Schon lange ist das Fernsehen der gefühlte Erzfeind des Lesens. Getrieben vom Unterhaltungswahn zielt es auf niederste Instinkte und ist für viele ein Ausbund des Antigeistes, herabgestiegen unsere Hirne zu versanden. Das Aufkommen des Privatfernsehens in den Achtzigern führte zu einer Buchuntergangsstimmung. Jetzt macht das TV einen gewaltigen Schritt vorwärts. Es wird smart. Und ein möglicher Partner der Buchbranche.
Im Jahre 2010 betrug der Anteil des Fernsehens am Medienzeitbudget 39%. Ihm folgten das Radio mit 23% und das Internet mit 18%. Den undankbaren vierten Platz belegte das Lesen mit 6% (Tendenz fallend) annähernd gleichauf mit PC-Videospielen. Im Jahre 2011 werden voraussichtlich 3,1 Mio Fernseher mit Internetzugang verkauft, sogenannte Smart-TVs , eine Allianz, die Freizeit neu definieren wird.
Die Musikindustrie hat schon ein begieriges Auge auf diesen neuen Markt geworfen. Knapp 50.000 Musikvideos sind weltweit verfügbar. An den Plänen für ein Musikfernsehen à la carte wird intensiv gearbeitet. Allein die Bereitschaft der Deutschen für Content zu bezahlen ist noch wenig entwickelt. Im Gegensatz zu anderen Ländern bemüht sich z.B. das Bezahlfernsehen seit vielen Jahren, in Deutschland Fuß zu fassen. Ein wirklicher Erfolg ist bislang ausgeblieben.
Nun werden die Karten neu gemischt.
Für das visuelle Erlebnis ist ein Flatscreen mit großer Bildschirmdiagonale konkurrenzlos. Das könnte auch den E-Book-Markt für bildorientierte Bücher befördern. Insbesondere das Zusammenspiel verschiedener Geräte (Text-Tablet + Bild-TV ) verspricht neue Möglichkeiten.
Die ganzen Fragen über Zusatzmaterial für Bücher stellen sich neu, möglicherweise wird das Buch auch verstärkt Zusatzmaterial zum Film. Für die großen Buchhandels- und Verlagsunternehmen kann es in wenigen Jahren notwendig werden, ein eigenes TV-Programm zu unterhalten.
Zwar ist der Kiss-Standard (keep it simple and stupid) technisch noch nicht erreicht, doch ist die Dynamik der Entwicklung groß und wird getrieben von der Vorstellung eines zentralen Home-Entertainment-Zentrums, dem Fernseher.
Mehr als 200 Minuten verbringen die Deutschen im Durchschnitt täglich vor dem Fernseher. Ein riesiges Shopping- und Werbepotenzial. Es wird Zeit, dass die Buchwelt das Fernsehen verstärkt für sich nutzt. Im harten Wettbewerb um Freizeit gibt es nichts zu verschenken.
Hartwig Schulte-Loh war Geschäftsführer beim Berliner Kulturkaufhaus Dussmann und zuletzt Berater der Edel AG im Musikgeschäft. Zuletzt hat er sich zum Coach ausbilden lassen. Er berät Firmen mit seinem Unternehmen Buchnet.
200h pro Tag vor dem Fernseher zu sitzen ist schon eine Leistung 😉