Im wissenschaftlichen Publizieren sind europäische Firmen führend. Derk Haank leitet mit Springer SBM einen führenden STM-Verlag. Er plädiert für eine Konzentration auf die Kernkompetenz der Verlage:
Fast überall auf der Welt wird in Forschung und Entwicklung investiert, auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Jedes Jahr gibt es mehr Forscher, entsprechend wächst die Zahl wissenschaftlicher Artikel seit 25 Jahren stetig, und wir haben Bibliothekskunden, die am liebsten alle unsere Publikationen kaufen wollen. Das ist eigentlich eine hervorragende Ausgangslage – wenn nur das Budget der Bibliotheken ausreichte. Die Diskrepanz von Publikationsvolumen und Erwerbungsbudgets ist und bleibt die große Herausforderung der STM-Verlage.
Als ich 1986 in die Branche eintrat, mussten wir mit Abonnement-Kündigungen infolge schrumpfender Bibliotheksbudgets leben. Weniger Abonnements wurden vom Verlag durch höhere Preise ausgeglichen. Dadurch blieben wir zwar zunächst profitabel, aber unseren Kunden war natürlich nicht gedient und auf lange Sicht war die Entwicklung besorgniserregend. Für den ganz großen Veränderungsimpuls sorgte die Erfindung des Internets. Es stellte eine ernsthafte Bedrohung dar. Wenn wir nicht reagiert hätten, gäbe es viele Verlage heute nicht mehr. Wir hätten das Schicksal der Musikindustrie geteilt.
Aber die Wissenschaftsverlage haben gehandelt. Sie haben die Revolution des Internets als Chance begriffen und es schließlich geschafft, für die neuen Rahmenbedingungen auch neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Mit dem sogenannten „Big Deal“ verkaufen wir Zeitschriften nicht mehr einzeln, sondern im Paket. Bibliotheken und Leser erhalten dadurch wesentlich mehr Inhalte für ihr Geld und der Preis für ein einzelnes Dokument sinkt. Gleichzeitig bringen Online-Publikationen wesentliche Vorteile in der Nutzung, weil wir innerhalb der Verlagsbranche unsere Datenbanken verknüpft haben. So können die Nutzer heute ohne Probleme verlagsübergreifend von einem Artikel zum anderen wechseln.
Open Access wird bleiben
Das Internet eröffnete weitere Möglichkeiten. Mit Open Access entstand auch die Idee, dass Wissenschaftler online selbst publizieren und ihre Inhalte kostenfrei allgemein zugänglich machen. Viele Forscher machten allerdings die Erfahrung, dass die Verlagstätigkeit viel Arbeit bedeutet und ineffizient ist, wenn man sich nicht ganz darauf konzentriert. Damit wurde Open Access für Verlage interessant, weil es die Möglichkeit eines Geschäftsmodells eröffnete, den sogenannten „goldenen Weg“. Autoren können weiterhin in renommierten Zeitschriften publizieren, aber ihre Beiträge werden sofort und für den Leser kostenfrei online zugänglich gemacht. Für die Publikationsleistung des Verlags zahlen in diesem Modell nicht Bibliotheken, sondern Autoren und ihre Forschungsinstitutionen.
Probleme habe ich dagegen mit dem „grünen Weg“, bei dem von Verlagen publizierte wissenschaftliche Artikel nach einer bestimmten Zeit kostenlos ins Internet gestellt werden. Das ist eine Parallelpublikation ohne eigenes Geschäftsmodell, die daher ohne das traditionelle Abonnementsmodell nicht funktioniert. Wenn man wirklich Open Access für eine Publikation möchte, dann sofort und nicht erst sechs oder zwölf Monate später, und dann sollten auch die Publikationskosten gedeckt werden.
Open Access wird bleiben. Ich gehe davon aus, dass das Modell in Zukunft einen Anteil von 10%, vielleicht sogar 15% am wissenschaftlichen Publizieren haben wird. Allerdings ist Open Access nicht die Lösung für die Finanzierungsprobleme der wissenschaftlichen Bibliotheken. Die wesentliche Herausforderung der STM-Branche bleibt, dass das wachsende Volumen der veröffentlichten Forschungsergebnisse das Wachstum der Bibliotheksbudgets weit hinter sich lässt. Dabei sind die Preiserhöhungen der Verlage in den vergangenen zehn Jahren unter dem Mengenwachstum und der Inflation geblieben.
Verschärft wird die Situation durch die globale Finanzkrise, die zu einer Finanzkrise der Regierungen geworden ist, denn ein Großteil der Forschungsliteratur wird direkt oder indirekt durch öffentliche Gelder finanziert. Und ein weiterer wichtiger Faktor: Die Wissenschaft ist international und es spielt für einen Verlag keine Rolle, ob ein Autor aus Brasilien, China, Deutschland oder den USA kommt. Staaten wie China und Brasilien sind es aber bisher gewohnt, unverhältnismäßig wenig für den Zugang zur Forschungsliteratur zu bezahlen. Hier müssen wir größere Ausgewogenheit erreichen.
Trotz aller Herausforderungen ist positiv festzuhalten: Das wissenschaftliche Verlagswesen ist in den vergangenen 25 Jahren gewachsen, und es gibt Möglichkeiten, auch weiterhin zu wachsen. Eine Möglichkeit sind neue Kunden, zum Beispiel außerhalb der akademischen Einrichtungen. Durch die Umstellung von Papier zu Datenbanken lassen sich unsere Publikationen leichter an Unternehmens- und Industriekunden verkaufen. Hier verzeichnen wir stärkeres Wachstum – von einer niedrigen Basis, aber immerhin – als im akademischen Kernmarkt.
Maßgeschneiderte Lösungen
Unternehmenskunden sind natürlich nur an einem kleinen Teil unserer Publikationen interessiert und anders als akademische Bibliotheken wollen sie keine Zeitschriften abonnieren oder Sammlungen aufbauen. Für Publikationen in einer Datenbank lassen sich aber maßgeschneiderte Lösungen finden, und wir experimentieren mit Geschäftsmodellen, die in der Printwelt unmöglich gewesen wären. Dieser Markt wird sich weiterentwickeln, ebenso wie Modelle für Individualkunden.
Die Öffnung von Archiven ist eine weitere Chance für Wachstum. Ein digitales Archiv erhöht vom ersten Tag an die Zufriedenheit der Kunden und trägt sich mit der Zeit selbst. Fast alle Wissenschaftsverlage bieten inzwischen ihre Zeitschriftenarchive digital an. Bei Springer haben wir jetzt angefangen, auch alle Bücher zu digitalisieren, die seit 1842 bei uns erschienen sind. Das „Springer Book Archive“ verdeutlicht, was auch in Zukunft unsere Aufgabe bleiben wird: Wir sollten uns auf die Verlagstätigkeit konzentrieren, neue Technologien nutzen, wenn sie sinnvoll sind, und vor allem offen sein für neue Geschäftsmodelle.
Derk Haank
Der Beitrag basiert auf einem Vortrag von Derk Haank bei der Konferenz Academic Publishing in Europe (APE) im Januar 2012 in Berlin.
Zur Person: Derk Haank
1953 in Terborg (Niederlande) geboren. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft (Universität Amsterdam) war Derk Haank von 1978 bis 1986 an der Freien Universität Amsterdam als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Von 1986 bis 1991 arbeitete er in führenden Management-Positionen bei europäischen Tochtergesellschaften von Elsevier Science in Oxford und London, ab 1991 Chief Executive Officer (CEO) bei Misset (B-to-Bereich von Elsevier), ab 1998 CEO bei Elsevier Science sowie Vorstandsmitglied bei der Konzernmutter Reed Elsevier. Im Februar 2004 wechselte Haank zur Konkurrenz: Als CEO an die Spitze von Springer Science+Business Media.
aus: buchreport.magazin 4/2012
Kommentar hinterlassen zu "Goldene Wege gehen und neue Kunden finden"