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Geteilte digitale Gesellschaft

„In weiter Ferne, so nah“, unter diesem Titel hätte die Frankfurter Buchmesse den Erfahrungsaustausch der E-Book-Experten im Rahmen der Digitalisierungs-Konferenzen „Publishers Launch“ und „Tools of Change Frankfurt“ fassen können. Auch im Jahr vier nach dem Kindle-Debüt in den USA sind die Unterschiede zwischen der angelsächsischen E-Welt und dem Rest des Globus, was den Fortschritt des digitalen Buchmarkts betrifft, immens – gleichwohl zeichnen sich jenseits der Makro-Perspektive einige ähnliche Trends ab.

Tempounterschiede: Während in den USA und Großbritannien die Marktanteile auch im Publikumsbereich an der zweistelligen Prozent-Marke kratzen und in einzelnen Warengruppen bereits weit darüber liegen, liegt der Anteil von E-Books an den Gesamtumsätzen in fast allen anderen Ländern maximal bei 1%. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Rüdiger Wischenbart, der auf über 40 Seiten die digitalen Entwicklungen wichtiger Buchmärkte untersucht.

Ausnahme laut der Statistiker von A.T. Kearney: Südkorea, wo die E-Book-Penetration mit rund 15% fast auf dem Niveau der USA liege. Ihre Prognose: Die hohen Zuwachsraten auf dem chinesischen (auch digitalen) Buchmarkt werde dazu führen, dass Deutschland mittelfristig als zweitgrößter Buchmarkt der Welt abgelöst werde.

„Bei uns könnte etwas zu Weihnachten passieren“, formulierte der Literaturagent Peter S. Fritz beim Publishers Launch die Hoffnungen der deutschen Branche, dass der US-Trend wiederholt wird. Dort stellten  die Verlagsdienstleister Bowker einen „Hockey-Stick-Effekt“ im Weihnachtsgeschäft 2010 fest: Lag der Umsatz mit E-Books 2008 in den USA noch unter 800 Mio Dollar, wuchsen die Erlöse 2010 auf 1,8 Mrd Dollar.

Eine Erklärung: Traditionelle Branchenakteure in Kontinentaleuropa hätten lange Zeit das Digitale als Gefahr eingeschätzt. Mike Shatzkin, Buchbranchen-Berater aus den USA (The Idea Logical Company), geht dennoch davon aus, dass Deutschland den Rückstand wettmachen kann: „Möglicherweise wird das digitale Tempo in Deutschland bald höher ausfallen – obwohl das Establishment versucht hat, den Markt auszubremsen“, so Shatzkin gegenüber buchreport (das Videointerview ist unter url.buchreport.de/shatzkin zu sehen).

Digitale Globalisierung: Besonders für englische und spanische Verlage verschwimmen die Landesgrenzen, was attraktive Perspektiven ergibt. Kobo-Manager Michael Tamblyn taxierte das Umsatzwachstum des E-Book-Händlers mit englischen Titeln außerhalb der USA/GB im vergangenen Jahr auf über 300%, mit den höchsten Zuwächsen in Südafrika, Schweden und Kuwait – Märkte, auf denen die lokalen Akteure extrem defensiv agieren.

Der für die Kindle-Inhalte-Akquise verantwortliche Amazon-Mann David Naggar (Foto: Fr. Buchmesse) verwies auf den spanischen Großverlag Santillana, der via Kindle-Store mehr E-Books verkauft als über alle anderen Kanäle in Spanien und Lateinamerika zusammen. Der Verlag sei von einem Verhältnis der in den USA via Kindle verkauften E-Books gegenüber den in Spanien abgesetzten Titeln von 1:15 ausgegangen; aktuell liege das Verhältnis bei 2:1. Auffällig hoch sei der Anteil der Backlist an den gesamten Kindle-Umsätzen, der bei einem großen französischen Verlag bei zwei Dritteln liege.

Self-Publishing: Die Zeit, in der viele Verlage die Konkurrenz der Direktvertriebs-Autoren belächelt haben, scheint vorbei zu sein. Auch hier ein globaler Trend: In der Kobo-Statistik liegt der Anteil der Self-Publishing-Absätze am gesamten E-Book-Absatz zwischen 7% (USA) und 14% (Afrika). Schwerpunkte sind Romance-, erotische Titel und Thriller.

Kannibalisierung: Ob elektronische Bücher bereits zu Verlusten in der Print-Bastion führen, ist umstritten. Die Statistiker von A.T. Kearney sehen in ihrem internationalen Vergleich deutliche Anzeichen und verweisen auf den Einbruch der Umsätze mit gedruckten Büchern in den USA von Januar bis Mai 2011 (–16% zum Vorjahr), während die E-Books um 160% zugelegt hätten. Ähnlich argumentiert der Verlagsdienstleister Bowker: Verlage müssten eineinhalb Mal so viele E-Books verkaufen, um die Effekte der Kannibalisierung zu kompensieren.

Im Kontrast dazu stehen die Ausführungen von David Naggar, Ex-Random House-Manager, der als Vice President für Kindle-Inhalte zu Amazon wechselte: Sowohl für das eigene US-Geschäft mit Print-Büchern als auch für die Kindle-Vertriebsschiene vermeldet Naggar deutliche Zuwächse. Hintergrund: Die Kindle-Kunden kauften deutlich mehr (gedruckte und digitale) Bücher als herkömmliche Leser. Selbst in dem noch jungen deutschen Markt legten die Kindle-Kunden schon heute drei Mal mehr Bücher in den Warenkorb.

Mobiles Internet: Sowohl in den großen Induistrienationen als auch den Schwellenländern sind die Hoffnungen groß, dass durch die wachsende Verbreitung von Smartphones auch der mobile Commerce wächst. Bei Google registrieren die Rechner täglich 550.000 Aktivierungen von Android-Geräten. Laut Nielsen sind weltweit 5 Mrd Smartphones mit Internetanschluss im Einsatz. Die Smartphone-Penetration schwankt und liegt in Deutschland demnach bei 30%, in Polen schon bei 38% und den USA bei 40%. Die Zahl der Tablets liege weltweit bei 50 bis 70 Mio.

Multichannel vs. digitale Monokultur: Uneinigkeit auch in der Frage nach der Zukunft des stationären Handels. Während die Barnes & Noble-Strategen am Main ihren Multichannel-Ansatz feiern, sieht Shatzkin den Handel in der „Todesspirale“ – die Verlagerung ins Netz könne nicht mehr gestoppt werden.

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