In der Buchwelt gärt es. Sind der Ausbau eigener Buchhändlerschaft durch Verlage oder das Fehlen eines Buchhändlers in der Jury zum Deutschen Buchpreis schon deutliche Risse, die das Ende einer alten Welt ahnen lassen. Was tun? Zu neuen Ufern aufbrechen oder stehen bleiben und abwarten? Und wenn aufbrechen – wann?
Müssen große Buchhändler auch Verlage werden, um in der Wertschöpfung zukünftig besser positioniert zu sein? Sind jetzt erhebliche Investitionen nötig, um im Internet den Amazon-Standard zu erreichen, oder steht bald eine aufwendige Logistik nutzlos herum, weil Bücher über starke Verlags-, Buchhandels- oder branchenfremde Marken digital vertrieben werden? Sind die Verkaufsflächen zu groß oder sind sie zu klein? Sind es zu viele Bücher oder sind es zu viele Räucherstäbchen – wie man es auch dreht und wendet, irgendwann muss entschieden werden.
Auch da quälende Fragen. Wartet man ab und wird abgehängt oder ist man „first mover“ und schnell „first loser“? Vielleicht richtet man sich in der Mitte ein. Zwar soll der Mittelweg den Tod bringen, aber für wen? Werfe ich meine Angeln in jeden Teich und nenne es einstweilen Multi-Channel?
Ganz früher waren Traumdeuter in Mode. Der frühere Präsident der USA, Ronald Reagen, soll gelegentlich ein Pendel bemüht haben. Generationen von Wirtschaftswissenschaftlern haben Produktzyklen mit Milieustudien gekreuzt, dann mit einem demographischen Integral multipliziert, Kurve über Kurve geschichtet, und einen unentwirrbaren Knoten präsentiert.
Was tun? Da wir vergleichende Wesen sind, schauen wir doch mal in die Nachbarschaft.
Der Musikmarkt
Auf vielen Buchpodien sitzt ein Musikmanager der weise nickend murmelt: „Ja, das kennen wir schon.“ So wie etwa der EMI-Chef, der vor sieben Jahren prognostizierte, dass es 2010 keine CD mehr geben werde. Nach wie vor wird etwa 80% des Musikumsatzes mit CDs gemacht. Zwar ist die Tendenz langsam fallend, aber das in einer Branche, die Marktveränderungen durch technische Innovationen sehr gut kennt.
Die Entstehung der Musikindustrie war in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts geprägt von der Suche nach technischen Innovationen und dem Fehlen von Standards, so dass die Schallplatte an bestimmte , verschiedene Abspielformen gebunden blieb. Erst in den Fünfzigern entwickelte sich die Form, die bis heute unter Vinyl bekannt ist. Anfang der Achtziger eroberte die CD durch ihre deutlich bessere Abspielqualität den Markt. Bis heute (Media Markt, Saturn) ist der stationäre CD-Markt von Technikanbietern dominiert.
Zentrum der Kommunikation dieser Industrie ist der Personenkult. Während Buchhandlungen und Verlage sich feiern, wenn die Zahl der Face-Book-Follower sich den Zehntausend nähert, sind es bei Lady Gaga 29 Millionen weltweit.
Eine andere Welt, eine andere Ökonomie, andere Akteure und fundamental – es gibt keine Preisbindung.
Die USA
Borders ist an seine Grenzen gestoßen. Das Einzige, was dort zur Zeit noch gelesen wird, ist Chapter 11. Immer war die USA Leitmarkt für Deutschland. Heinrich Hugendubel soll seine Idee einer Großfläche plus Cafe von dort mitgebracht haben.
Vor etwas mehr als zwei Jahren wurde Borders noch für seine neue turbo-innovative Multi-Media-Filiale in Ann Arbor gefeiert. Auch Barnes & Noble musste in den letzten zwei Jahren 51 Filialen schließen, hatte aber einen „Lucky Punch“ durch den E-Reader Nook, der ihnen im letzten Herbst etwas Luft verschafft hat.
Nach dem Motto: „nooking on heaven´s door“, wird man sehen, was daraus wird. Mobilitätskosten haben in den USA eine ungleich höhere Bedeutung (wie im übrigen auch Mobilität allgemein) als bei uns. Die USA haben eine nur rudimentäre Kultur der Buchgestaltung. Die sozio-kulturelle Landkarte dieses Einwandererlandes ist kompliziert. Logistische Herausforderungen und infrastrukturelle Schwächen sind an der Tagesordnung. Sichtbarer, innovationsverklärter, ungehemmter Konsum ist herausragender Teil des individuellen Status.
Eine andere Welt, eine andere Ökonomie, andere Akteure und fundamental – es gibt keine Preisbindung.
Die Küchentheorie
Zurück am heimischen Herd fällt unser Blick auf einen Küchenkalender mit fernöstlichen Weisheiten. Wer sich bewegt, geht leicht in die Irre; wer bleibt, auf den kommen die Dinge zu. Unversehens tritt der Militärstratege, Graf von Moltke, in die Küche und erklärt : „Kein Operationsplan reicht mit einiger Sicherheit über das erste Zusammentreffen mit der feindlichen Hauptmacht hinaus. Nur der Laie glaubt, in dem Verlauf eines Feldzugs die konsequente Durchführung eines im Voraus gefassten in allen Einzelheiten überlegten und bis ans Ende festgeschriebenen ursprünglichen Gedankens zu erblicken. Es kommt darauf an, in lauter Spezialfällen, die in den Nebel der Ungewissheit gehüllte Sachlage zu durchschauen, das Gegebene richtig zu würdigen, das Unbekannte zu erahnen, einen Entschluss zu fassen und dann diesen kräftig und unbeirrt durchzuführen.“ – lüftet die Pickelhaube und tritt wieder ab.
Hartwig Schulte-Loh war Geschäftsführer beim Berliner Kulturkaufhaus Dussmann und zuletzt Berater der Edel AG im Musikgeschäft. Aktuell lässt er sich zum Coach ausbilden und berät Firmen mit seinem Unternehmen Buchnet.
Kommentar hinterlassen zu "Hartwig Schulte-Loh: Vom richtigen Zeitpunkt"