wir erleben eine Zeitenwende, die den Kultursektor tiefgreifend verändern wird. Wir erleben derzeit eine umfassende Veränderung kultureller Gewohnheiten, die das menschliche Verhalten bei Erwerb und Konsum jeglicher Art kultureller Inhalte dramatisch beeinflussen wird. Wenn die Verlagsindustrie die 900 Mio Euro Umsatzeinbußen der letzten Jahre wiedergutmachen will, müssen Branchenfachleute akzeptieren, dass Umsatzsteigerungen nicht mehr in erster Linie mit Printbüchern, sondern mit neuartigen Digital-Inhalten (Hörbücher, Transmedia Books, Fragmented E-Books etc.) und auf Grundlage noch ungeahnter Geschäftsmodelle den entscheidenden Weg zu mehr Wachstum darstellen. Wie Kultur geschaffen, zugänglich gemacht und konsumiert wird – diese Prozesse befinden sich in einer historischen Transformationsphase, ob wir das nun wollen oder nicht. In den nächsten Jahren werden Konsumenten einen bisher ungekannten Zugang zu schwindelerregenden Mengen an nutzergenerierten Informationen und Wissensinhalten haben, die eine völlige Neuorganisation des Kultursektors nötig machen werden.
Wie wird sich Ihrer Meinung nach der digitale Markt in Ihrem Land entwickeln?
Verschiedenen Quellen gemäß haben die Umsätze mit Digital-Inhalten auf dem spanischen Markt einen Anteil zwischen 6 und 10% am Gesamtumsatz. Einige Quellen zeigen weiterhin, dass in bestimmten Genres wie der „Romantic Novel“, bei Büchern für junge Erwachsene und bei Bestsellern der Anteil bis zu 25% betragen kann. Es kann überhaupt keinen Zweifel daran geben, dass digitale Inhalte auf dem spanischen Buchmarkt in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung zunehmen werden. Selfpublishing wird eine der treibenden Kräfte sein. Von vier in Spanien verkauften E-Books ist heute eins im Eigenverlag erschienen. Einige Quellen geben an, dass Selfpublishing bis 2025 bis zu 50% an den insgesamt verkauften digitalen Büchern ausmachen könnte. Spanische Verleger sind zunehmend interessiert an der Konvertierung in E-Books, mit inzwischen über 20.000 produzierten E-Books jährlich, aber Verlage müssen die Dynamiken dieser aufkommenden Geschäftsmodelle, die mit ganz neuen Variablen wie In-Content-Purchase, Gamification-Payments oder Pay-as-you-read operieren, besser durchdringen, um die notwendige digitale Transformation des Sektors anzuführen. Wenn der spanische Verlagssektor im 21. Jahrhundert eine wichtige Rolle spielen soll, dann müssen Verlage die Nutzererfahrungen des Entdeckens, Erwerbens und Lesens im Internet verbessern, wettbewerbsfähigere, an anderen Unterhaltungsoptionen ausgerichtete Preise festsetzen und die Möglichkeit bieten, Leseerfahrungen mit anderen Leuten, die ähnliche kulturelle Interessen haben, zu teilen – was übrigens nicht bedeutet, das Produkt selbst zu teilen.
Wie wäre es möglich die Beziehungen zwischen Verlagshäusern zu verbessern? Was für Veränderungen sind dafür nötig?
Spanische Verleger haben untereinander gute Geschäftsbeziehungen und die meisten nehmen an verschiedenen sektorspezifischen Verfahren teil, um ihre Produktivität zu erhöhen sowie Größenvorteile auszubauen. Die meisten spanischen Verlage nutzen z.B. DILVE, eine Plattform zur Informationsbeschaffung, die über alle verkäuflichen Bücher sowie deren wichtigste Metadaten informiert, um Sichtbarkeit auf dem Marktplatz (Buchhandel, Bibliotheksplattformen etc.) zu garantieren. Wenn Verlage gemeinsam ein dem „European Innovation Lab“ vergleichbares Innovationszentrum gründen und sich zu eigen machen würden, wäre das ideal, um sich zu unternommenen Anstrengungen und Kosten, die eigene Innovationsinitiativen bedingt haben, auszutauschen. Wie groß, klein oder spezialisiert sie auch sein mögen, jeder Verlag muss Allianzen schmieden mit verschiedenen Technologiepartnern, um im 21. Jahrhundert zu überleben. In der analogen Welt haben Verlagshäuser ihre Führungspositionen ganz allein erreicht. In der neuen digitalen Ära müssen Verlage verstehen, dass eine marktführende Position nur in Kollaboration mit Tech-Partnern erreicht werden kann.
Welcher ausländische Buchmarkt interessiert Sie persönlich?
Mexiko ist einer der Buchmärkte, die mich faszinieren. Mexiko ist der größte spanischsprachige Markt in der Welt mit über 120 Mio Menschen, gefolgt von den USA, wo der letzte Zensus über 57 Mio Menschen von spanischer oder lateinamerikanischer Herkunft gezählt hat, die regelmäßig zu Hause Spanisch sprechen, und Spanien kommt an dritter Stelle mit mehr als 45 Mio Menschen. Auch wenn der mexikanische Markt sehr stark von der Regierung und deren Produktion und Beschaffung bestimmt wird, nämlich zu mehr als 60% am Gesamtumsatz, erobern in den letzten Jahren mehr und mehr hochqualitative unabhängige Verlage ihren Platz in der Industrie. Trotz einer herausfordernden Marktumgebung ist es einer neuen Generation unabhängiger Verlage wie u.a. TRILCE, Sexto Piso, Malaletra, Editorial Pimenta, Almadía gelungen, eine Marktnische zu besetzen. Mit der Konsolidierung dieser neuen Akteure wird die lokale Verlagsindustrie belastbarer und reifer werden. Und auch die Zielgruppe der mexikanischen Leser selbst wird stets diverser.
Welchem Autor aus Ihrem Land würden Sie international Erfolg wünschen?
Ich bin ein großer Fan von Graphic Novels. Paco Roca ist einer der führenden spanischen Graphic Novels-Autoren. Das wirklich ergreifende Buch „Falten“ über die Krankheit Alzheimer und den Alltag in einem Altersheim ist eine der bekanntesten Novels. Auch wenn Übersetzungen selten und vereinzelt sind, sind Graphic Novels aus Spanien in der letzten Zeit auf den wichtigsten europäischen Comic-Märkten wie Frankreich, Deutschland und Italien immer präsenter geworden.
Javier Celaya ist Geschäftsführer und Gründer von Dosdoce.com sowie Vizepräsident des spanischen Verbandes für Digitale Zeitschriften (ARDE) und Vorstandsmitglied des spanischen Verbandes für die Digitalwirtschaft (ADIGITAL). Zudem ist er Managing Director von Bookwire für Spanien und Lateinamerika.
Die Konferenz „The Markets“ stellt am 18. Oktober sieben internationale Buchmärkte auf der Frankfurter Buchmesse vor, die von Branchenexperten aus verschiedenen Blickwinkeln analysiert werden. Ziel ist es, Geschäfte vor Ort anzubahnen sowie potenzielle Geschäftsfelder sichtbar zu machen. In diesem Jahr beleuchtet die Buchmesse die Märkte Polen, Spanien, Philippinen, Vereinigte Arabische Emirate, Brasilien, Großbritannien und Flandern & Niederlande.
Weitere Informationen über den spanischen Buchmarkt erhalten Sie in einem Whitepaper von Bookwire und Dosdoce.com, das Sie hier herunterladen können.
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