Er fordert, dass Bürgermeister Fußgängerzonen rückbauen und Händler für ihre Kunden die Wunschklamotten notfalls bei Zalando bestellen: Zulfukar Tosun, das „Enfant terrible“ unter den Handelsberatern, mischte den Einzelhandel im Baltikum auf; seine Klienten in Deutschland bestätigen, dass Tosuns Rezepte auch hierzulande wirken. Eine Chance für den inhabergeführten Fachhandel ist es allemal, sich mit seinen Thesen zu befassen.
Tosun, geboren 1979 in Schweinfurt, legte nach einer kaufmännischen Ausbildung bei Galeria Kaufhof eine steile Karriere hin. Sie brachte ihn über den französischen Mode-Retailer Groupe ETAM als Peek & Cloppenburg‘s Expansionsmanager Baltikum im Jahr 2009 nach Lettland. Dort galt es der Finanzkrise zu trotzen, die das Brutto-Inlandsprodukt in diesem Jahr um fast 18% in den Keller schickte.
Das tat Tosun offenbar so erfolgreich, dass die lettische Regierung ihn als Berater in Einzelhandelsfragen und Wettbewerbsoptimierung aus dem Laden holte. Parallel eröffnete Tosun sein eigenes Consulting-Unternehmen mit Hauptsitz in Riga. Es unterstützt europaweit den Qualitäts-Fachhandel (u.a. Optiker, Apotheken, Luxusgüterhandel und Einkaufszentren) bei Kundengewinnung und Kundenbindung.
Die deutsche Wirtschaftszeitschrift „Brand Eins“ berichtete 2014 ausführlich über seine Methode.
Zulfukar Tosun, hat der deutsche Einzelhandel Grund zur Vorfreude aufs Weihnachtsgeschäft?
Auf jeden Fall. Das Geld sitzt locker – es lohnt sich nicht, das Geld auf die Bank zu bringen. Unter diesen Vorzeichen dürfte die Bescherung größer ausfallen als sonst; statt der Socken wird vielleicht lieber ein Tablet-Computer verschenkt.
Zur gefühlten Misere des Einzelhandel haben Sie Ihre eigene Deutung, deren Details wir hoffentlich gleich erfahren werden – aber sind die Hauptgründe nicht strukturell: Bevölkerungs-Rückgang meets E-Commerce und 30 Prozent Flächenüberhang?
Definitiv nein. Wo gibt es zuviel Flächen? In den Großstädten sicherlich nicht, eher in den Orten mit etwa 50.000 Einwohnern, wo Entwickler-Unternehmen Kommunen überreden, „qualitative“ Handelsflächen in Form von Shopping-Centern hinzuzubauen. Ob zuviel oder zuwenig oder die falschen Flächen da sind, muss von Ort zu Ort differenziert werden. Oft fehlt nur die richtige Vermarktung. Aus meiner Sicht täte es vielen Einkaufsstraßen gut, wenn sie wie Shopping-Center geführt würden.
Wie will man so etwas durchsetzen? Wer seit Generationen in der eigenen Immobilie Fachhandel betreibt, dürfte weniger kompromissbereit sein als jemand, der in eine neugegründete Shopping Mall hinein möchte.
Es gibt gute Ansätze und auch die Bereitschaft der Kommunen, in diese Richtung zu gehen. In Solingen wurden gerade die Gewinner eines Gründerwettbewerbs mit einem Jahr Mietfreiheit belohnt. Die Städte können entsprechende Rahmen schaffen, wenn sie wollen. Eine gemeinsame Marketingabgabe wie im Shopping-Center wäre schon ein Schritt in die richtige Richtung. Spätestens wenn um den Fachhändler herum die Läden schließen oder, noch schlimmer, Billigläden eröffnen, wird er dazu bereit sein. Dazu ist ein Paradigmenwechsel notwendig.
Was sind denn laut Einzelhandelsberatung Tosun die wahren Ursachen für den Stress im Handel?
Der Einzelhandel ist seit dem Wegfall des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb in 2001 ständig auf Neukundensuche und hat die Stammkundenpflege versäumt. Jetzt ist er aufgewacht und fragt sich, wo die Kunden bleiben. Der E-Commerce ist nicht das Problem. Der Kunde ist nicht erst seit dem Vordringen des E-Commerce preisbewusst. Dies geht vor allem aufs Konto von Filialisten.
Sie kritisieren, Händler hätten eine Beziehung zu ihren Produkten, nicht zu ihren Kunden. Was macht denn eine lebendige Kundenbeziehung aus?
Dazu möchte ich eine Geschichte erzählen. Einer meiner Kunden ist Apotheker. Er begrüßt jeden Kunden mit Handschlag, kennt jeden, weiß jedes Wehwehchen. Nach dem Kauf ruft er nicht selten seine Kunden an, erkundigt sich, ob die Medizin gewirkt hat, und gibt noch einen Rat obendrauf. Und die Kunden freuen sich darüber. Das sind Leistungen, die begeistern und Kunden bei der Stange halten.
Ihre Rezepte klingen teilweise simpel – Sie versprechen „umsatzsteigernde Potenziale ohne notwendige Investition“ zu realisieren. Welche konkrete Methodik liegt diesem Versprechen zugrunde?
Ich gehe in einen Laden und analysiere: wie sieht der Laden aus Kundensicht aus? Kann dieser sich gut orientieren? Ich schaue mir Beschilderung, Einrichtung, Schaufenster an. Dann arbeite ich intensiv mit dem Personal an der Frage: wie schaffen wir es, Kunden zu gewinnen und zu Stammkunden zu machen? Jeder Laden kann muss Marke werden. Heute gilt dies mehr als früher.
Ernten Sie als Berater da nicht einfach die „low-hanging fruits“? Sind die Bretter, die am Point of Sale zu bohren sind, nicht viel dicker?
Für viele Händler sind das gar keine „low-hanging fruits“. Das liegt nicht zuletzt an einer verständlichen Betriebsblindheit, die im Lauf der Zeit einkehrt. Händler sehen den Laden oft nicht mit Kundenaugen. Darum geht es. Es geht um Gesamtkonzepte, die Visual Merchandising, Mitarbeiter-Fortbildung und Marketing integrieren. Wenn Sie einen meiner Klienten vorher und nachher sehen, erkennen Sie das Geschäft oft nicht mehr wieder. Ich verstehe die Gründe, warum etwas nicht funktioniert. Konkurrenz ist selten der Hauptgrund. Wenn ein Inhaber mir sagt, die Konkurrenz nimmt mir die Kunden weg, dann schiebt er das Problem weg und sucht es nicht bei sich. Dabei kann ich nur dort ansetzen.
pubiz.de ist ein Portal für Fachinformationen zu Verlags- und Medienthemen. pubiz.de richtet sich an Buch-, Zeitschriften- oder Corporate-Publishing-Verlage und ist nutzwertgetrieben: Die Inhalte beanspruchen mittelfristige bis dauerhafte Relevanz für das Tagesgeschäft und strategische Aufgaben der Nutzer. pubiz.de ist ein Service von buchreport.
Kommentar hinterlassen zu "Fußgängerzonen zu Parkstreifen"