Man geht allgemein davon aus, dass die großen Bestseller-Erfolge von Johann Wolfgang von Goethe schon ein wenig länger zurückliegen. Aber in der vergangenen Woche wurde sein 1787 veröffentlichtes Drama „Iphigenie auf Tauris“ (in der Textausgabe von Westermann) öfter verkauft als „Hummeldumm“.
Den Erfolg verdankt das Werk dem Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen: Die „Iphigenie“ ist in dem bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland nach den Vorgaben für das Zentralabitur Pflichtlektüre im Fach Deutsch. Im Buchhandel sorgte der im doppelten Wortsinn dramatische Nachfrageschub allerdings für Frust-Erlebnisse: Vielerorts mussten Schüler und Eltern mit leeren Händen weggeschickt werden. Besonders ärgerlich: Dem großen Frust bei vielen Kunden über die unerwarteten Scherereien beim Beschaffen der Pflichtlektüre stehen beim Buchhandel kleine Margen gegenüber.
Die als Schullektüre gängigen Textausgaben sind durchweg niedrigpreisige Artikel. Beispiele:
- In der Version von Westermann etwa kostet die „Iphigenie“ 4,95 Euro,
- für die gelbe Reclam-Ausgabe des Dramas müssen Kunden 2 Euro zahlen,
- als Hamburger Leseheft kostet die Pflichtlektüre sogar nur 1,30 Euro.
Ein lohnendes Geschäft sind die Schullektüren für Verlage und Buchhandel gleichwohl. Grund: In Zeiten des Zentralabiturs sorgen die Festlegungen der Kultusministerien für fünf- bis sechsstellige Abverkäufe. In Nordrhein-Westfalen sind gerade mehr als 81.000 Schüler in die gymnasiale Jahrgangsstufe 12 eingetreten, die sich alle „Iphigenie auf Tauris“ besorgen müssen.
Trotz Ankündigung nicht berechenbar
Obwohl Verleger, Barsortimente und Sortimenter durch die Ankündigungen der Kultusministerien bereits Monate im Voraus wissen, was angehende Abiturienten nach den großen Ferien für den Deutschunterricht anschaffen müssen, stellt der Ansturm mit Ansage sie vor Herausforderungen, wie das Beispiel „Iphigenie“ zeigt. „Man kann die Mengen trotz der Ankündigung nicht exakt berechnen“, erklärt Ingwert Paulsen, Inhaber der Verlagsgruppe Husum, die die „Hamburger Lesehefte“ herausgibt. In der vergangenen Woche konnte der Verlag etwa wegen der unerwartet großen Nachfrage die „Iphigenie“ zwei Tage lang nicht liefern.
Auch Einkäuferin Kirsten Brune vom Barsortiment Könemann berichtet, Probleme bei der Beschaffung der Pflichtlektüren gebe es fast in jedem Jahr. „Wir können für unsere Planung nur auf die Vergangenheitswerte zurückgreifen“, erklärt Brune. Trotz Zentralabitur seien verschiedene Titel aber gerade zu Schuljahresbeginn sehr unterschiedlich stark nachgefragt.
Buchhändler Antonius Linnemann aus Paderborn sieht außerdem in einem Mentalitätswandel der Kunden eine weitere Ursache für Schwierigkeiten beim Lektüre-Nachschub: Früher seien Schulbücher meist zu Ferienbeginn bestellt, aber erst zu deren Ende abgeholt worden. „Das gab es früher nicht, dass so ein großer Bedarf manchmal innerhalb weniger Stunden gedeckt werden muss“, meint der Inhaber von Bücher Linnemann.
aus buchreport.express 37/2010
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