Der stationäre Buchhandel ist ratlos. Mit hängenden Schultern und zitternden Knien steht er mitten in der Manege des Zirkus Librorum und gebannt start die Menge auf die Logen der Imperatoren, ob sich der Daumen senkt. Auf den Stammesfesten werden keine Siege mehr gefeiert, sondern Niederlagen verheimlicht. Von den niederen Rängen skandieren die Jünger des Digitalus: Ihr müsst den Buchhandel neu denken und meinen: Es ist Zeit für euch zu gehen. Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.
Zwei Vorschläge zur zwischenzeitlichen Entspannung:
Das Prinzip Buch
Bekanntermaßen liegt der Fokus der Arbeit des Börsenvereins zukünftig nicht mehr auf dem schnöden Buch, sondern auf dem „Prinzip Buch“. Neben den unschönen Begriffsassoziationen wie Hoffnung oder Eriwan eröffnet dieser Ansatz auch für den Buchhändler neue Horizonte. Das neue Denken birgt spannende Möglichkeiten: Es werden nicht mehr Bücher gehandelt, sondern nur noch deren Prinzip.
Wie könnte das aussehen? Ganz einfach. Der Buchhändler verkauft Lesederivate, zum Beispiel Optionen. Bei einer solchen Option erwirbt der Leser das Recht, ein Buch, das nie erscheint, zu lesen. Nach einer gewissen Zeit bescheinigt der Buchhändler dem Leser, dieses Buch gelesen zu haben. Beide Papiere sind nun frei handelbar, das heißt börsenfähig und können weltweit mit Hilfe des Börsenvereins verkauft und gekauft werden. Der Buchhändler verwaltet im wesentlichen die Lesedepots seiner Kunden und berät sie bei ihren Anlagestrategien.
Virales Marketing
Die Schweinegrippe hat gezeigt, wie man mit fiktiven Virengefahren viel Geld machen kann. Die Pharmaindustrie verdient Milliarden durch die Erfindung immer neuer Bedrohungen. Vor einigen Jahren titelte die „Bild“, dass in Berlin Fälle von Wundbrand aufgetaucht seien. In den nächsten Tagen meldeten sich Zehntausende bei den Gesundheitsämtern mit ähnlichen Symptomen. Diese Sonderform des viralen Marketings sollte sich die Buchbranche zunutze machen. Kampagnenvorschlag: Der Börsenverein startet eine Werbekampagne mit der zentralen Aussage, dass Lesen vor Krebs und vor Verkalkung der Blutgefässe schützt. Bestimmt gibt es irgendwo eine wissenschaftliche Studie, die das belegt. Der Gesundheitsminister reagiert mit einer Leseoffensive als Teil einer großen Gesundheitsreform. Claim: 100 Jahre lesen.
Gleichzeitig könnten kanadische Forscher herausgefunden haben, dass E-Books den Haarwuchs fördern und die Faltenbildung hinaus zögern.. Der Buchhändler rechnet direkt mit den Krankenkassen ab. E-Books gibt es einstweilen nur für Privatpatienten.
Wir erinnern uns, was diese Branche stark gemacht hat. Gemeinsam gute Bücher ambitioniert verkaufen. In Abwandlung des wehrlosen Brecht: Keiner aber sieht die Buchbranche genau, der nicht weiß, dass der Buchhandel das Schicksal der Verlage ist.
Hartwig Schulte-Loh war Geschäftsführer beim Berliner Kulturkaufhaus Dussmann und zuletzt Berater der Edel AG im Musikgeschäft. Aktuell lässt er sich zum Coach ausbilden und berät Firmen mit seinem Unternehmen Buchnet.
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