Verwaiste Werke sollen nicht mehr in Archiven verstauben: Das Europäische Parlament hat am Donnerstag die lang diskutierte Richtlinie über die digitale Nutzung verwaister Werke verabschiedet. Bibliotheken, Museen und Archive dürfen demnach Büchern, Filmen und andere Werke aus ihrem Bestand digitalisieren und öffentlich zugänglich machen, sofern die „sorgfältige Suche“ nach ihrem Rechteinhaber ergebnislos bleibt.
Die Veröffentlichung dieser Werke darf nach dem Willen der EU keinen geschäftlichen Zwecken dienen und bleibt öffentlichen Einrichtungen vorbehalten. Bibliotheken, Museen und Archive dürfen zwar Einnahmen mit verwaisten Werken erzielen, diese aber ausschließlich zur Suche und Digitalisierung einsetzen.
Der Internetkonzern Google bleibt damit außen vor und kann verwaiste Werke nicht für seine Buchsuche „Google Books“ nutzen. Aber auch andere Unternehmen, wie Kleinverlage oder Dokumentarfilmer, werden vorerst nicht auf verwaiste Werke zurückgreifen können. Die Refinanzierung von Digitalisierungsaufwänden würde dadurch erschwert, kritisiert netzpolitik.org.
Sollten die Rechteinhaber später Einspruch erheben, müssen sie für die Nutzung ihrer Werke entschädigt werden. Die Grünen monierten, dass das finanzielle Risiko, das man auf sich nehmen müsse, um ein verwaistes Werk zu veröffentlichen, noch immer zu groß sei. „Dieser Entwurf wird unserem gemeinsamen Kulturerbe nicht helfen“, erklärte Grünen-Sprecher Christian Engström aus Schweden.
Der Ministerrat der EU muss der neuen EU-Richtlinie noch zustimmen. Sie soll ab Ende 2014 gelten.
Jetzt ist die Bundesregierung am Zug
Aus Sicht der Rechtsabteilung des Börsenvereins ist der Text der EU „im Großen und Ganzen ein guter Kompromiss“. Da Richtlinien grundsätzlich durch den nationalen Gesetzgeber umgesetzt werden, sei nun die Bundesregierung gefragt.
Der Bundesregierung liegt seit 2010 ein konkreter Regelungsvorschlag zu verwaisten Werken vor, ausgearbeitet von der Deutschen Literaturkonferenz (u.a. Börsenverein, Deutsche Nationalbibliothek und VG Wort). Im Detail:
- Über einen „Suchplan“ soll der Rechteinhaber eines Werkes ermittelt werden.
- Ist der Rechteinhaber nicht auffindbar, soll die VG Wort eine Bibliothek für die Digitalisierung von den Rechten freistellen können.
- Im Gegenzug zahlt die Bibliothek eine „angemessene Vergütung“ an die VG Wort, die an einen gegebenenfalls später auftauchenden Rechteinhaber ausgezahlt wird.
- Auch für die Digitalisierung vergriffener Werke, die vor 1966 erschienen sind, soll die VG Wort künftig Lizenzen vergeben können.
Dieser Entwurf soll in das sich hinziehende Gesetzgebungsverfahren zum „Dritten Korb“ der Urheberrechtsreform einfließen.
Im Buchbereich sind verwaiste Werke nach Berechnungen des Börsenvereins selten: Nur bei weniger als 5% der urheberrechtlich geschützten Werke in Bibliotheksbeständen liegen die Verlagsrechte nicht bei einem noch existierenden Verlag. Relevanter sei der Fall vergriffener Werke, bei denen der Verlag keine Online-Rechte besitzt und/oder den Kontakt zum Autor verloren hat. Auch für diesen Fall hat die Deutsche Literaturkonferenz Lösungsvorschläge erarbeitet.
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