Was bleibt von den diesjährigen Buchtagen, mag sich so mancher Berlin-Heimkehrer gefragt haben. Zwei Wochen später steht zumindest für die internetaffine Buchgemeinde fest, dass über die von den Spartenvertretern Matthias Ulmer, Heinrich Riethmüller und Matthias Heinrich vorgelegten 55 Thesen zur Entwicklung der Buchbranche bis 2025 im Rückblick am meisten diskutiert wurde, und zwar rege und kontrovers.
Gros der Thesen erntet Zustimmung
Die Debatte reicht bisher von der Auseinandersetzung mit den Prognosen, eine Metadiskussion über die beste Form des Thesen-Diskurses bis hin zur inhaltlichen Weiterentwicklung.
Nicht nur die Resonanz auf die Thesen – ein Facebook-Post, in dem buchreport eine Umfrage zu den Thesen ankündigte, erntete alleine rund 60 Kommentare – ist für Ulmer & Co. als Erfolg zu werten.
Auch inhaltlich haben die Branchen-Auguren den Nerv der Leser getroffen, wie eine Auswertung von rund 90 Abstimmungen der buchreport-Umfrage (Stand der Auswertung ist 20. Juni 2011 zeigt:
- Hier geht’s zu den detaillierten Endergebnissen der Umfrage mit den Kommentaren der 94 Teilnehmer, (alternativ hier eine etwas schönere Übersicht mit Balken, aber ohne Kommentare)
- Nachfolgend die Zusammenfassung.
Bei den allermeisten Thesen haben die Teilnehmer ihre Zustimmung signalisiert, wodurch sich ein großes Krisen-Bewusstsein abzeichnet:
- Sortiment: 83% der Befragten gehen wie Ulmer & Co. davon aus, dass der Buchhandel in den kommenden 14 Jahren fast ein Drittel der Erlöse einbüßt. Anschlussthese: Fast zwei Drittel glauben, die Verlage müssten ihre Fokussierung auf den stationären Handel reduzieren.
- Verlage: 85% meinen, die Bücher-Produzenten verlören Marktanteile an neue Content-Anbieter; fast genauso viele sehen Nachholbedarf bei Konzeption, Produktion und Vermarktung multimedialer Bezahlinhalte.
- Zwischenbuchhandel: Fast zwei von drei Befragten rechnen mit „stark rückläufigem Volumen“, flankiert von einer durch die Entwicklungen im Handel und bei Verlagen verschärften Konzentration (75% Zustimmung).
- Auswege: So klar die Zustimmung zum Wandel, so umstritten die Frage nach den Konsequenzen: Fast die Hälfte der Befragten geht – anders als die Thesen-Autoren – nicht davon aus, dass die Umsatzrückgänge bei gedruckten Büchern durch Paid Content-Zuwächse ausgeglichen werden können.
- Zwar räumen 76% ein, dass neue Flächenkonzepte im Handel fehlen, ob die Händler aber die durch Umsatzrückgang frei werdenden Flächen durch neue Produkte auffüllen sollen, ist unklar. „Non Books sind Verlust der Kernkompetenz“, schreibt ein Teilnehmer per Kommentarfunktion. Bis zu 15% Umsatz seien durch „sortimentsnahe“ Produkte generierbar, danach verwische sich aber das Profil. „Flächenrückbau scheint da eine Alternative.“ Uni sono ein anderer Teilnehmer: „Gourmetbuchhandlung statt Regalmetertristesse.“
Verband muss gemeinsamen Nenner neu formulieren
Dass sich die Branche an allen Ecken wandelt, spiegelt sich auch mit Blick auf das Feedback zu den Thesen rund um den Börsenverein wider:
- Verband: Der Börsenverein müsse sich entscheiden, ob er den verbliebenen Buchmarkt oder neue Marktmitglieder repräsentiert, dies befürworten 71%.
- Eine neue und verständlichere Formulierung des „Prinzips Buch“ als gemeinsamem Nenner der divergierenden Sparten fordern 71%.
- Messe: Rückläufige Besucher- (Sortimenter) und Ausstellerzahlen (Verlage) in Frankfurt und Leipzig werden von über 60% schon „eingepreist“; besonders das Profil der Schau an der Pleiße erscheint problematisch.
- Libreka: Fast jeder zweite Teilnehmer widerspricht der Annahme, dass die Marktentwicklung dem Geschäftsmodell des MVB-Portals entgegen kommt.
Update: Am heutigen Freitag, 24. Juni, hat der Börsenverein angekündigt, dass das Forum Zukunft am 8./9.September 2011 auf Basis der auf den Buchtagen Berlin vorgestellten 55 Thesen eine Zukunftskonferenz veranstaltet, organisatorisch begleitet und moderiert von Ehrhardt F. Heinold, Heinold, Spiller & Partner Unternehmensberatung (hier mehr Infos).
Die Initiative von den Kollegen Ulmer, Riethmüller und Heinrich wird sich hoffentlich als sehr wertvoll und damit meine ich vor allem nachhaltig für die Buchbranche erweisen. Sie braucht deswegen eine adequate Fortsetzung in den Gremien…
Höchstes Lob aus Heidelberg
Arnoud de Kemp
Verleger
Akademische Verlagsgesellschaft AKA GmbH