Nicht nur in Deutschland üben Buchhändler den Schulterschluss, um gemeinsam in eigener Sache zu werben. In Wien haben sich 45 Buchhandlungen unter dem Moto „Ihr Buch hat ein Gesicht“ zusammengeschlossen.
Die Wiener Buchhandlungen bieten soviel mehr als man in ihren Schaufenstern und Regalen erkennen kann. Das einmalige Vertriebsnetz des deutschsprachigen Buchhandels ermöglicht es jeder Wiener Buchhandlung jedes lieferbare Buch aller Interessens- und Wissensgebiete meist innerhalb von 24 Stunden zu besorgen. (…)
Buchhändlerisches Wissen ist nicht durch Datenbanken zu ersetzen. Buchhändler (…) recherchieren täglich, um die unterschiedlichsten und originellsten Kundenwünsche erfüllen zu können. (…) Im Buchhandel gilt: Groß bedeutet nicht billiger. Da für deutschsprachige Bücher ein gebundener Ladenpreis gilt, gibt es keine Preisunterschiede, egal ob Sie bei einer großen oder einer kleinen Buchhandlung oder bei einem Online-Anbieter einkaufen.“ (…)
Jeder Buchkauf bei einem Wiener Betrieb ist ein vielfacher Gewinn für die Stadt und ihre Bewohner, da Buchhandlungen Steuern zahlen, das Kultur- und Straßenleben bereichern und das Stadtbild beleben. (…) Für Käufer ist durch den Kollektiv-Vertrag des Handels, nach dem Buchhändlerinnen und Buchhändler entlohnt werden, Fair Trade garantiert.“
Mehr zum Thema „Buy Local“ finden Sie in einem Dossier.
Ganz ehrlich, ich habe nichts gegen diese buy local Aktionen, schließlich fordern diese, dass der Buchhandel nun auch endlich unter Beweis stellen muss, worin seine besondere Qualität gegenüber anderen Buchbezugsquellen tatsächlich besteht.
Beratung, ja, das ist schon etwas. Aber auch hier mal ganz ehrlich, gehts da nicht ein wenig genauer . . . sonst denke ich da immer an den Apotheker, der mir als Kunden versucht zu erklären, das die Medikamente und Mittelchen, an denen er besonders gut verdient, besser sind, als das vielleicht wirkungsvollere Hausmittel. Welche Beratung braucht ein halbwegs netzaffiner Leser denn tatsächlich? (die Frage meine ich gar nicht rethorisch, denn immerhin bekommt der Buchkäufer, der sich nicht im Buchhandel „beraten“ lässt, sondern über die vielen Möglichkeiten im Netz, auch die Bücher vorgeschlagen, die ihm der beratende stationäre Buchhändler – ungeachtet der tatsächlichen Qualität des jeweiligen Werkes – schlichtweg vorenthält, die Bücher der Selfpublisher beispielsweise (die eben nicht zur täglichen Recherche für den Kunden gehören).
So sehr ich den stationären Buchhandel auch schätze. Aber das mit dem Fair Trade ist schon eine ziemlich abgefahrene Marketingmasche. Fair Trade bedeutet in der Regel, dass der Händler dafür steht, dass die Produzenten der von ihm vertriebenen Waren nicht ausgebeutet werden. Die Produzenten von Büchern sind aber – sorry, dass das Buchhändlern immer noch gesagt werden muss – als erstes die Autoren! Und diesen Produzenten gegenüber Fair Trade zu betreiben müsste eigentlich auch bedeuten, Sellfpublishern faire Chancen im stationären Buchhandel einzuräumen, von Verlagen, die ihre Backlistautoren nicht fair behandeln auch keine Bestseller im Sortiment zu führen und so weiter. Das wäre das Gegenmodell, das den Aufruf zum Amazon-Boykott eigentlich erst glaubwürdig macht. Da gehört der Begriff Fair Trade im Buchhandel eigentlich hin. Die propagandistische Verwendung dieses ganz wichtigen Begriffes für einen Marketing-Seitenhieb auf die Amazon-Zeitarbeiter-Affäre zeigt für mich, wie wenig ehrlich die Aufregung um die (tatsächlich in der Wirtschaft allgegenwärtige) Ausbeutung von Arbeitskräften bei Amazon aus interessierter Ecke wirklich ist. Um es ganz klar zu sagen: Wer tatsächlich etwas zu bieten hat, sollte das Leid anderer Menschen nicht dazu verwenden, sein eigenes Süppchen zu kochen.
Und nicht zuletzt: Groß bedeutet wirklich nicht billiger, aber klein bedeutet auch nicht zwingend besser. Ich würde mich tatsächlich freuen, wenn es den Stationären Buchhandel auch weiterhin geben würde. Ob das aber durch „Parolen“ erreicht wird, die sich (mit Ausnahme des skurrilen Fair Trade-Verständnisses) überhaupt nicht von den seit Jahrzehnten gegetsmühlenartig vorgetragenen Argumenten des stationären Fachhandels, welcher Branche auch immer, unterscheiden, mag dahingestellt bleiben.
Als wirklicher Fan von Buchhandlungen finde ich diese platten Marketingkampagnen zum . . . . Ich würde mir wünschen, statt einer im Einzelfall überflüssigen „Beratung“ beim Stöbern einfach mal ne Tasse Kaffe zu bekommen und vielleicht zufällig dabei auf einen Autor aus meiner Region zu stoßen und mit ihm zu plaudern (ohne dass das gleich ein riesiges Verkaufsevent sein muss) – selbst wenn es mal ein Indie ist. Mit anderen Worten: Sorgt dafür, dass der Besuch im Buchladen wirklich zum Erlebnis wird, dann klappts auch wieder mit dem Umsatz und man ist nicht auf hohle Marketingsprüche angewiesen.
Stellt doch einfach mal coole Buchläden (ich weiß dass es die gibt) mit einem ansprechenden Konzept und ein paar neuen Ideen vor. Das ist wesentlich werbewirksamer, als das Klopfen von Sprüchen, hinter denen keine andere Botschaft steckt als: Wir wollen, dass alles so bleibt wie es ist und wenn sich auch ständig die ganze Welt ändert, wir nicht!!!
Die Einwände sind
grundsätzlich richtig – aber abstrakt und laufen darum ins Leere. Vor allem der
Versuch, durch unterschobene Sozialromantik die Kampagne zu diskreditieren,
greift nicht – das beginnt schon bei der unsachgemäßen Vermischung zweier
völlig unromantischer Konzepte. „Buy local“ ist ein Kurzformel, die
darauf abzielt, erstens die eigenen Einkäufe möglichst im näheren Umfeld zu
tätigen, um den damit erzeugten Unternehmensgewinn nicht an Firmen abfließen zu
lassen, die kein Interesse daran haben, ob und welche Geschäfte es vor Ort
gibt; zweitens zielt die Kurzformel darauf, die mit den Umsätzen und Gewinnen
erwirtschafteten Steuern den Gebietskörperschaften zufließen zu lassen, in
denen die Konsumentinnen und Konsumenten leben. „Buy local“
formuliert also das Interesse von Kundinnen und Kunden, dass der von ihnen
bezahlte Mehrwert auch in ihrem – mehr oder weniger weit gefassten – Umfeld verwertet
und so ihnen indirekt auch wieder zugute kommt. „Fair trade“ ist dagegen eine
Kurzformel, die auf die Produktions- und Distributionsverhältnisse abstellt und
einfordert, dass hier nicht zugunsten eines möglichst niedrigen Endpreises
untragbare Arbeitsverhältnisse herschen oder durch Preisdumping
Produktionsmöglichkeiten torpediert werden. „Buy local“ zielt also auf die
Gewinnverwertung, „Fair trade“ auf die Gewinnerzeugung, es handelt sich um
völlig verschiedene Kritikpunkte. „Ihr Buch hat ein Gesicht“ lässt sich zwar in
eine Reihe mit den verschiedenen „Buy local“-Aktionen stellen, hebt aber vom
Konzept her gerade auf ein Argumentationsbündel ab – und verkürzt darum gerade
nicht die Argumentation im Sinne einer „Heile-Welt“-Rhetorik. Dieses
Argumente-Bündel zielt in
Volksökonimischer Sicht auf die Argumente der sinnvollen Gewinnverwertung und
verstärkt sie durch die Argumente der besseren, weil effizienteren Leistung.
Nirgendwo wird ja platt behauptet, kleiner sei besser. Dass buchhändlerische Kompetenzen
nur romantisierend verkürzt als Wissensvorsprung vor den Kundinnen und Kunden
überhöht wird, wird sicher auch niemand bestreiten, der noch Kontakt zur
Wirklichkeit hat. Darum stellt „Ihr Buch hat ein Gesicht – Wiens Buchhandel hat
viele“ auch nicht einen standartisierten Buch-Einzelhändler vor, sondern ist
eine Plattform, auf der zum Teil völlig unterschiedliche Buchhändlerinnen und
Buchhändler sich und ihre Buchhandlungen präsentieren – und dabei im Übrigen
auch untereinander im Wettbewerb stehen. Hier wird es also darauf ankommen, die
jeweiligen Argumentationsbeiträge zu diskutieren, die von den einzelnen
Gesichtern vorgetragen werden. Wir haben z.B. unsere Sicht auf unserem Blog –
fürs erste – vorgestellt, und zwar bewusst im Rahmen eines Blogs, weil wir uns für
diese Diskussion gerüstet sehen. In Buchhandlungen mit einem Gesicht zu kaufen,
ist eine Win-Win-Situation für Kundinnen, Kunden, Buchhändlerinnen und
Buchhändler, denn zumindest die 45 hier versammelten können alles – nur etwas
besser.
http://www.loewenherz.at/blog/…
Veit Schmidt,
Buchhandlung Löwenherz, 1090 Wien