Pro Quartal verkauft Apple derzeit rund 11 Mio Stück des iPod, ohne das der Boom der Hörbuch-Downloads wohl undenkbar wäre (Foto: Audible). |
Dem Beobachter der Hörbuchbranche ergeht es derzeit ähnlich wie dem Betrachter des Gingko-Blattes in Goethes berühmtem Gedicht, der sich frage: „Ist es ein lebendig Wesen,/ Das sich in sich selbst getrennt,/ Sind es zwei, die sich erlesen,/ Dass man sie als eines kennt.“ Denn kein anderer Zweig der Buchbranche ist unter einem gemeinsamen Dach derzeit so gespalten wie der Hörbuchmarkt: Im stationären Geschäft scheinen die goldenen Hörbuch-Zeiten trotz aller Durchhalteparolen der Verlage wohl allmählich vorbei zu sein: Nach jahrelangen zweistelligen Umsatz-Zuwachsraten verbuchte das Sortiment 2006 und 2007 nur jeweils ein Plus von knapp 6%; im April (–11,2%) und Mai (–7,5%) 2008 rutschte die Umsatzkurve sogar deutlich unter die Null-Linie.
Während in den Hörbuchabteilungen der Buchhandlungen also die große Depression grassiert, floriert der Online-Handel: Musste Branchen-Primus Audible für die erste Absatz-Million noch einen Anlauf von zweieinhalb Jahren in Kauf nehmen, soll dasselbe Volumen 2008 binnen 12 Monaten erreicht werden. „An Wachstum mangelt es nicht in diesem Marktsegment“, zeigt sich Audible-Deutschland-Chef Arik Meyer zuversichtlich und rechnet auch weiter mit einem starkem Wachstumsschub und einer „zeitnahen Verdoppelung der Downloadverkäufe“.
Und so schickt sich der deutsche Onliner, der über lange Strecken allein auf weiter Flur den hiesigen Download-Markt geebnet hat, an, dem Vorbild der US-Mutter (zu 45% an audible.de beteiligt) zu folgen: Jenseits des Großen Teichs, wo der Download-Anteil am gesamten Hörbuchmarkt bei 15% liegt, konnte alleine Audible Inc. 2007 einen Umsatz von 110 Mio Dollar einspielen; zum Vergleich: Für Deutschland hat der Branchenverband Bitkom einen Umsatz der Downloader von 7 Mio Euro für 2007 berechnet; der Anteil der Downloads am gesamten Hörbuchmarkt wird von Verlagen auf 4 bis 5% taxiert.
Gravierende Unterschiede
Mit Blick in die Zukunft könnten die Unterschiede in der auditiven Zweiklassen-Gesellschaft noch gravierender ausfallen. Nachdem der weltgrößte Onlinehändler Amazon grünes Licht für die Übernahme des Download-Weltmarktführers Audible Inc. (80 000 englische Titel, weitere 25 000 über den Ableger in Deutschland) erhalten hat, könnten die Zuwachsraten auf der digitalen Vertriebsschiene bald noch größer ausfallen:
- Durch die Verknüpfung der Audible-Hörbücher mit dem MP3-Musikshop oder eine verbesserte Integration der Download-Titel in den Bücher-Shop von Amazon erhöhte sich die Reichweite – und verbesserte sich das Hörbuch-Marketing – schlagartig.
- Unter den 72 Millionen aktiven Amazon-Kunden dürfte, besonders wegen der Verwurzelung des Unternehmens in der Bücherbranche, ein großer Teil bücher- und möglicherweise auch hörbücheraffin sein – diese Zielgruppe gilt es künftig für Downloads zu erschließen.
- Eine Anbindung an das E-Book-Programm „Kindle“, durch das Hörbücher von unterwegs kabellos auf das Lesegerät geladen werden könnten, würde für zusätzliche Resonanz sorgen.
Stationärer Handel verliert
Zwar betonen besonders die Strategen von Audible immer wieder, dass die gesamte Hörbuchbranche vom zunehmenden Verkehr auf der Online-Schiene profitiere. Die Zahlen sprechen jedoch eine andere Sprache:
- Stationärer Handel: Laut GfK liegt die Schnittmenge zwischen Käufern von Download- und CD- zw. Kassette-Hörbüchern bei nur 2%, was ebenfalls die Diagnose der Zweiklassen-Gesellschaft belegt – die Märkte entwickeln sich getrennt, nach eigenen Regeln.
- Portale: Nicht nur zwischen Online und Offline, sondern selbst innerhalb der digitalen Fraktion gibt es eine große Kluft. Zwar ist die Zahl der Portale in den vergangenen Jahren auf rund 30 in die Höhe geschnellt, Jahr für Jahr kommen neue Portale hinzu wie zuletzt die Weltbild-Tochter jokers-audio.de; nennenswerte Umsätze verzeichnen davon jedoch nicht viel mehr als eine Handvoll (unter ihnen claudio.de, iTunes, soforthoeren.de, libri.de und musicload). „Im Endeffekt wird es zwei oder drei Anbieter geben, die sich durchsetzen“, versichert Random House Audio-Chef Karl-Heinz Pütz.
- Der Marktanteil von Audible in Deutschland (nach eigenen Angaben rund 85%) zeigt die hohe Konzentration auf dem Online-Markt und wie schwierig es für die Wettbewerber ist, sich im Schatten des Marktführers zu etablieren. Ein Beispiel: Die Focus-Tochter claudio.de wird frühestens in diesem Jahr, drei Jahre nach dem Startschuss, schwarze Zahlen schreiben, obwohl die großen Hörbuchverlage schon früh ihre Titel beim Audible-Wettbewerber eingestellt hatten und claudio.de große Summen ins Marketing investiert hat.
- Verlage: Auch die Hörbuchverlage sind gespalten: Mutige Verlage wie Random House Audio, die seit Jahren konsequent ihr Onlinegeschäft ausbauen und ihre Produkte daraufhin abstimmen, verzeichnen schon heute einen Umsatzanteil des digitalen Vertriebs von über 12%, bis 2010 soll bei RHA die 15%-Marke passiert werden; an die onlineaffinen Schwergewichte unter den Verlagen überweist Audible nach eigenen Angaben pro Quartal sechsstellige Summen.
- Demgegenüber stapelt der Hörverlag, neben RHA Marktführer im stationären Handel, mit Blick auf den Onlinevertrieb auffallend tief: „Die Downloadumsätze sind entsprechend unserer offenbar realistischen Prognose nach wie vor marginal“, erklärt Verlagssprecherin Heike Völker-Sieber. Obwohl der Verlag Gesellschafter von claudio.de ist, seine Titel auch bei weiteren Plattformen eingestellt hat und immerhin als Online-Nachzügler bereits 4% des Umsatzes digital erwirtschaftet, sieht er sein Engagement nur noch „als Alternativ-Angebot zu illegalen Tauschbörsen und vor allem als effektives Marketinginstrument“. Eine defensivere Strategie ist kaum vorstellbar.
- B2B-Geschäft: Download-Portale wie claudio.de und soforthoeren.de haben angekündtigt, ihr B2B-Geschäft auszubauen und die Technologie ihrer Plattformen als White-Label-Lösungen Buchhandlungen und Verlagen anzubieten; in eine ähnlich Richtung stoßen die Barsortimente KNV und Libri, die ihren Partnerbuchhandlungen das Downloaden ermöglichen. Der Erfolg der Vorstöße erscheint fraglich. Schon im vergangenen Jahr beklagte sich Libri.de-Chef Per Dalheimer gegenüber buchreport, dass die Sortimenter den Multi-Channel-Ansatz nicht genügend forcierten.
- Gleiches gilt für Verlage: Da Verlagsmarken für den Otto-Normal-Hörer wie Schall und Rauch sind, ist nicht mit einem Ansturm auf die Webseiten der direktvertreibenden Verlage zu rechnen. „Wettbewerb ist zwar immer gut. Dieser sollte aber kreative neue Ansätze hervorbringen, um einen Kundennutzen zu schaffen, nicht lediglich Duplikate vorhandener Hörbuch-Downloadshops“, mahnt Audible-Chef Arik Meyer.
Situation auf Dauerbaustellen verschärft
Vor dem Hintergrund der immer deutlicher hervortretenden Zweiklassen-Gesellschaft und dem Siegeszug von Audible/Amazon könnte sich die Situation auf den Dauerbaustellen der Hörbuchbranche in den kommenden Monaten verschärfen:
- Kopierschutz: Während der Trend in der Musikindustrie eindeutig zur Liberalisierung des E-Vertriebs geht und auch erste Verlage wie Random House Audio (USA) langsam umdenken, hält Marktführer Audible noch am eigenen DRM-geschützten Format fest. Mit einem guten Grund: Solange das alternative MP3-Format dem Hörer nicht ermöglicht, in den stundenlangen Hörbüchern Kapitelmarken zu setzen, bietet das Audible-Format trotz der für viele Kunden mitunter nervigen Registrierungspflicht Vorteile.
- Doch der Audible-Deutschland-Boss Meyer könnte schon bald umdenken (müssen). Denn anders als Audible verzichtet die neue Mutter Amazon beim Online-Musik-Vertrieb dezidiert auf Kopierschutz. Eine Par Ordre De Mufti ausgegebene Entscheidung contra DRM würde einige Hörbuch-Verleger vergrätzen. „Der Aufwand für uns wäre viel höher, weil die Verträge umgestellt werden müssen“, erläutert Ulrich Großmaas, Ex-Popkomm-Chef und bei Random House Audio für neue Medien zuständig. Räumt aber ein: „Die Entwicklung wird früher oder später auch bei uns eintreten.“
- Preisbildung: Außerhalb der Preisbindungszone ist Amazon für seinen scharfen Dumping-Kurs bekannt. Auch Hörbücher, die in Deutschland nicht der Preisbindung unterliegen, wird Amazon als Downloads günstiger anbieten als die Wettbewerber – auch dabei droht Amazon Gegenwind von den Verlagen.
- Audible selbst muss für das eigene Abo-Modell (9,95 Euro pro Monat für den Download eines beliebigen Hörbuchs) seit Jahren Kritik von Verlagen einstecken. Dem Vorwurf des Dumpings hält Arik Meyer den Volumeneffekt, also die erhöhten Absatzzahlen, entgegen: Der durchschnittliche Abo-Kunde kaufe 1,8 Hörbücher im Monat und rund 20 Titel pro Jahr. Solche Vielkäufer entschärften das Grundproblem der Verlage – kleine Auflagen, vergleichsweise hohe Produktionsskosten. Während selbst Top-Titel Auflagen von nicht mehr als 2500 bis 3000 Stück erzielten, verkaufe Audible von populären Hörbüchern bis zu 5000 Downloads in nur 5 Monaten.
- Da im Internet besonders ungekürzte Lesungen gefragt seien, empfiehlt Meyer den Verlagen ein duales Produktionsmodell: eine gekürzte Fassung für den stationären und die ungekürzte Version für den Online-Handel. „Die Mehrkosten für die ungekürzte Fassung werden schnell eingespielt, wir haben die Erwartungen unserer Partner stets übertroffen.“
- Ob Dumping oder Volumeneffekt – da sich das Abomodell bei den Downloadern längst etabliert hat, können die Verlage ohnehin nicht mehr zurückrudern.
Daniel Lenz
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