Andrew Savikas (Safari Books Online) über Abomodelle
Genug Geld, um Verluste zu verkraften?
Während viele Publikumsverlage gerade erste Erfahrungen mit Abomodellen sammeln, verfügen Fachbuch-Anbieter bereits über langjährige Erfahrungen mit dem Flatrate-Ansatz. Seit 2001 bietet Safari Books Online besonders Firmen und Institutionen Zugriff auf einen großen Katalog an Technologie- und Wirtschaftsbüchern. Im Interview zieht CEO Andrew Savikas (Foto) eine Bilanz und entwirft Perspektiven für B2C-Abomodelle. Ein großes Fragezeichen macht Savikas hinter dem „Breakage“-Ansatz von Oyster und Scribd.
Das buchreport.magazin 7/2014 widmet sich auf 6 Seiten ausführlich der Analyse von Abomodellen aus Sicht von Verlagen (hier zu bestellen).
Die Musikbranche haben Abomodelle schon stark geprägt. Wie stark verändern E-Book-Abomodelle die Verlagswelt?
Andrew Savikas: Zunächst einmal ist zu begrüßen, dass es sehr viele unterschiedliche Geschäftsmodelle im Abobereich auf dem Buchmarkt gibt, viel mehr als im Film- oder Musikgeschäft. Neben den Angeboten an Konsumenten gibt es viele B2B-Angebote u.a. im Bildungs- und Fortbildungsbereich, bei denen Inhalte direkt an Institutionen, Firmen oder Büchereien verkauft werden. Das Ökosystem ist also in Bezug auf die Konsumenten deutlich diversifizierter.
Ihr Angebot Safari Books Online hat in den vergangenen 13 Jahren maßgeblich das B2B-Angebot geprägt. Wie wird sich der B2C-Sektor entwickeln?
Für den Konsumenten, der einfach ein Buch zur Unterhaltung kaufen will, werden Abomodelle ein ganz entscheidender Teil des Marktes, aber es ist noch zu früh, um zu sagen, ob sich die Modelle fundamental disruptiv auf den Buchmarkt auswirken werden.
Zunächst hat von den großen US-Verlagen nur Harper Collins Bücher für die Abomodelle freigegeben, kürzlich zog Simon & Schuster nach. War das der „tipping point“, wird 2014 das Jahr des Abos für den Mainstream?
Mit der richtigen Antwort könnte ich viel Geld verdienen. Fest steht, dass wenn einer oder zwei der ganz großen Verlage an einem neuen Markt oder einem neuem Modell Interesse zeigen, dann neigen auch die anderen dazu, ihnen zu folgen. Ich bin nicht sicher, ob das in diesem Fall auch passiert und vor allem nicht, wie schnell es passiert. Mich verwirrt das Geschäftsmodell von Anbietern wie Scribd und Oyster, das auf den Einzelhandelspreisen der Bücher basiert. Sie bezahlen den Verlagen, sobald ein bestimmter Prozentsatz eines Buchs gelesen wurde, den kompletten Preis nach Abzug des Handelsrabatts – es ist schade, dass sie von einigen großen Verlagen zu diesem Modell gedrängt werden. Der Umsatz dieser Aboanbieter mit den Abonnenten entwickelt sich also völlig unabhängig von den Beträgen, die sie später an die Rechteinhaber der Inhalte bezahlen müssen. Ihr grundsätzliches Geschäftsmodell baut auf einem Prinzip auf, das im Medien-, Software- und Abogeschäft „Breakage“ genannt wird: Man geht dabei davon aus, dass genug Leute einen Dienst nicht in Anspruch nehmen und damit die Verluste ausgleichen, die das Unternehmen durch diejenigen einfährt, die den Dienst stark nutzen.
Mehr zum Thema Abomodelle im Dossier von buchreport.de
Bei Scribd und Oyster soll die Grenze des Verlusts schon bei der Lektüre von zwei Büchern im Monat überschritten werden.
Es wurde noch nicht nachgewiesen, dass dieses Modell für die Unternehmen auch im großen Maßstab tatsächlich funktioniert. Und es wird sich zeigen, ob die Firmen genug Geld zur Verfügung haben, um das Geschäft auch bei Verlusten weiter zu betreiben.
Wie sieht Ihr Modell bei Safari Books Online aus?
Bei uns steht das Geld, das wir an die Verlage bezahlen, in direktem Zusammenhang mit dem Geld, das wir von den Kunden einnehmen. Unser Modell ist also nachhaltig, und die Ein- und Ausgaben sind nachvollziehbar.
Wie hat sich Safari Books Online in den vergangenen Jahren entwickelt?
Safari wurde 2001 als Joint Venture von O’Reilly Media und Pearson Education gegründet. Anfangs haben wir nur an einzelne Kunden verkauft. Der Grundgedanke war, dass der Informatiker oder Systemadministrator seine fünf bis zehn Bücher nicht mehr nur in seinem Regal zu Hause stehen haben, sondern auch über elektronische Ausgaben verfügen soll, die er jederzeit online durchsuchen und lesen kann. Dann sind ziemlich früh zwei Entwicklungen eingetreten, die das Geschäft verändert haben: Uns ist aufgefallen, dass die Kunden Zugang zu einer viel größeren Bandbreite an Material haben wollten – sie wollten nicht bloß fünf oder zehn Bücher, sondern 100.000 Bücher durchsuchen können. Der zweite große Schritt für Safari war, dass wir einen wirklich großen B2B-Markt entdeckt haben, also den Verkauf an Firmen, Institutionen, Büchereien. Jüngere Trends sind der wachsende mobile Zugriff sowie das große Interesse an Video-Inhalten: Viele unserer Nutzer wollen – nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung – hochwertige Video-Kurse, Video-Unterricht und Video-Konferenz-Sessions sehen.
In Deutschland hat die Fachbuch-Plattform PaperC kürzlich auch belletristische Titel in den Katalog genommen. Kommt das für Safari auch in Frage?
Zurzeit haben wir keine Pläne, Belletristik ins Programm zu nehmen. Es gibt zwar eine Vielzahl an fiktionalen Titeln, die eine große Schnittmenge mit den Interessen unserer Kunden haben, aber unser Modell eignet sich nicht so gut für die klassische Leseform „von Anfang bis Ende“. Die meisten unserer Kunden lesen nur rund 20 Minuten in der Woche. Dass jemand auch nur zwei Kapitel am Stück liest, kommt so gut wie nicht vor.
Die Hälfte der Safari-Zugriffe erfolgt auf Titel, die älter als zwei Jahre sind. Warum ist gerade im Computerbuch-Bereich die Backlist so gefragt?
Man kann diese Zahlen von zwei Seiten betrachten: Es besteht ein großes Interesse an der Frontlist, das wir z.B. mit unserem Programm „roughcuts“ bedienen. Dort bieten Verlage Titel noch vor dem Erscheinen an, sogar bevor sie fertig geschrieben sind. Dafür zahlen unsere Kunden einen Premiumbeitrag, denn sie wollen Zugang zu den neuesten Technologien. Auf der anderen Seite gibt es einige „Evergreens“, beispielsweise Texte zu unerlässlichen Basics des Programmierens. Die Bücher sind vielleicht fünf oder zehn Jahre alt, aber immer noch sehr relevant.
Sind die Verlage beim Bereitstellen von Frontlist-Titeln zögerlich, aus Sorge vor Kannibalisierung der Verkäufe?
Nein, die Verleger, mit denen wir zurzeit zusammenarbeiten, sind überhaupt nicht zurückhaltend oder gar unwillig. Wir arbeiten eng mit ihnen zusammen, um ihre Inhalte, so schnell es geht, verfügbar zu machen. Mit der Zeit haben diese Verlage festgestellt, dass unser Safari-Angebot ihrer Performance auf anderen Kanälen nicht schadet, sondern eher hilft. Wie gesagt, wir verkaufen das Safari-Angebot meistens an größere Unternehmen, die das aus ihren Fortbildungs-Budgets bezahlen. Dass die Firmen, die nur ein Kapitel oder einen Ausschnitt aus einem Buch benötigen, ohne Safari gleich das ganze Buch kaufen würden, das glaube ich nicht.
Mit Hilfe von Safari können die Verlage Kundendaten analysieren. Wie können Verlage mit Daten bessere Bücher, Produkte oder Services machen?
Wir bekommen oft schon etwas von neuen technologischen Entwicklungen mit, bevor ein Thema wirklich in aller Munde ist: Zum Beispiel, wenn ein Suchwort oft eingegeben wird, oder ein kleiner Verlag mit einem Buch ein neues Themenfeld bearbeitet und damit auf großes Interesse unserer Leser stößt. Viele unserer Kunden sind fortschrittliche, große Tech-Unternehmen, und wenn eine Firma wie Yahoo, Google oder Ebay plötzlich so einem Buch sehr viel Aufmerksamkeit schenkt, dann kann man das als Signal werten, dass andere Unternehmen folgen werden. Wir können Verlagen außerdem zeigen, welche Passagen in einem Buch gelesen wurden und welche nicht. Wenn zum Beispiel aus zehn Kapiteln das siebte deutlich mehr nachgefragt wurde als alle anderen, dann könnte dies einen Einfluss auf die nächste Auflage des Buches haben. Es ist auch schon vorgekommen, dass Verlage zusätzliche Inhalte zu dem speziellen Thema produziert haben. Es ist also sinnvoll, die Methoden der Web-Analyse auf Buchinhalte anzuwenden.
Die meisten Verlage scheinen für solche Analysen nicht gerüstet zu sein.
Das stimmt. Sie kennen sich eher mit Daten aus, die aus dem Verkauf, aus dem Handel kommen. Sie analysieren auch die Nutzung ihrer Homepage, aber die Analysen werden nicht miteinander verbunden. Ein großer Vorteil von Safari gegenüber vielen anderen großen Verlagen ist das Volumen an Daten: Wir haben über 1 Mio aktive Nutzer und etwa 40.000 Titel im Angebot. Das gibt uns eine Menge an Daten, die für jeden Einzelverlag schwierig zu erreichen ist.
Was raten Sie Verlagen, die sich an Abo-Modelle herantasten wollen?
Sie sollten die Modelle testen, sollten einige Titel einspeisen und dabei den Absatz in anderen Kanälen immer genau verfolgen, um am Ende die entscheidende Frage beantworten zu können, ob die Verkäufe hier Auswirkungen auf die Verkäufe dort hatten.
Wie ist die Korrelation der Verkaufskanäle festzustellen?
Schon so etwas Simples wie das Verkaufs-Ranking auf Amazon kann einige Hinweise über die Nutzung und Leser-Aktivität geben. Wir selbst unternehmen sehr häufig A/B-Tests, um neue Angebote zu testen. Das ist das Großartige am Internet: Man hat so viele Daten zur Verfügung, dass man seine Entscheidungen auf Grundlage von tatsächlich erhobenen Daten und nicht nur aufgrund von Meinungen treffen kann.
Verleiht der Boom der Abo-Angebote dem harten Kopierschutz Rückenwind?
Das ist nicht entscheidend. Bei Netflix oder Spotify spricht niemand über DRM. Der Verbraucher versteht, dass er für den Zugang, nicht für den Besitz bezahlt, dass der Zugang zu einer großartigen Sammlung von Inhalten zu einem sehr vernünftigen Preis geschlossen wird, wenn man nicht mehr dafür zahlt.
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