buchreport

Frankfurter Datensauger

Wer große Worte wählt, an den werden große Erwartungen herangetragen. So an die Börsenvereins-Tochter MVB, die mit VlB+ die „zentrale Datenbank für Metadaten und Marketing-Informationen aller deutschsprachigen Buch-, E-Book- und Hörbuchtitel“ aufbauen – und die Megadatenbank am liebsten direkt auch ins Ausland lizenzieren möchte. Kurzum: VlB+ ist wohl das wichtigste Projekt der Verbandsgeschichte, mit ihm steht und fällt der künftige Erfolg der MVB, vielleicht des gesamten Börsenvereins.

Doch um den hohen Erwartungsdruck zu meistern und die hochgesteckten Ziele zu erreichen und um mit der einstigen reinen Titeldatenbank möglichst rasch auf Masse zu kommen, setzt die MVB nicht ganz saubere Methoden ein. So zumindest der Verdacht einiger Verlage, die sich wundern, dass zentrale Assets wie Leseproben, aber auch komplette E-Books im aufgebohrten VlB+ zu finden sind, ohne dass die Verlage diese Assets selbst oder durch ihre Dienstleister in die Datenbank überführt hätten. Hintergrund ist die enge Verzahnung des VlB mit Libreka, die auch nach dem Verkauf der E-Book-Auslieferung an den E-Book-Dienstleister Zeilenwert im September 2015 noch besteht.

Libreka und VlB technisch verzahnt
Rückblick: Im Zuge der zahlreichen Neupositionierungen von Libreka fokussierte sich die Plattform nach der Aufgabe des Endkundengeschäfts und der am Fall Netto geplatzten White-Label-Fantasien primär auf die Auslieferung von E-Books im In- und Ausland, im direkten Wettbewerb zu Akteuren wie Readbox und Bookwire. Fortan entwickelten sich mitunter vielschichtige Lieferbeziehungen, bei denen die Digitaldistributeure selbst teilweise Libreka ansteuerten, um die Titel ihrer Verlage in die Shops von Libri, Mayersche oder Osiander zu bringen, sei es, weil die Konditionen vergleichsweise günstig waren oder die Verlage dem Verband einen Gefallen tun wollten. Metadaten und Assets wie E-Book-Dateien wurden der MVB-Tochter dabei quasi zur Weiterleitung an die Shops zur Verfügung gestellt – und landeten, wie vielen Verlagen erst jetzt klar wird, automatisch im VlB.

Auf Nachfrage von buchreport verweist MVB-Chef Ronald Schild auf eine Besonderheit des VlB-Libreka-Konstrukts: Neben der geschäftlichen Verknüpfung – die VlB-Gebühren haben den E-Book-Dienstleister am Leben gehalten – gibt es eine technische Verzahnung: Libreka und die MVB greifen demnach auf einen „zentralen Asset-Store“ zu, in dem alle Dateien zur Auslieferung an Libreka und/oder das VlB gespeichert sind. Heißt konkret: Libreka verfügt(e) nie über eine eigene Metadatenbank, sondern war nur eine Art Verwaltungssystem von E-Book-Dateien, die selbst aber mitsamt der Metadaten im VlB lagen und auch nach dem Verkauf von Libreka an Zeilenwert noch immer liegen.

Durfte die MVB auch Libreka-Assets speichern?
Kein Problem, sagt die MVB: Voraussetzung für eine Auslieferung über Libreka „ist nach wie vor eine Titelmeldung im VlB“, weshalb der MVB zwingend alle Metadaten der MVB-Titel vorlägen. Durch die verpflichtende Meldung an das VlB seien den Verlagen auch „alle Sachverhalte der Datenspeicherung bekannt“. Dazu zählt, dass die MVB auf Basis der für Libreka vereinnahmten E-Books auch Leseproben für VlB+ generiert.

Ein Vorgang, der dagegen von mehreren Digitaldistributeuren (die sich nicht öffentlich äußern möchten) aktuell kritisch hinterfragt wird. In der Vergangenheit seien VlB-Meldungen keine Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Libreka-Auslieferungsdienste (als digitales Barsortiment) gewesen, dennoch seien offenbar neben den Metadaten auch die Assets der betroffenen Verlage im VlB gelandet, ohne deren Wissen und, so die Einschätzung der Digitaldistributeure, ohne vertragliche Grundlage.

Umso größer sei die Verwunderung bei den Verlagspartnern gewesen, als die MVB teilweise auch Rechnungen für die eigenmächtig vorgenommene Vereinnahmung der Daten ins VlB verschickt habe (was die MVB gegenüber buchreport bestreitet). Nicht nur bei den Verlagen der Libreka-Anlieferer, sondern auch bei Konkurrenten der Verbands-Metadatenbank sorgt das Datensaugen des Frankfurter Börsenvereins-Unternehmens für Verstimmung, weil sich die MVB auf diesem Weg einen Wettbewerbsvorteil verschafft haben könnte.

Libreka soll vom VlB getrennt werden

Bei Zeilenwert in Rudolstadt arbeitet man unabhängig davon an der Zukunft von Libreka und an der Trennung vom VlB:
  • Man werde die „historisch bedingt enge Verzahnung mit dem VlB schon aus technischen Gründen in der Zukunft auflockern und auch lösen“, so Geschäftsführer Thorsten Schreiber im Gespräch mit buchreport.
  • Die vorhandenen Libreka-Systeme würden voraussichtlich durch neue eigene Systeme ersetzt. Einen festen Zeitplan gebe es dazu noch nicht.
  • Künftig seien VlB-Meldungen keine Bedingung mehr für die Nutzung des Libreka-Auslieferungsdienstes.
  • Die Assets der Libreka-Verlage würden nach der geplanten Entflechtung aus dem VlB genommen.

aus: buchreport.express 44/2015

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