buchreport hat bei Bestsellerautoren angeklopft und gibt Einblicke in ihre Kreativitätsstätten. Elf Schriftsteller verraten, wie ihre Geschichten entstehen, welche Umgebung sie schätzen und wie diszipliniert sie an ihren Schreibtischen sitzen. Heute präsentiert Krimi-Autor Arne Dahl (Foto) seinen Arbeitsplatz:
„Im Gegensatz zu vielen anderen Schriftstellern neige ich dazu, mit dem Alter immer weniger gut organisiert zu sein. Wo es Gewohnheiten, Notwendigkeiten, Bedürfnisse gab, da ist nichts mehr. Also, so gut wie nichts. Ich brauche meinen kleinen Computer und eine schnelle Internetverbindung. Das ist im Prinzip alles.
Ich vermute, diese Verhaltensänderung hat damit zu tun, dass ich ziemlich viel reise und in verschiedenen Teilen der Welt schreibe. Diese Möglichkeit hat sich ergeben, als meine Kinder größer wurden und ich das Glück hatte, meine zweite Frau, die Fotografin Sara, zu treffen. Ihr ist es möglich, fast ebenso frei wie ich zu reisen. Wir produzieren Artikel oft gemeinsam und man kann, was die Schreibumstände angeht, wirklich nicht zu wählerisch sein, wenn man im Dschungel oder in der Wüste schreibt.
Ich habe viel nachts in einem winzigen und unheimlichen Landhaus in den Schären vor Stockholm geschrieben – manchmal bin ich noch dort, wenn ich allein sein möchte – und ich habe eine kleine Wohnung in Berlin, wo ich es liebe, umgeben von Geschichte zu schreiben.
Aber zu Hause schreibe ich am besten. Ich habe versucht, unterschiedliche Schreibwohnungen zu haben, aber das ist nie dasselbe. In meiner Wohnung auf Södermalm in Stockholm neige ich allerdings dazu, viel herumzulaufen, auf dem Sofa zu liegen oder sogar auf dem Bett, am Küchentisch zu sitzen oder in meinem Lieblingssessel, wo ich schreibe, wenn ich mich wirklich entspannt fühle.
Dennoch ist es in gewisser Weise beruhigend, ein völliges Kreativzentrum zu haben, und das ist und bleibt mein Schreibtisch. Er steht im Schlafzimmer, ziemlich schmal und voll, aber so liebe ich es. Dort gibt es die Möglichkeit, Musik zu hören und zu spielen, und dort habe ich all meine Unterlagen und andere Dinge. Ich blicke auf einen kleinen Park, über die ehemalige Gefängnisinsel Långholmen und die Brücke Västerbron hoch zwischen den Inseln Södermalm und Kungsholmen. Ich liebe das Gefühl, auf einer Insel zu sein in dieser Stadt der Inseln.
Der Schreibtisch an sich ist nichts Besonderes. Dort habe ich mein iPad (großartig, um E-Books zu lesen), meine alberne chinesische Dose, die aussieht wie ein Buch, gekauft in Peking, und natürlich meine Snusdosa (der schwedische Tabak, den man sich unter die Lippe schiebt, das kreisrunde Ding auf der rechten Seite des Schreibtischs). Mein Computer ist so klein wie möglich, damit ich ihn einfach greifen und aufbrechen kann.
Aber wirklich, nichts außer dem Computer ist notwendig. Er muss leicht und problemlos arbeiten. Alles andere ist unwichtig. Ich möchte problemlos sein. In der äußeren Betrachtung. Das Innere bleibt wahrscheinlich ziemlich problematisch.
Ich habe keine regelmäßigen Arbeitszeiten. Ich bin viel eher eine Fristen-Person – eine Sache innerhalb eines halben Jahres fertig machen, was auch immer. Es gibt langsame Abschnitte, Denkabschnitte, gefolgt von schnellen Abschnitten, Schreibabschnitten. Ich hasse die Denkabschnitte, liebe die Schreibabschnitte. Das Schreiben ist immer die Belohnung für das Denken. Schreiben ist eine musikalische, rhythmische, melodische Aktivität. Natürlich beinhaltet es auch das Denken, aber das ist eine völlig andere Art des Denkens, die man nicht planen kann. Es braucht die Zeit, die es braucht. Früher konnte ich die ganze Nacht durchschreiben. Nur daran merke ich, dass ich bald 50 werde – das kann ich nicht mehr. Außer wenn ich am Ende eines Buchs bin, bei den 100 letzten Seiten oder so. Die Intensität hält mich wach und besiegt alle Anzeichen des Alters. Der Höhepunkt meines Lebens: Die letzten 100 Seiten eines Buches.
Zu Hause schreiben zu können, ist ein Segen. Die meisten Autoren, die ich kenne, können das nicht. Sie müssen die Arbeit vom Leben trennen. Und natürlich ist es einfacher, eine klare Abgrenzung zu haben, besonders für die Leute, die einem nahestehen, aber für mich ist das ein Schwindel. Es GIBT keine Grenze zwischen Schreiben und Leben. So bleibe ich kreativ. Ich vermute, das ist mein Segen und mein Fluch.“
Arne Dahl
heißt eigentlich Jan Arnald. Die Schriftstellerei ist nicht sein einziges Betätigungsfeld. Als Jan Arnald gibt der 48-Jährige zwei Zeitschriften heraus und ist Literatur- und Theaterkritiker, außerdem arbeitet er als Herausgeber einer Literaturzeitschrift für die Schwedische Akademie, die alljährlich den Nobelpreis vergibt. Als Arne Dahl ist er der Erfinder von Inspektor Paul Hjelm, Mitglied der A-Gruppe, ein Ermittlerteam für besondere Aufträge. Inzwischen ist bei Piper Hjelms neunter Fall erschienen und einer Verfilmung der Serie steht auch nichts mehr im Wege, die Rechte wurden bereits nach Deutschland verkauft.
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