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Gewinnt die schnellste Kritik, Herr Mangold?

Verlage klagen über frühzeitige Besprechungen von Spitzentiteln. Aktuell streiten Rowohlt und der „Spiegel“ über einen Beitrag zu Daniel Kehlmann vor Erscheinen des Romans „Ruhm“. Ijoma Mangold, Literaturredakteur der „Süddeutschen Zeitung“, äußert sich im buchreport-Interview über Sperrfristen und Aktualität.

Mangold (37) wird im April stellvertretender Feuilleton-Chef der „Zeit“. buchreport erscheint im Harenberg Verlag, einer Tochter des Spiegel-Verlags.

Warum noch an Sperrfristen halten?
Weil die Idee der Literaturberichterstattung doch ist, dass man ein Publikum für Bücher begeistert, und zwar für Bücher, die sie auch kaufen können. Dieser Zugriff verpufft aber völlig, wenn man Bücher bespricht, bevor sie im Buchhandel sind. Das Gedächtnis der Leser – und daraus kann man ihnen keinen Vorwurf machen – ist kurz. Wenn sie am Freitag eine Rezension lesen, gehen sie am Samstag in die Buchhandlung, um das Buch zu kaufen. Wenn es dort nicht liegt, sondern erst in einer Woche erscheint, hat sich meist schon der nächste Titel vorgeschoben, für den sie sich mehr interessieren.
Immer weniger Zeitungen richten sich nach dieser Vorgabe. Warum ist es so wichtig, bei Rezensionen der Erste zu sein?
Das sind zum Teil irrationale Prozesse, deren Dynamik sich nicht vernünftig begründen lässt. In der Tat ist es so, dass in den vergangenen Jahren dieser vermeintliche Aktualitätsdruck in den Köpfen der Redaktionen extrem zugenommen hat. Warum das so ist, weiß ich nicht. Vielleicht hat es etwas mit der verschärften Konkurrenz unter den Medien zu tun. Seither gibt es ein Wettrennen, wer schneller ist mit einem Thema. Früher gab es gerade bei angesehenen journalistischen Institutionen viel stärker auch die Souveränität zu sagen: „Für uns ist etwas ein Thema, wenn wir es entscheiden.“ Diese Haltung gibt es kaum mehr.
Wie macht sich der Wettlauf bemerkbar?
Er begann am auffälligsten bei den Kinorezensionen: Es gibt bei fast allen Zeitun-gen den sogenannten „Mittwochsfilm“, die Rezension des wichtigsten Films der Woche, die einen Tag vor Filmstart erscheint. Früher erschien der Beitrag selbstverständlich am Donnerstag, damit der Leser am Abend ins Kino gehen konnte, um sich den Film anzuschauen. Dann fing irgendwann einer an, diesen Film bereits am Mittwoch ins Blatt zu holen, und alle Zeitungen folgten. Es gab sogar eine Phase, als sich manche Blätter überboten und sogar auf den Dienstag gingen. Das hat sich zum Glück nicht durchgesetzt. Dieses Phänomen gibt es – im Interesse des Lesers ist es bestimmt nicht.
Können sich Zeitungen dem entziehen?
Diese Prozesse sind nicht kontrollierbar, im Sinne des Sportsgeist steckt dieses Phänomen zu sehr in den Köpfen der Redakteure. Es leuchtet mir von der Logik der Produktion auch ein, dass dieser Druck bei Wochenzeitungen oder Magazinen sehr viel stärker ist. Der „Spiegel“ oder die „FAS“ brechen die Sperrfrist ja nicht hin und wieder, sondern grundsätzlich. Um es zugespitzt zu sagen: Ein Buch, das es schon zu kaufen gibt, wird dort in der Regel ja nicht mehr besprochen.
Für die Verlage, die ihr Marketing auf den Erscheinungstag abstimmen, steht offensichtlich viel auf dem Spiel. Manche fordern die Unterzeichnung einer Vertraulichkeitserklärung, bevor sie Fahnen an die Journalisten versenden. Wie legitim ist das Interesse der Verlage, die Rezension zeitlich zu steuern?
Wenn eine Redaktion sich entscheidet, eine solche Unterschrift zu verweigern, ist dies natürlich vollkommen gerechtfertigt. Der Versuch der Verlage, die Rezeption zu steuern, ist ebenso legitim. Die Frage ist nur, für was entscheidet sich der gesunde Menschenverstand im Interesse des Lesers? Auch die Haltung der Verlage finde ich etwas zwielichtig, denn häufig läuft sie nach dem Prinzip ab: Erst drohen wir ganz gewaltig und sorgen durch diese Drohung gar noch für gesteigertes öffentliches Interesse, denn eine juristische Strafandrohung bei Missachtung einer Sperrfrist lässt sich auch fürs Marketing instrumentalisieren, dann wird die Sperrfrist gebrochen, und es folgt – nichts. Das ist natürlich ein schlechter Witz, der alle Beteiligten verärgert. Mein Vorschlag an die Verlage wäre: Schickt die Bücher erst dann raus, wenn sie auch im Handel erscheinen. – Das macht die Sache spannender, denn dann sind die Rezensenten gefragt, schnell zu lesen und es gibt einen richtigen Wettkampf. Das fände ich eine schöne Lösung, die übrigens früher nicht unüblich war; ich erinnere nur an Peter Handkes „Mein Jahr in der Niemandsbucht“, als sich die Redakteure ein Exemplar persönlich bei Suhrkamp in Frankfurt abholen mussten.
Welchen Druck löst die wachsende Schnelligkeit des Buchmarktes bei den Literaturredaktionen aus?
Das Rennen um die schnellste Rezension gibt es nur bei den wirklich großen Namen, pro Saison bei maximal fünf Titeln: Das funktioniert bei Kehlmann oder Martin Walser, bei vielen anderen aber nicht. Bei der gesamten übrigen Literaturproduktion verhalten sich die meisten großen Literaturredaktionen ähnlich: Wenn sie ein Buch für wichtig halten, besprechen sie es, selbst wenn es vor zehn Monaten erschienen ist. Die Verlage wollen natürlich, dass nach dem Erscheinen eines Titels in den nächsten vier Wochen alle Zeitungen darüber berichten. Das ist aber nicht möglich, weil wir nicht nur im Februar und Oktober Rezensionen bringen, sondern während des gesamten Jahres.
Man hat den Eindruck, dass immer häufiger Interviews die Rezension ersetzen und der Autor als Person in den Vordergrund tritt. Geht der Trend von der Besprechung zum Talk?
Sicher nicht in einem kulturpessimistischen Sinne: Die Rezension bleibt ein wichtiges Genre, das nicht im Rückzug begriffen ist. Richtig ist, dass andere Vermittlungsformen sich an ihre Seite gesellt haben und immer mehr Platz beanspruchen, wenn auch nicht auf Kosten der Rezensionen. Das Interview ist natürlich ebenfalls ein schönes journalistisches Format. Das Problem ist nur, wie sich ein Interview zu einer Rezension verhält. In der Praxis ist es doch so, dass ein Interview mit dem Autor faktisch festlegt, dass die Rezension ein Lob wird. Deswegen bringen wir bei der „Süddeutschen Zeitung“ immer zuerst die Rezension, und wenn wir dann noch der Meinung sind, dass der Autor wirklich dafür steht, folgt zu einem späteren Zeitpunkt ein Interview.

Die Fragen stellte Till Spielmann; aus: buchreport.magazin 2/09

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