„Sagʼs mir ins Gesicht!“ Nachdem die „Tagesschau“ für ihre AfD-Berichterstattung nicht nur heftig kritisiert wird, sondern einzelne Journalisten beschimpft, beleidigt und sogar bedroht werden, geht die Redaktion in die Offensive. Die Kritiker sollen die Anonymität der sozialen Netzwerke verlassen und per Videochat den direkten Austausch mit der Redaktion suchen: konstruktive Diskussion statt unqualifizierte Kommentare unter der Gürtellinie.
Das Beispiel zeigt: Für viele Redaktionen ist der Dialog mit den Usern im Netz frustrierend. Angesichts mangelnder Ressourcen gilt die Pflege der Kommentarspalten als lästige Zusatzaufgabe, bei der einem Trolle, Hetzer und andere Störenfriede das Leben schwer machen. Vor allem Nachrichtenredaktionen wie die „Tagesschau“ sitzen dabei mitten in der Kampfzone verbaler Entgleisung, weil auf ihren Seiten regelmäßig das aktuelle weltpolitische Geschehen kontrovers diskutiert wird.
Um Redaktionen bei der Moderationsarbeit zu unterstützen, hat die Landesanstalt für Medien NRW (mit finanzieller Unterstützung von Google, das seit einiger Zeit mit traditionellen Medienhäusern auf Kuschelkurs ist) jetzt den Praxisleitfaden „Hasskommentare im Netz. Steuerungsstrategien für Redaktionen“ erstellen lassen. Dafür haben Deutschlandfunk Kultur, die Mediengruppe RTL Deutschland, die Rheinische Post Online (RP Online), SPIEGEL ONLINE und Tagesschau.de den Wissenschaftlern Stephan Weichert (Hamburg Media School) und Leif Kramp (Universität Bremen) Einblick in ihre Arbeit gewährt.
Social Media im Redaktionsalltag
Ausgewählte Erkenntnisse aus dem Redaktionsalltag:
- Es findet kaum redaktionelle Moderation bei Diskussionen statt.
- Aktives Mitdiskutieren von Redaktionsseite wirkt sich positiv auf das Ranking des Ursprungskommentars in den Feeds sozialer Netzwerke aus.
- Vorwürfe der Propaganda und der „Lügenpresse“ finden sich unabhängig vom Thema des Beitrags in nahezu allen Diskussionen.
- Nur etwa ein Drittel der Kommentare hat einen thematischen Bezug zum eigentlichen journalistischen Beitrag.
- Wenige dominante User kommentieren durchweg negativ („Trolle“).
- Die meisten Kommentare werden am ersten Tag gepostet.
Entstanden ist außerdem ein 10-Punkte-Plan gegen Hassrede im Netz (s. unten). „Unsere Untersuchungen konnten zeigen, dass auch ressourcenschwächere Redaktionen nicht machtlos sind – Maßnahmen wie Blocking, Einsatz und Bestärkung von Gegenrede sowie strafrechtliche Schritte haben bei überschaubarem Aufwand einen erstaunlichen Effekt“, sagt Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW.
Besonders aussichtsreich seien Moderationen, die auf eine Selbstregulierung unter den Nutzern abzielen: „Hier gilt es, die schweigende Mehrheit gegen notorische Störer und Hassredner zu mobilisieren, indem Redaktionen die ihnen zugewandten Nutzer etwa durch Gegenrede oder Dialog unterstützen und sich auf diese Weise gegen destruktive verbale Einflüsse zu schützen“, empfiehlt Projektleiter Leif Kramp.
Tipps zum Umgang mit Hassrede
- Entschieden moderieren: Mit sachlicher Moderation ‚Hausrecht‘ durchsetzen.
- Direkte Ansprache: Häufiger zu Wort melden.
- Gegenrede stärken: Konstruktive User belohnen.
- Aktionen gegen Hassrede: Journalistische Programme, Formate und Veranstaltungen entwickeln.
- Hässliches Dominanzgefälle: Sich der destruktiven Minderheit bewusst werden.
- Konstruktiver Journalismus: Alltagsthemen/-probleme der Nutzer aufgreifen und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen.
- Mensch-Maschine-Filter: Automatisierungstools können Moderationsteams nicht ersetzen.
- Ironie- und zynismusfreie Zone: Auf den Tonfall achten und auf Spott verzichten.
- Ressourcen bereitstellen: 4-Augen-Prinzip auch im Nutzerdialog
- Respekt verschaffen: Klartext reden und auf Augenhöhe kommunizieren
Quelle: Landesanstalt für Medien NRW
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