In der Serie „Mein Schreibtisch“ stellen uns Autorinnen und Autoren ihre Arbeitsplätze vor. Diesmal zeigt Theaterregisseurin und Schriftstellerin Nino Haratischwili ihren Schreibtisch.
Meinen Schreibtisch habe ich vor etlichen Jahren bei einem Gebrauchtmöbel-Händler in Hamburg gekauft. Ich war damals Studentin und hatte nicht viel Geld. Der nette Händler brachte ihn mir nach Hause, und seitdem liebe ich ihn heiß und innig. Er ist schön geräumig, hell und hat versteckte Schubladen, die sehr praktisch sind. Ich sitze dort sehr gerne und versuche, ihn nicht gänzlich vollzustellen, denn ich habe gerne etwas Freiraum um mich und mag grundsätzlich keine vollgestellten Räume. Vielleicht liegt es auch daran, dass man beim Schreibprozess den Kopf so voll hat und um sich herum Platz benötigt.
Ich habe viele Stunden an diesem Schreibtisch verbracht, und 2020 ist er mit mir von Hamburg nach Berlin umgezogen und macht sich ebenfalls gut im neuen Arbeitszimmer, das zwischendurch auch von meinen Kindern okkupiert wird.
Früher habe ich überwiegend nachts geschrieben, bis heute ist es meine liebste Arbeitszeit. Aber seit ich Mutter bin, muss ich mich natürlich an den Rhythmus der Kinder anpassen und daher oftmals früh aufstehen, ich kann nicht mehr bis zum Morgengrauen in der Stille arbeiten, wie ich es früher liebend gerne getan habe. Aber nach wie vor bin ich morgens überhaupt nicht kreativ. Die Vormittage sind einfach nicht meine Zeit, erst ab Nachmittag werde ich klarer und wacher.
Ich habe keine festen Arbeitszeiten, aber ich wechsle in der intensiven Schreibphase gern die gewohnte Umgebung, um woanders zu arbeiten – in fremden Städten und an fremden Orten. Ich habe dort wenig Ablenkung, kenne kaum Menschen und kann mich voll und ganz auf die Arbeit konzentrieren.
Während der Arbeit an „Das achte Leben (Für Brilka)“ musste ich ohnehin viel recherchieren und reisen, und so schrieb ich große Teile des Buches in Moskau, St. Petersburg und Zagreb. Bei „Die Katze und der General“ hatte ich eine wunderbare Residenz in Istanbul und bei „Das mangelnde Licht“ war ich ein paar Wochen in Brüssel, ebenfalls mit einem schönen Aufenthaltsstipendium. Das hat mir sehr geholfen und ich konnte im täglichen Modus abtauchen.
Die Art, wie ich schreibe, hängt von der konkreten Arbeitsphase ab: Die Anfänge sind immer am zähsten und langwierigsten, ab einer bestimmten Seitenzahl läuft es einfacher und da ist es für mich extrem wichtig, eine Kontinuität aufzubauen. Wenn ich durch gewisse Lebensumstände gezwungen bin, die intensive Schreibphase zu unterbrechen, empfinde ich das als sehr quälend, die Neuanfänge sind sehr mühsam. Je regelmäßiger ich arbeite, desto leichter fällt mir das Schreiben. Ich versuche – wenn ich an etwas arbeite – die Tätigkeit täglich auszuüben. Manchmal läuft es gut und ich gerate in eine Art Rausch: Dann schreibe ich mehrere Stunden durch, manchmal ist es zäh und ich muss noch nachdenken, suchen, überlegen, planen, und dann sind es nur ein paar Sätze, aber die Beschäftigung mit der Materie ist immer wichtig, auch wenn es quälend ist und nicht so fließend läuft wie gewünscht.
Ich habe auch keine Marotten und Ticks, wie man es manchmal von anderen Schriftstellern liest. Oftmals aber höre ich Musik beim Schreiben. Dafür erstelle ich eigens Playlisten und bereite sie akribisch vor. Je nach Atmosphäre greife ich dann darauf zurück, die Musik hilft mir unglaublich, in die richtige Stimmung zu kommen. Oft sind es aber keine Songs mit Gesang, denn Texte empfinde ich als störend. Neben der Musik und meinem Laptop sind ein Notizblock und ein Kugelschreiber oftmals ausreichend.
Früher konnte ich auch gut in Zügen oder Cafés arbeiten, die öffentlichen Plätze haben mir nichts ausgemacht, ich konnte mich trotzdem mit meinen Kopfhörern auf die Arbeit konzentrieren, aber in letzter Zeit brauche ich mehr Ruhe und Konzentration, also meide ich solche Plätze zum Arbeiten.
Was mich zum Schreiben inspiriert hat? Das Leben, nehme ich an, und gute Bücher. Ich habe schon immer sehr gerne Geschichten gehört und Geschichten erzählt.
Nino Haratischwili
In einer Umfrage zum Frühjahrprogramm der Verlage wollte buchreport vom Buchhandel wissen, welche Titel als Hoffnungsträger gelten. Mit „Das mangelnde Licht“ kristallisierte sich Nino Haratischwili schnell als eine Favoritin heraus. Die georgisch-deutsche Theaterregisseurin hat ihr Handwerk Film-und Theaterregie in Tiflis und Hamburg gelernt. Haratischwilis dramatisches und prosaisches Werk ist preisgekrönt (u.a. Nominierung für den Deutschen Buchpreis 2018 für „Die Katze und der General“), ihr großes Familenepos „Das achte Leben“ wird verfilmt. Ihre Romane erscheinen bei der FVA.
Bestseller
Titel (erschienen)/bester Platz
Das mangelnde Licht (2/2022)/4
Die Katze und der General (8/2018)/14
Das achte Leben (Für Brilka)(8/2014)/38
Auswahl Quelle: SPIEGEL-Bestseller
Auszeichnungen
Schiller-Gedächtnispreis
Saba-Preis
Bertolt-Brecht-Literaturpreis
Stipendium zum Lessing-Preis Hamburg
Hertha Koenig-Literaturpreis
Anna Seghers-Preis
Literaturpreis des Kulturkreises d. Dt. Wirtschaft
Grenzgänger-Stipendium der Robert Bosch Stiftung
Kranichsteiner Literaturförderpreis
Hotlist-Buchpreis der unabhängigen Verlage
Debütpreis des Buddenbrookhauses
Förderpreis des Adelbert-von-Chamisso-Preises
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