„Diversity Management“ heißt der Ansatz im Personalwesen, bei dem versucht wird, die soziale Vielfalt konstruktiv zu nutzen. Wie sieht das konkret aus? Wo setzt diese Haltung an? Der frühere Banker und heutige Berater Bernd Domrowe führt im HR-Channel von buchreport ein ins Thema.
Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Homogenität war früher. Führungskräfte müssen gemischte Teams zum produktiven Gedeihen bringen. Die verschiedensten Gründe bedingen dies heute und noch viel mehr in Zukunft. Diversity Management befasst sich mit der Kunst, nach Alter, ethnischer Herkunft, Ausbildung, Temperament oder sonstigen Voraussetzungen unterschiedliche Menschen zu stabilen, motivierten, leistungsbereiten Teams zusammenschweißen müssen. Unerlässlich für Führungskräfte ist es dabei, dass sie wahrzunehmen lernen, welche Chancen in der Vielfalt liegen.
Stellen Sie sich vor: Ein wichtiges Meeting steht an, in der ein von Ihnen verantwortetes Thema diskutiert und auf der Basis Ihrer Vorlage entschieden werden soll. Und Sie haben im Vorfeld natürlich alles durchdacht: die Interessen der Beteiligten ausgelotet, Vor- und Nachteile erwogen, Ihre Entscheidungsvorlage schlüssig begründet und Ihre Begründung in eine geschliffene Präsentation verpackt. Kurz und gut: Sie sind bestens vorbereitet – und spätestens jetzt macht Ihnen bei „Ihrem“ Thema niemand mehr etwas vor!
Klar also, dass das Meeting nach Plan verläuft. Bis… ja bis ein Kollege, dessen Intellekt Sie schätzen und insgeheim sogar bewundern, mit zwei kurzen Fragen einen Punkt hervorhebt, den Sie (…verflixt!) vorher überhaupt noch nicht bedacht hatten. Kein Beinbruch zwar. Aber ein bisschen was vom Glanz Ihres Auftritts ist doch verflogen. Und ja – der Kollege hat mit seiner Überlegung ausgesprochen Recht…
Wie reagieren Sie jetzt?
Andere Meinungen? Lieber nicht…
Vermutlich würde jeder von uns etwas anders auf die beschriebene Situation reagieren. Die Bandbreite der möglichen, inneren Bewertungen und Reaktionen reicht von „Mist – erwischt“ und „wie konnte mir das durchgehen?“ über ad-hoc Anflüge von Selbstzweifel bis hin zum trotzigen „was bildet der sich eigentlich ein“ oder einem „jetzt erst recht“.
Vielleicht gehören Sie ja zu den Menschen, die rein sachlich reagieren? Rational ist schließlich alles klar: ein Punkt wurde übersehen, ein Anderer trägt diesen bei, das Gespräch geht weiter. Das alles entspricht schließlich genau unserer Vorstellung von Wertschätzung, Toleranz und Akzeptanz. Zum Wohl des Großen und Ganzen braucht es unterschiedliche Sichtweisen!
Mehr Artikel zum Thema Personalmanagement finden Sie im HR-Channel von buchreport und Bommersheim Consulting.
Doch so rational bleiben natürlich nur die allerwenigsten von uns. Im Gegenteil: Wir reagieren emotional, und das bedeutet oft: ablehnend. Den Grund dafür veranschaulicht das bewährte „Eisberg“-Modell: Die Muster menschlicher Aktion und Reaktion verlaufen überwiegend „unter der Oberfläche“, sprich: auf der Gefühlsebene. Und hier verursachen neue, andere Meinungen häufig Angst, Enttäuschung, Selbstzweifel und Wut.
Und genau das ist die grundlegende Schwierigkeit beim Umgang mit „Diversity“ oder Unterschiedlichkeit.
Tatsache ist: Diversity Management beginnt bei mir
Dieser Schluss mag unverhofft erscheinen. Schließlich verbinden vermutlich die meisten von uns den „Diversity“-Begriff viel eher mit Gesprächen über die gezielte Integration von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe oder mit Behinderungen. Und wir erwarten vielleicht sogar, dass das Ganze eine Führungsaufgabe ist und stets Kampagnen-Charakter hat (nicht wenige Unternehmen haben ja sogar Verantwortliche oder ganze Stäbe für „Thema Diversity Management“ eingerichtet).
Doch wer länger darüber nachdenkt, kommt sicher zu dem Schluss: Tatsächlich beginnt Diversity bei jedem von uns selbst und bei unserem Umgang mit den unterschiedlichen Wahrnehmungen, Betrachtungsweisen und Meinungen Anderer.
Dabei spielt es keine Rolle, wer die andere Meinung beiträgt oder warum. Stattdessen geht es darum, diese Meinung überhaupt wahrzunehmen, anzunehmen und letztlich zu nutzen – immer in Verbindung mit etwas, das vielen von uns schwerfällt: dem Vermeiden von Bewertungen.
Übrigens: diese Art des toleranten Umgangs miteinander hat nichts mit Beliebigkeit zu tun, der zwanghaften Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner oder mit Konfliktvermeidung, im Gegenteil: es fördert vielmehr Vielfalt, Andersartigkeit und die konstruktive, oft kreative Auseinandersetzung.
Handeln Sie selbst!
Natürlich entspräche ein solcher Umgang den – zumindest öffentlich bekundeten – Kultur-Erwartungen unserer Organisationen. In denen ist schließlich viel die Rede von Offenheit, Partnerschaftlichkeit, Respekt, Gleichberechtigung und der Arbeit im Team, sprich: sie fordern das Nutzen von Unterschiedlichkeit zum Wohle des Unternehmens geradezu ein. Doch echte Praxis ist er dennoch nur selten. Meist herrscht stattdessen der übliche, von emotionalen Reaktionen und Ressentiments geprägte Umgang.
Wer das verändern will, kann sich also nicht auf „Diversity“-Kampagnen oder das zuständige Management verlassen. Vielmehr muss sie oder er einfach selbst damit beginnen, Unterschiedlichkeit im eigenen Unternehmen zu verankern.
Das beginnt meist – wie so vieles – mit einer eigenen Entscheidung und den Antworten auf die folgenden Fragen:
- Will ich mir wirklich die Unterschiedlichkeit, zum Beispiel in meiner Führungsmannschaft oder meinem Team, zu Nutze machen?
- Will ich zulassen und erlauben, dass aus unterschiedlichen Positionen (die auch nicht meine sein werden) neue Ideen entstehen, die das Unternehmen, den Bereich, die Abteilung weiterbringen?
- Will ich mir widersprechenden Meinungsäußerungen „aushalten“, wahrnehmen und annehmen, ohne sofort in eine Bewertung einzusteigen?
Wenn Sie diese Fragen mit einem überzeugten „Ja“ beantworten können, haben Sie den ersten Schritt bereits getan.
Mit der „Diversity-Brille“ ins Büro
Der nächste besteht in der absichtsvollen, willentlichen Veränderung der eigenen Wahrnehmung, die ich mit einem einfachen Beispiel beschreiben möchte: Setzen Sie jeden Morgen auf dem Weg ins Büro Ihre – rein gedankliche – „Diversity-Brille“ auf. Sprich: Betrachten Sie Ereignisse und Gespräche, die Ihnen im Tagesgeschäft begegnen, bewusst daraufhin, ob sie andere, von Ihrer eigenen verschiedene Meinungen enthalten – und nehmen Sie diese auf.
Natürlich brauchen Sie nicht wirklich eine neue Brille … aber halten Sie sich dazu an, Ihre Sicht- und Reaktionsweisen beständig zu überprüfen. Kleben Sie sich zum Beispiel kleine Erinnerungshilfen als post-it auf Ihre Tagesordnung, oder tragen Sie eine Erinnerung in Ihren Kalender ein, um sich selbst an Ihren Vorsatz zum Berücksichtigen anderer Meinungen zu erinnern. Gute Entscheidungen und Vorsätze nützen nur dann, wenn sie umgesetzt werden.
Und wenn Ihnen das Thema wirklich wichtig ist – dann machen Sie es auch zum Thema. Sprechen Sie mit Chefs und Mitarbeitern über die Chancen von Unterschiedlichkeit. Meist ergeben sich schon daraus gute Möglichkeiten für den regelmäßigen Austausch etwa nach Meetings. Erinnern Sie sich wechselseitig an Ihren gemeinsamen Vorsatz und prüfen Sie gemeinsam nach, ob wirklich alle Sichtweisen innerhalb der Gruppe während eines Gesprächs zum Tragen kamen.
Fazit:
- Diversity beginnt im Kleinen – im täglichen Miteinander und der gelebten, alltäglich wahrnehmbaren Vielfalt und Unterschiedlichkeit
- Entscheiden Sie sich bewusst dafür, Diversity wahr- und anzunehmen. Dann setzen Sie sich täglich ihre „Diversity-Brille“ auf und profitieren Sie von der vorhandenen Unterschiedlichkeit
- Lassen Sie das Thema dauerhaft zu einem Bestandteil der Kultur in Ihrem unmittelbaren Umfeld werden
Ich wünsche Ihnen viel Freude an der Entdeckung neuer Vielfalt.
Mit freundlicher Genehmigung von Raum Für Führung, Frankfurt
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