Jedes Jahr erfindet sich die Frankfurter Messe ein Stück weit neu. Der Spagat zwischen traditionellem Kern und neuen Geschäften wird weiter. Dass die Branche immer weniger hermetisch ist, vergrößert die Herausforderung. Das ist nicht nur eine Frage der Inhalte, sondern auch von Format und Struktur.
Der jährliche Branchenfokus wird wieder neu justiert. Wie bunt oder vielleicht doch eher: Wie zerfasert, wie identitätssuchend und wie sehr im Umbruch das Buchgewerbe ist, wird in der zweiten Oktoberwoche deutlich schärfer sichtbar werden.
Die Frankfurter Buchmesse bereitet mit Hochdruck die Bühne für einen immer größeren Spagat, mit dem sie die vielfältigen Ausprägungen und Weiterungen der Branche unter einem Dach vereint. Das Kunststück besteht dabei darin, die Veranstaltung sowohl weiter zu öffnen für verwandte Branchen und neue Veranstaltungsformate als auch Pflöcke einzuschlagen, um den Messemoloch orientierungsstiftend so zu bändigen, dass jeder Teilnehmer „sein“ Frankfurt definieren kann.
Buchmessechef Juergen Boos und sein Team haben jedenfalls in den letzten Jahren die Arme immer weiter ausgebreitet, um neue Teilnehmer und Themen zu akquirieren. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, die angebahnten Veränderungen offensiver und zugespitzt zu kommunizieren.
An der eingeführten Marke „Buchmesse“ wird zwar nicht gerüttelt, aber spätestens seit das Format Buch auf dem Rückzug und das Prinzip Buch als Hilfskonstruktion eingeführt ist, wird der vom Produkt gelöste Inhalt zur großen Klammer. Das Motto lautet: „Wir sind die Content-Messe.“
Diamanten und andere Schätze
Im Frühjahr hat Messechef Boos unter dem Betreff „Handel mit dem Rohstoff Content ist das Wesen der Frankfurter Buchmesse“ das Leitmotiv erstmals lautstark intoniert. Die Herleitung für Anspruchsvolle:&nbs
- Die traditionellen linearen Verwertungsketten vernetzen sich im digitalen Zeitalter zu „Verwertungsräumen“.
- „Inhalte sind der Rohstoff nicht nur für die Buchbranche, sondern auch für die Kreativbranchen wie Film und Games.“
- „Wir sind die Content-Messe. Hier treffen sich die Veredler und Verwerter des Rohstoffs Inhalt.“
Einmal in richtig Fahrt wird die Content-Messe per Metapher sogar zur Börse der härtesten, wertvollsten und glitzerndsten Währung aufpoliert. O-Ton Boos: „Ein guter Rechtehändler ist wie ein Diamantexperte: Er kennt das Potenzial seines (Roh-)Stoffs und stellt sicher, dass er das Werk seines Autors an einen kompetenten Veredler übergibt, der ihn auch in anderen Zusammenhängen zu weiterer Geltung bringen kann.“ Die Buchbranche sitze auf einem „Schatz“ an Inhalten …
Das Wortgeklingel vor der 63. Frankfurter Buchmesse begleitet tatsächliche strukturelle Veränderungen der Veranstaltung:
- Der Handel mit den Schätzen wird crossmedial gebündelt und ins Zentrum gerückt.
- Die Buchmesse wird zum Kongress.
Lit- und Story-Agenten werden Nachbarn
Dass das Wesen der Messe der Handel mit Content ist, lässt sich schlecht anschaulich machen. Aber dass das bisher in Halle 6.2 abgelegene Agentenzentrum „LitAg“ erweitert wird und auf die 7000 qm der kompletten Halle 6.0 zieht, hat aber schon etwas Demonstratives.
Zugleich wird der bisher frei schwebende Versuchsballon „StoryDrive“ räumlich integriert, jener Ansatz, andere Kreativbranchen an die Buchmesse anzudocken, namentlich Vertreter aus der Film- und Gamesbranche. Damit soll neben den traditionellen Gesprächen von Agenten, Scouts und Verlagseinkäufern der crossmediale Rechte- und Lizenzhandel befeuert und die Idee der Contentmesse gelebt werden.
Hinzu kommt unter dem Label „Frankfurt StoryDrive-Konferenz“ ein Programm, das vermitteln soll, wie die Rechtehändler der verschiedenen Kreativbranchen ticken. „Master Classes“ genannte Workshops haben die Themen Stoffentwicklung, Finanzierung, Pitching und crossmediale Zusammenarbeit auf der Agenda. Auch Match-Making- und Pitch-Veranstaltungen gehören zum Konzept, um neue Formen der Kooperation über Branchengrenzen hinweg zu finden. Zusammen mit dem Rights Directors Meeting, dem weltgrößten Treffen der Rechtehändler, will Frankfurt so nicht nur die Marktführerschaft gegen London verteidigen, sondern auch mit zusätzlichem Nutzen die Funktion eines realen Rechtehandelsplatzes verteidigen, in einer Zeit, in der virtuelle Handelsplätze in vielen Wirtschaftsbranchen auf dem Vormarsch sind.
Die Gratwanderung besteht in der Integration anderer Kreativbranchen, um die Verwertungskette zu verlängern, ohne in die Beliebigkeitsfalle zu laufen.
Rahmenprogramm neu positioniert
Der zweite, in diesem Jahr ebenfalls forcierte Ansatz ist die Aufwertung des „Rahmenprogramms“ zum vollwertigen Kongress. Auch hier werden Programmerweiterung, Integration und marketinggerechte Etikettierung verbunden:
- Messeeigene Kongresse und Fachveranstaltungen werden ausgebaut und unter dem Label „Frankfurt Academy“ zusammengefasst.
- Durch das „Academy“-Programm wird die Veranstaltung der Buchmessetage von Mittwoch bis Sonntag durch die vorgelagerten Termine zur kompletten Woche gerundet.
- Für Messechef Boos sorgen die Programmpunkte für eine stärkere Strukturierung der Buchmesse.
- Das Konferenzprogramm ist mit den Tagungsgebühren auch ein Wirtschaftsfaktor.
Um erfolgreich zu bleiben, muss die Buchmesse in Frankfurt als Cashcow der Börsenvereinsgruppe nämlich ihre Größe erhalten. Um weiterhin die Umsatzgrößenordnung der letzten Jahre von 32 Mio Euro zu erreichen, wird zweigleisig gefahren; erstens mit der Gewinnung neuer Ausstellergruppen und Fachteilnehmern aus dem Mediensektor oder auch aus dem Medientechnologiebereich, um Rückgänge im Kernbereich auszugleichen, zweitens durch die Konferenzangebote. Die machen bereits laut Boos rund 10% des Umsatzes aus. Der Veranstaltungsreigen ist dem Vernehmen nach allerdings weniger rentabel als die Erlöse aus der Standflächenvermietung.
Das wirtschaftlich Nützliche mit dem konzeptionell Sinnvollen soll Holger Volland verbinden und weiterentwickeln. Der Marketingfachmann und zwischenzeitliche Börsenvereinskommunikator wurde kürzlich in die Buchmesse-Geschäftsleitung befördert mit Zuständigkeit fürs Konferenzsegment.
„Es gibt vier Hauptgründe für Fachbesucher auf die Messe zu kommen: Das direkte Geschäft, die Präsenz, die Kontakte und der Wissenszuwachs. Unsere Aufgabe ist es, diese vier Bedürfnisse durch ganz verschiedene Formate zu bedienen“, betont Volland die Gesamtstrategie der Content- und Kongress-Messe: „Wir trennen das nicht, hier Präsenz in den Ausstellungshallen, dort die Konferenz fürs Wissen, sondern wir versuchen an vielen verschiedenen Stellen thematisch geordnet möglichst viele von diesen vier Bedürfnissen der Messeteilnehmer abzudecken.“
Dazu gehört auch, die Konferenzen zwar möglichst hochkarätig zu gestalten, aber den Hauptmessenutzen der Kontaktbörse nicht zu vernachlässigen: „Wir achten sehr darauf, dass es große interaktive Praxisanteile gibt und die Teilnehmer auf diese Weise gute Möglichkeiten bekommen, sich kennenzulernen.“
Thomas Wilking,
aus: buchreport.magazin 9/2011
Kommentar hinterlassen zu "Handel mit dem Rohstoff Content"