Vor einem Jahr haben die „Zeit“-Autoren Kilian Trotier und Maximilian Probst bereits in einer großen 3-Seiten-Reportage den revolutionären Aufstieg Amazons porträtiert, Bewunderer und Kritiker zu Wort kommen lassen, letztlich Amazon als „Gigant ohne Geist“ bezeichnet und gewarnt: „Der Buchkultur, wie wir sie kennen, droht der Kollaps.“
Jetzt legen die Autoren („Die Zeit“, 25.7., S. 37 und mittlerweile auch online nachlesbar) nach und werden deutlich schärfer, beschreiben Amazons Vorgehen als Krieg: Ein „systematischer Feldzug durch den weltweiten Buchmarkt“ mit nur einem Sieger, festgemacht an Entwicklungen der vergangenen Monate. Grob zusammengefasst:
- Amazon treibe die größte US-Buchkette Barnes & Noble in den Enge, die zuletzt schlechte Zahlen präsentierte und ausgerechnet im Digitalbereich schwächelt.
- Amazon habe mit Staatshilfe und dem E-Book-Kartellverfahren den Hauptkonkurrenten Apple abgehängt und indirekt Unterstützung für seine Dumpingpreis-Praxis erhalten.
- Sobald Amazons Position gesichert sei, erhöhe das Unternehmen die Preise. Wie berichtet, ist dies bei vielen Büchern kleiner Verlage sowie wissenschaftlichen Titeln offenbar schon geschehen.
- Resümee: „In der amerikanischen Heimat steht der letzte Schritt zur Alleinherrschaft unmittelbar bevor.“
Auch in Europa, so Trotier und Probst, beginne sich jetzt ebenfalls das „Fenster der Möglichkeiten“ zu schließen angesichts der Marktdominanz von Amazon im Online-Buchhandel und im E-Book-Geschäft sowie angesichts der Preisaggressivität mit hauseigenen E-Books und dem begonnenen Aufbau eigener Verlagsprogramme. Die Autoren kritisieren die EU-Kommission scharf, die kein Problembewusstsein zeige und in den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA sogar womöglich die Buchpreisbindung opfere.
Verwirrung um die Rolle des Börsenvereins
Der Clou des enagagierten Artikels: Nach dem Untergangsszenario präsentieren die Autoren einen Rettungsansatz, mit dem zumindest Amazons E-Book-Dominanz gebrochen werden soll – durch Öffnung des bisher geschlossenen Kindle-Systems, auf dass Besitzer von „Kindle“-Readern E-Books auch von anderen Anbietern kaufen könnten und nicht von Amazon abhängig sind.
Eine Schlüsselrolle kommt dabei dem Börsenverein zu: Weil Brüssel zu passiv sei, schreibt die „Zeit“, fordere der deutsche Verband, „nun ein Kartellverfahren gegen Amazon auf nationaler Ebene anzustrengen. Tätig werden und Amazon zwingen, sein geschlossenes System zu öffnen, könnte das Kartellamt, wenn das Unternehmen mehr als ein Drittel des Marktes beherrscht.“ Das sei nach einer vom Börsenverein in Auftrag gegebenen Studie der Fall… (Auch laut GfK hält Amazon seit 2012 einen Anteil von 41% am E-Book-Markt).
Der Haken an dieser Geschichte: Beim deutschen Branchenverband zuckt man nach buchreport-Nachfrage nur mit den Schultern: „Nein, der Börsenverein hat sich beim Bundeskartellamt wegen Amazon nicht beschwert. Das muss ein Missverständnis sein.“
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