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Dramatische Logistik-Probleme

Die Meldung über die große Nachfrage nach dem Debattenbuch „Die vierte Gewalt“ von Richard David Precht und Harald Welzer hat viele Buchhändler frustiert. Pop-Philosoph Precht und der Soziologe Welzer haben sich mit ihrem neuen Buch, befeuert durch einem Auftritt in der TV-Talkshow von Markus Lanz, auf Platz 1 der SPIEGEL-Sachbuch-Bestsellerliste geschoben. Nur: Manche Buchhändler haben das offiziell bereits mit Erstverkaufstag 28. September erschienene Buch bisher noch gar nicht gesehen.

Die neuen SPIEGEL-Bestseller: Precht und Welzer direkt auf Platz 1

Bestseller im Filialbuchhandel: „Die Vierte Gewalt“ startete bei großen Händlern als Stapelware (Foto: buchreport)

Die Marktführer Amazon und Thalia, aber auch andere größere Anbieter wie Hugendubel, Weltbild und der Berliner Handels-Leuchtturm Dussmann verkaufen das 22-Euro-Hardcover dagegen offenbar gut und sind auch am 10. Tag nach Erscheinen (7.10.) online lieferfähig und (nach Stichproben) auch in vielen Läden gut bevorratet. Laut Marktdaten sind zum Start bereits ca. 15.000 Exemplare des Debattenbuchs verkauft worden. „Wie kann es sein, dass große Teile des inhabergeführten Buchhandels das Buch noch nicht haben?“, fragt ein Buchhändler und erfährt von einer Verlagsaußendienstlerin: „Sie sind nicht die einzigen Leidtragenden.“   

Grundsätzlich besteht gar kein Mangel an gedruckten Ausgaben des Precht/Welzer-Bändchens. S. Fischer-Sprecher Martin Spieles versichert: „Wir haben genügend Exemplare gedruckt und am Lager, auch die Fakturen sind nach Plan gelaufen.“ Tatsächlich gebe es aber Probleme vor allem „bei einem Dienstleister“ beim Thema Transport, beziehungsweise Weitertransport. „Wir sind selbst in höchstem Maße unglücklich über die Situation, die übrigens nicht nur die S. Fischer-Verlage betrifft, das wissen viele Buchhandlungen aus leidvoller Erfahrung. Die Logistikkrise in unserer Wirtschaft trifft auch Lieferketten der Buchbranche dramatisch.“

Zeitfracht bekennt Lieferprobleme

Der Großhandel ist derzeit offenbar gar nicht lieferfähig: Meldenummer 15 – also: „Fehlt kurzfristig am Lager“. Namentlich Zeitfracht, wundert sich ein Buchhändler gegenüber buchreport, melde sogar die Nummer 21 – „Noch nicht erschienen“. Tatsächlich war „Die Vierte Gewalt“ in Zeitfrachts Buchkatalog.de (und damit auch in den angeschlossenen Buchhändler-Shops) auch noch am Freitagmorgen (7.10.) mit dem Hinweis ausgewiesen „Der Titel erscheint laut Verlag Okt 2022“, ist also scheinbar noch gar nicht am Markt.

Im Buchhandel wird vor allem die Zeitfracht-Logistik kritisiert. Ende September hatten die Zeitfracht-Geschäftsführer Thomas Raff und Jan Sinram bei ihren Handelskunden bereits um Verständnis geworben „für die aktuelle Lage in diesen besonderen Zeiten“. Im Zeitfracht Transport-Partnernetzwerk und auch in der eigenen Transportorganisation hätten sich vermehrt krankheitsbedingte Ausfälle ergeben. Aufgrund der allgemeinen angespannten Gesamtsituation im Transportsektor habe nicht immer sofort ein entsprechender Ersatz zur Verfügung gestanden. Und es werde einige Tage dauern, um zusätzlich akquirierte Transportkapazitäten zu integrieren.

Dass Großabnehmer und namentlich Thalia-Filialen beliefert wurden, wird in diesem Zusammenhang im unabhängigen Buchhandel besonders kritisch gesehen: Anfang des Jahres war bekannt geworden, dass Zeitfracht die Logistik des Marktführers übernommen hat, sowohl Verlagsbeischlüsse transportiert und auch die Anlieferungen in das Thalia-Zentrallager und die Feinverteilung in die einzelnen Filialen unternimmt. Dort sind offenbar auch genügend Exemplar des neuen Bestsellers von Precht und Welzer vorhanden.

Thalia setzt künftig auf den Bücherwagendienst von Zeitfracht

Verlage suchen nach Lösungen

Weil die Buchkonjunktur ohnehin schwächelt (hier die aktuellen September-Zahlen), sind Buchhändler und Verleger jetzt besorgt, dass die herbstliche Hochsaison bereits in der Lieferkette weiter ausgebremst wird.

Bei S. Fischer, wo das Problem jetzt auf Grund der prominent gestörten Bestseller-Auslieferung besonders schmerzlich sichtbar geworden ist, arbeiten der Vertrieb und das Holtzbrinck-Dienstleistungsunternehmen HGV „mit Hochdruck und absoluter Priorität an Lösungen für die Kunden im Buchhandel“, heißt es nach einer Krisensitzung am Donnerstag. Die körperliche Auslieferung erfolgt beim Partner Sigloch in Blaufelden. Sofern die Abholung gewährleistet ist. 

Kommentare

3 Kommentare zu "Dramatische Logistik-Probleme"

  1. Ich habe gerade ein Buch veröffentlicht und wurde von meinem Verleger angeraten Marketing zu betreiben. Ich verlinkte Thalia mit meinen Social Media Aktivitäten und es gingen viele Bestellungen für das Buch ein. Worauf dann Wochen später alle Bestellungen storniert wurden, weil keine Bücher geliefert worden waren. Jetzt bin ich gar nicht mehr gelistet, weder bei Zeitfracht, noch bei Thalia. Das ist finanziell für mich eine Katastrophe und die Beschwerden meiner Käufer nehmen zu.

  2. Sehr geehrte Frau Lange, es ist tatsächlich so das krankheitsbedingt Personal fehlt in allen Bereichen. Das übriggebliebene Personal muss schon für 3 arbeiten, mehr kann man nicht verlangen! Wenn keine Leute da sind die LKWs be und entladen durch Staplerfahrer, wie soll es dann auch voran gehen. Und das ist nur ein Beispiel, es klemmt überall. Aber sie sind recht herzlich eingeladen sich freiwillig als Helferin zur Verfügung stellen.

  3. Danke für diesen Artikel! Insgesamt stellt sich beim stationären Buchhandel allmählich ein Völlegefühl ein beim steten Verweis der Firma Zeitfracht auf die „derzeitige Situation“, die schon während der gesamten Coronazeit hat herhalten müssen. Irgendeine Situation ist ja immer, gell. Aber müssen wir Buchhändler – und ganz nebenbei auch der Mitbewerber Libri – nicht auch unsere Hausaufgaben machen und haben diese gemacht – ja, auch in „Situationen“? Ein fader Beigeschmack übrigens auch bei dem Hinweis der Firma Zeitfracht auf „schwer einzukalkulierendes Bestellvolumen“. Joah. Schulbücher im Schulbuchgeschäft. Novitäten im Herbst. Schwer vorherzusehen, in der Tat. Wir helfen gern, lieber Dienstleister: Im November droht erneut ein erhöhtes Bestellaufkommen der kapriziösen Buchhändlerschaft, diesmal, wenn die Autorin dieses Kommentars sich recht entsinnt, wegen irgendeines hohen christlichen Festes. Im jüngst ins Postfach geflatterten Entschuldigungsbrief der Firma Zeitfracht war zu lesen, dass man uns um Nachsicht und Geduld bittet, „wenn es auch in Zukunft einmal nicht funktionieren sollte“, und dass „zu befürchten (ist), dass diese Entwicklungen leider auch vor der Buchbranche nicht gänzlich haltmachen werden.“ Ein fröhliches Prosit auf diesen selbst ausgestellten Freibrief fürs so-weiter-Machen!

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