Ein ist ein Stück E-Book-Geschichte: Das International Digital Publishing Forum (IDPF) als Standardisierung-Organisation für Epub und das World Wide Web Consortium (W3C) als Schirmherr über Web-Technologien haben sich zusammengeschlossen, um E-Book- und Webstandards gemeinsam weiterzuentwickeln und auch die Grundlagen für die Offline-Lektüre von Webinhalten zu schaffen.
In welchem Format werden wir also lesen? Werden E-Reader irgendwann nicht mehr gebraucht, weil die Leser mit dem Web-Browser von PC, Tablet und Smartphone auf alle Publikationen zugreifen können? Und was bedeutet das für die Geschäftsmodelle der Verlage?
Felix Sasaki arbeitet beim Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und ist in diesem Rahmen auch Ko-Leiter des deutsch-österreichischen Büros des W3C. Im Interview berichtet er, wie weit die neuen Organisationsstrukturen im Zuge des Zusammenschlusses mit dem IDPF gediehen sind und wagt einen Blick in die Zukunft des digitalen Publizierens.
Felix Sasaki stellt die organisatorischen und technisch-inhaltlichen Aspekte der W3C-Arbeit ausführlich beim Bookwire Publishers Day am Donnerstag, 27. April, in Frankfurt vor.
Die Veranstaltung richtet sich an die Verlagskunden von Bookwire, sie findet zum dritten Mal im Literaturhaus Frankfurt statt. Für den Tag geplant ist ein facettenreiches Programm mit Keynotes, Workshops und Diskussionsrunden sowie viel Zeit zum Netzwerken und Kennenlernen. buchreport begleitet den Tag als Medienpartner.
Herr Sasaki, wie firm ist das W3C im digitalen Publizieren?
Das W3C ist seit 2013 im Bereich digitales Publizieren aktiv, aber bisher haben wir keine eigentliche Standardisierung betrieben, sondern umfangreiche, technische Anforderungen fürs digitale Publizieren sondiert. Der Zusammenschluss von W3C und IDPF erfolgte auch, weil jetzt echte Standardisierung sinnvoll ist. Dazu entsteht in den kommenden Monaten eine Digital Publishing Working Group, also eine W3C-Gruppe, deren Ziel es ist, Technologien unter dem temporären Arbeitslabel „Web Publication“ zu entwickeln.
Es wird übrigens auch diskutiert, ob Web Publication gleich einer Weiterentwicklung von Epub sein sollen. Das Hauptziel liegt darin, digitale Publikationen im Web genauso zu rezipieren wie andere Webinhalte. Dabei müssen wir sicherstellen, dass das bestehende Geschäftsmodell der Verlage weiterhin funktioniert, d.h. dass sie ihre Inhalte als ein Werk vermarkten können, während sie gleichzeitig wie im Web nativ zugänglich sind. Aktuell ist das technologisch noch nicht möglich.
Wieso ist es von Vorteil, wenn die Entwicklung und Standardisierung gemeinsam mit der Webcommunity diskutiert wird?
Geräte wie E-Reader basieren letztlich auf den Basistechnologien, die auch im Browser zum Einsatz kommen. Für Verlage ist es von Vorteil, wenn sie hier ihre Anforderungen einbringen, denn wenn sie es nicht tun, besteht die Gefahr, dass beispielsweise Online-Offline-Anwendungen für andere Bereiche gut funktionieren, für ihre eigenen Inhalte aber nicht.
Epub ist auch so ein Fall: Es wird teilweise kritisiert, weil es keine allzu große Abdeckung hat. Die Ursachen liegen aber nicht im Standard selbst, sondern in den Lesegeräten, die nicht unbedingt alles abdecken, was Epub definiert. Und die Inhalte-Produzenten wiederum nutzen nicht die Merkmale, die ihnen der Standard bietet. Das ist ein kleiner Teufelskreis, den wir brechen können, wenn sich alle zusammensetzen mit denjenigen, die die Basistechnologien, also die Browser Engines, entwickeln.
Wie engagiert sind die Verlage?
Einige Verlage, darunter Wiley, Hachette und Pearson, sind schon seit 2013 im W3C. Für andere Verlage ist es jetzt eine gute Gelegenheit, teilzunehmen und sicherzustellen, dass die Anforderungen aus der Verlagsindustrie bei der Standardisierungsarbeit eingebracht und berücksichtigt werden.
Wie sieht es konkret bei deutschen Verlagshäusern aus?
Das Feedback ist in Deutschland aktuell eher abwartend. Ein Grund sind die organisatorischen Unklarheiten. Wenn man bislang an Epub gedacht hat, hat man an das IDPF gedacht. Jetzt passiert alles im großen W3C, und wir müssen viel Aufklärungsarbeit leisten, etwa um deutlich zu machen, dass bei der Standardisierungsarbeit jedes Mitglied gleiches Stimmrecht hat. Große Player wie Google können kleine Firmen also nicht einfach überstimmen. Aber es gibt auch inhaltliche Unklarheiten: Die Verlage fragen sich, was jetzt passieren soll.
Können Sie einige Themen nennen, die auf Ihrer Agenda stehen?
Ein wichtiger Bereich ist der Online/Offline-Zugang zu den Inhalten. Hier sind – und das ist das spannende – unabhängig vom Bereich des digitalen Publizierens Technologien im W3C entwickelt worden, weil natürlich auch andere Communities offline mit Inhalten arbeiten wollen. Dort sollen jetzt auch die Anforderungen des digitalen Publizierens eingebracht werden.
Für Fach- und Wissenschaftsverlage kann wiederum auch die Annotations-Standardisierung interessant sein. Damit lassen sich Werke auch mit maschinenlesbaren strukturierten Daten annotieren. Bei Geschichtsbüchern könnten das etwa Informationen zu Personen sein. Das ermöglicht es dem Nutzer mit den Inhalten zu interagieren, indem er Fragen über Text- oder Audioeingabe formuliert. Aus den strukturierten Daten werden die Antworten erzeugt.
Bei Suchmaschinen ist das aktuell ja schon der Fall, aber Content-Lieferanten profitieren davon nicht. Betten sie solche strukturierten Daten aber in die eigenen Inhalte ein, kann das einen Mehrwert bedeuten, der für ein Geschäftsmodell relevant ist. Beispielsweise könnten so Lerninhalte frei oder günstig verfügbar gemacht werden, und die Services, die auf strukturierten Daten aufbauen, noch einmal separat bepreist werden.
Wichtig bei all diesen Themen ist: Es geht nicht darum, eigene Technologien fürs digitale Publizieren zu entwickeln, sondern sicherzustellen, dass die Technologien, die im Web entwickelt werden, sich auch für das digitale Publizieren eignen. Es gibt beispielsweise bereits einen Annotationsstandard, der vor einigen Monaten fertig geworden ist, aber wir haben keine Erfahrung, wie man ihn mit Epub anwendet oder mit dessen – noch zu entwickelnden – Nachfolger. Im Idealfall werden neue Features in vielen Browsern unmittelbar unterstützt, sodass Verlage keinen Implementationsaufwand haben und der Leser keine Spezialgeräte mehr mit der passenden Software kaufen muss.
Wenn die Zukunft des digitalen Publizierens im Web liegt und irgendwann alle im Browser lesen, werden E-Reader dann überflüssig?
Das glaube ich nicht. Ich denke, es wird weiterhin Lesegeräte geben, aber sie werden dann auf spezielle Zielgruppen und Bedürfnisse zugeschnitten sein. Denkbar sind Geräte, die sich besonders für den Review-Prozess im wissenschaftlichen Bereich eignen oder Geräte, die die Interaktion im Lernprozess besser unterstützen als das der Browser als Allrounder kann.
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