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»Kindle für Blinde« bekommt Sonderpreis Barrierefreiheit

Der Gewinner des Sonderpreises Barrierefreiheit: Canute, ein E-Reader für Blinde

Der Deutsche E-Book-Award hat einen Sonderpreis für Barrierefreiheit ausgelobt. Gewinner ist nach einstimmigem Jury-Votum das britische am Gemeinwohl orientierte Unternehmen Bristol Braille Technology mit ihrem Produkt „Canute“, einem E-Reader für Sehbehinderte, der Texte in Braille-Schrift abbildet.

Die Verleihung des Sonderpreises an Unternehmensgründer Ed Rogers übernimmt die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, die blinde ehemalige Profi-Biathletin Verena Bentele.

Die Verleihung findet auf der Frankfurter Buchmesse am 12. Oktober 2017 ab 12 Uhr in Halle 4.1/N 37 am Stand der Stiftung Buchkunst statt. Dann werden auch die weiteren Preisträger des Deutschen E-Book-Awards in den Kategorien Fiction, Non-Fiction sowie Kinder und Jugend bekannt gegeben.

Tausende E-Books gespeichert

Beim Sonderpreis für Barrierefreiheit ist die Jury des Deutschen E-Book-Awards nach Prüfung des Bewerberfeldes zu einem einstimmigen Votum gelangt. In der Begründung heißt es:

  • Die Brailleschrift kann mittels des Tastsinnes gelesen werden und zählt daher zu den taktilen Schriften. Für Sehbehinderte und Blinde ist die Fähigkeit, Brailleschrift zu lesen, genauso unabdingbar zur Erlangung eines selbstbestimmten Lebens wie für sehende Menschen das Lesen können von Buchstaben. 
  • Bristol Braille Technology mit Sitz in Bristol hat sich zum Ziel gesetzt, den Niedergang der Braille-Alphabetisierung zu stoppen und eine revolutionär innovative und vor allem aber auch bezahlbare Braille-Technologie zu entwickeln: den E-Reader „Canute“
  • Der Canute ist der weltweit erste E-Reader, der mit 9 Zeilen á 40 Zeichen Texte in erneuerbare Braille-Schrift abbildet – also praktisch eine ganze Seite Text. Im Vergleich zu anderen Braille-Zeilen, die jeweils lediglich eine einzelne Zeile abbilden, ist er nach Angaben der Jury damit absolut einzigartig.
  • Zudem kann er Tausende eBooks gespeichert vorhalten, sofern diese zuvor in Braille übertragen wurden. Ein Vorgang, der inzwischen mit Open Source-Software leicht zu erledigen ist.
  • Weitere Details zum „Canute“: Es ist das erklärte Ziel der Hersteller, das Gerät in einer Größenordnung von 600 Britische Pfund (ca. 670 Euro) anbieten zu können. Der Canute ist ein Kasten aus edlem Holz, in dem sich sein Herzstück, die Walzen mit den Braille-Stiften, befinden, die den eingespeisten Text Zeile für Zeile aktualisierbar abbilden. Er wurde für und maßgeblich in Zusammenarbeit mit blinden Menschen entwickelt, die sich ausdrücklich für die Holzhaptik ausgesprochen haben. Das Gerät wiegt aktuell ca. 2 kg und lässt wie ein Laptop transportieren.

 

„Verlage sollten sich mit dem Thema Barrierefreiheit beschäftigen“

Fabian Kern ist freier Berater, Projektmanager und Trainer mit Schwerpunkt auf Entwicklung und Produktion digitaler Medien. Er ist u.a. als Blogger und Dozent tätig. Beim Deutschen E-Book-Award, bei dem buchreport auch in diesem Jahr wieder Medienpartner ist, ist Kern Jurymitglied (Foto: privat).

Über die Bedeutung des Sonderpreises für Barrierefreiheit hat buchreport im Vorfeld der Preisverleihung mit dem Jurymitglied und Berater Fabian Kern gesprochen, der den Sachstand auf dem Buchmarkt in Sachen barrierefreie E-Books für Blinde und Sehbehinderte schildert.

Was zeichnet ein barrierefreies E-Book aus?

Auf der Ebene der reinen Textstrukturierung ist Barrierefreiheit für Screenreader relativ leicht zu erreichen: Verwendet man sauber strukturiertes, semantisch korrektes HTML5 für die E-Book-Texte und trennt Layout von der Struktur, dann macht man schon vieles richtig, was Blinden nutzt, ohne dass man dafür sehr viel tun muss.

Wie wird das aktuell umgesetzt auf dem Buchmarkt?

Der technische und logistische Rahmen steht, es gibt Spezifikationenfür barrierefreie Epubs und Metadaten, um barrierefreie Titel kenntlich zu machen. Das hilft aber nichts, solange die wichtigsten E-Reader den Code nicht umsetzen und die Shops die Metadaten nicht in die Produktinformation übernehmen. Wir vermuten das altbekannte Henne-Ei-Problem: Senden die Verlage keine passenden Metadaten und Assets, setzen es die Shops nicht um und solange die Shops es nicht umsetzen, senden es die Verlage nicht.

Wie sieht es bei der Hardware aus fürs digitale Lesen in puncto Barrierefreiheit?

Im Moment ziemlich mau. Einfachstes Beispiel: Die gängigen E-Ink-Reader haben weder Lautsprecher und noch Audio-Ausgang. So wird Text-to-Speech unmöglich. Es geht aber nicht nur um die Hard-, sondern auch um die Lese-Software. Apps und E-Reader müssen als Erstes den Richtlinien für barrierefreie Webinhalte folgen – sonst hilft das barrierefreiste E-Book nichts. Aktuell verwenden Blinde und Sehbehinderte deswegen vor allem Tablets und Smartphones für den Zugriff – insbesondere unter iOS ist die Unterstützung für Sprachausgabe wie für Bedienung per Sprachkommando auf dem besten Stand, den ein mobiles Ökosystem zu bieten hat. Aus Verlagssicht ist das aber natürlich ein ausgesprochener Nischenmarkt.

Hat die Brailleschrift in der digitalen Literatur eine Zukunft?

Es gibt im Moment ein paar vielversprechende Hardware-Projekte im UK und in den USA für Braille-Lesegeräte, die Blindenschrift ohne große Produktionskosten direkt aus digitalen Daten erzeugen können. Mit etwas Glück können wir auf der Preisverleihung des Awards auf der Frankfurter Buchmesse ein Gerät vorführen. Von Projekten dieser Art erhoffen wir uns erhebliche innovative Impulse, da bis zu einem gewissen Grad die Notwendigkeit eigener Ausgabe-Formate obsolet wird, wenn die Hardware eigenes Wissen über die mediengerechte Darstellung in barrierefreier Form mitbringt.

Wie gehen die Verlage mit dem Thema „barrierefreie E-Books“ um?

In den Projekten, an denen wir bislang mitgearbeitet haben, hat es keine Rolle gespielt. Aber wir gehen davon aus, dass sich das bald ändern wird, denn es sind einige rechtliche Änderungen von Seiten der EU zu erwarten. In den USA hat sich in den vergangenen zehn Jahren deutlich gezeigt, wie schnell sich ein Markt in dieser Hinsicht drehen kann, sobald auch nur ein paar zentrale juristische Rahmenbedingungen sich ändern und große Marktteilnehmer beginnen, ihre Anschaffungspolitik für Content auf dieser Basis zu ändern.

Rechnet sich das Ganze für Verlage angesichts hoher Investitionskosten?

Solange weder die E-Reader- noch die Shop-Infrastruktur für sehbehinderte Menschen funktional sind, ergibt es für die Verlage keinen wirtschaftlichen Sinn, ihre Prozesse umzustellen und barrierefreie Titel sozusagen auf Halde zu produzieren. Mit entsprechendem Know-how und den richtigen Produktionswerkzeugen als Infrastruktur halten sich die Investitionen für eine Basis-Kompatibilität aber in sinnvollen Grenzen. Insofern sollten sich die Verlage möglichst rasch mit dem Thema auseinandersetzen, um gewappnet zu sein, sobald die zu erwartenden neuen Vorschriften greifen.

Kommentare

2 Kommentare zu "»Kindle für Blinde« bekommt Sonderpreis Barrierefreiheit"

  1. Verena Bentele ist nicht mehr Biathletin, sondern ausschließlich Beauftragte der Bundesregierung.

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