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Hartwig Schulte-Loh: Stresstest für Filialen

Hartwig Schulte-Loh: Stresstest für Filialen
Hartwig Schulte-Loh: Stresstest für Filialen
Wir leben in dünnhäutigen Zeiten, sind ausgebrannt und reizbar. Jeder noch so kleine Anlass, den wir als potentielle Gefährdung unseres Wohlbefindens wahrnehmen, führt, da wo wir es können und dürfen, zu (Über)Reaktionen. Cocooning, also Vermeidung, ist eine Folge, der Erfolg des Onlinehandels eine Konsequenz. Wo anonym Menschen aufeinander treffen ist die Stressdynamik besonders ausgeprägt. Für die krisengeplagten Filialisten bedeutet das: Sie sollten nicht nur den Kunden, sondern auch den Menschen wahrnehmen lernen.
Entscheidend für den Erfolg des Onlinehandels waren und sind zwei Faktoren.
Zum einen die stressfreie Form von Auswahl und Einkauf; zum anderen die Entwicklung der Zahlungssysteme. Lange Zeit hing so manches am seidenen Faden.
Die Vorstellung des unkontrollierten Herumschwirrens der eigenen Kreditkartennummer im Cyberspace führte zu massiver Beunruhigung und Kaufverweigerung. Heute ist das Vertrauen in die Zahlungssysteme sehr hoch. Eine bemerkenswerte Kommunikationsleistung der Online-Industrie.
In der letzten Langzeitstudie des Börsenvereins zum Buchkäuferverhalten wurden die drei Kriterien: Auswahl, Übersicht und angenehme Atmosphäre als zentrale Gründe, eine Buchhandlung zu besuchen, identifiziert. Zu kurz gesprungen ist die Annahme gerade der Filialisten, die angenehme Atmosphäre entstünde im Wesentlichen durch Ladenbau. Ein sensibler Spaziergang durch eine Buchhandlung kann da erhellen.
Menschen müssen sich darauf freuen können einen Laden wieder zu betreten.
Der Einfluss von Licht, Wärme und Sauberkeit sind sattsam bekannt, ebenso die Wichtigkeit freundlicher und kompetenter Buchhändler. Aber schon eine dunkle, unaufgeräumte Ecke kann Irritationen auslösen, ein schlechter Geruch negative Empfindungen begründen und die ewig gleiche Spiegel-Bestsellerliste im Eingangsbereich Langeweile provozieren. Das weite Feld der Verkaufspsychologie ist ein ergiebiger Fundus für Inspirationen.
Das Faktoren-Cluster, Stress und Wohlbefinden, hat aber auch eine andere, grundsätzliche Konsequenz. Da unterschiedliche Bevölkerungsgruppen differenziert empfinden, empfiehlt es sich, Buchhandlungen anders zu strukturieren. Weg von den Themenwelten, hin zu Zielgruppenwelten oder Zielgruppenbuchhandlungen.  Senioren, Familie, Frauen, Kids, IQ 150, usw. sind Gruppen mit spezifischen Wohlfühl-  aber auch Produktbedürfnissen. Auch im Nonbook-Angebot könnten so die Streuverluste verkleinert werden.
Den Filialleitern der Filialisten wird eine besondere Bedeutung zukommen. Sie müssen lernen eher Gastgeber als Verwalter zu sein.
Verkleinerung der Flächen ist nichts anderes, als die Kapitulation vor der Herausforderung, kreative, neue Konzepte zu wagen. So müssen dann die Spielwaren für branchenweites Innovationsversagen herhalten. In der Hoffnung ein paar Kosten zu sparen, wird nicht bedacht, dass ein Zyklen- und Zielgruppen-kongruenter Artikel zwangsweise zu Kannibalisierungseffekten führen muss.
So wird die Zukunft des stationären Buchhandels durch den Faktor angenehme Atmosphäre entschieden. Die Ansprüche der Kunden sind höher und spezifischer geworden. Sollten diese Ansprüche nicht befriedigt werden, wird sich die Abwanderung in den Onlinehandel fortsetzen.

Wir leben in dünnhäutigen Zeiten, sind ausgebrannt und reizbar. Vermeidung von Stressfaktoren ist eine Folge, der Erfolg des Onlinehandels eine Konsequenz. Wo anonym Menschen aufeinander treffen ist die Stressdynamik besonders ausgeprägt. Für die krisengeplagten Filialisten bedeutet das: Sie sollten nicht nur den Kunden, sondern auch den Menschen wahrnehmen lernen.

Entscheidend für den Erfolg des Onlinehandels waren und sind zwei Faktoren:  Zum einen die stressfreie Form von Auswahl und Einkauf; zum anderen die Entwicklung der Zahlungssysteme. Lange Zeit hing so manches am seidenen Faden. Die Vorstellung des unkontrollierten Herumschwirrens der eigenen Kreditkartennummer im Cyberspace führte zu massiver Beunruhigung und Kaufverweigerung. Heute ist das Vertrauen in die Zahlungssysteme sehr hoch. Eine bemerkenswerte Kommunikationsleistung der Online-Industrie.


Angenehme Atmosphäre entsteht nicht nur durch Ladenbau

In der letzten Langzeitstudie des Börsenvereins zum Buchkäuferverhalten wurden die drei Kriterien: Auswahl, Übersicht und angenehme Atmosphäre als zentrale Gründe, eine Buchhandlung zu besuchen, identifiziert. Zu kurz gesprungen ist die Annahme gerade der Filialisten, die angenehme Atmosphäre entstünde im Wesentlichen durch Ladenbau. Ein sensibler Spaziergang durch eine Buchhandlung kann da erhellen.

Menschen müssen sich darauf freuen können einen Laden wieder zu betreten. Der Einfluss von Licht, Wärme und Sauberkeit sind sattsam bekannt, ebenso die Wichtigkeit freundlicher und kompetenter Buchhändler. Aber schon eine dunkle, unaufgeräumte Ecke kann Irritationen auslösen, ein schlechter Geruch negative Empfindungen begründen und die ewig gleiche Spiegel-Bestsellerliste im Eingangsbereich Langeweile provozieren. Das weite Feld der Verkaufspsychologie ist ein ergiebiger Fundus für Inspirationen.


Weg von den Themenwelten, hin zu Zielgruppenwelten

Das Faktoren-Cluster, Stress und Wohlbefinden, hat aber auch eine andere, grundsätzliche Konsequenz. Da unterschiedliche Bevölkerungsgruppen differenziert empfinden, empfiehlt es sich, Buchhandlungen anders zu strukturieren. Weg von den Themenwelten, hin zu Zielgruppenwelten oder Zielgruppenbuchhandlungen.  Senioren, Familie, Frauen, Kids, IQ 150, usw. sind Gruppen mit spezifischen Wohlfühl-  aber auch Produktbedürfnissen. Auch im Nonbook-Angebot könnten so die Streuverluste verkleinert werden.

Den Filialleitern der Filialisten wird eine besondere Bedeutung zukommen. Sie müssen lernen eher Gastgeber als Verwalter zu sein.


Spielwaren müssen für Innovationsversagen herhalten

Verkleinerung der Flächen ist nichts anderes, als die Kapitulation vor der Herausforderung, kreative, neue Konzepte zu wagen. So müssen dann die Spielwaren für branchenweites Innovationsversagen herhalten. In der Hoffnung ein paar Kosten zu sparen, wird nicht bedacht, dass ein Zyklen- und Zielgruppen-kongruenter Artikel zwangsweise zu Kannibalisierungseffekten führen muss.

So wird die Zukunft des stationären Buchhandels durch den Faktor angenehme Atmosphäre entschieden. Die Ansprüche der Kunden sind höher und spezifischer geworden. Sollten diese Ansprüche nicht befriedigt werden, wird sich die Abwanderung in den Onlinehandel fortsetzen.

Hartwig Schulte-Loh war Geschäftsführer beim Berliner Kulturkaufhaus Dussmann und zuletzt Berater der Edel AG im Musikgeschäft. Er berät Firmen mit seinem Unternehmen Buchnet.

Kommentare

1 Kommentar zu "Hartwig Schulte-Loh: Stresstest für Filialen"

  1. Als langjähriger Berater verschiedener Multikanalunternehmen komme ich leider zu völlig anderen Schlussfolgerungen als Herr Schulte-Loh.

    Der Erfolg des Online-Handels ist nicht auf Stressvermeidung zurückzuführen, sondern auf die spezifischen Vorteile dieses Vertriebswegs, insbesondere ein extrem große Sortimentstiefe und -breite und die Bequemlichkeit des Shoppings von zuhause (das hat wenig mit „Atmosphäre“ und „Stressvermeidung“ und viel mit „genau jetzt will ich shoppen“ und „dazu muss ich das Haus nicht verlassen“ zu tun). Mit anderen Worten: Gemütlichere Buchhandlungen sind sicher wünschenswert, lösen aber das Kernproblem nicht.

    Den Sinn von „Zielgruppenwelten“ kann ich nicht erkennen, halte ihn im Gegenteil für einen gefährlichen Irrweg. Sollen Senioren keine Krimis kaufen dürfen? Oder sind die nichts für Mütter? Oder muss der arme Buchhändler dasselbe Buch jetzt an zwei verschiedenen Stellen ins Regal stellen? Dann hätte man jedenfalls wieder einen Grund für Großflächen im Buchhandel.

    Käufer sind „Menschen“, nicht „Zielgruppen“, wie schon das Cluetrain-Manifest feststellt. Diverse Experimente des Handels zeigen z.B., dass Senioren nicht als Senioren angesprochen werden wollen – sie sehen sich als ganz normale Kunden, die gern vor denselben Regalen stehen und dieselben Bücher lesen wie z.B. junge Erwachsene. Die einzige sinnvolle Zielgruppentrennung sehe ich bei den Altersgruppen der Kinder, aber da ist sie ja schon seit Langem vollzogen.

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