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Hier wird kein Müll produziert

Haben den offenen Brief der Initiative unterzeichnet (v.l.): Paul Maar (© Radio Bremen, Frank Pusch), Heinrich Finn-Ole (© Schirin Moaiyeri) und Klaus Kordon (© Haspa Hamburg Stiftung)

In einem offenen Brief an das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend prangert die Initiative deutschsprachiger Kinder- und JugendbuchautorInnen und IllustratorInnen (hier mehr) die Vergabepraxis beim Deutschen Jugendliteraturpreis an. Die Kritik: Seit Jahren werden originär deutschsprachige Werke bei der Nominierung vernachlässigt. 2013 war kein einziges der nominierten Kinderbücher von einem/r deutschsprachigen Autor/in. buchreport hat mit Autorin Antje Wagner, die dem siebenköpfigen Planungskreis der Initiative angehört, über die Hintergründe des Aufschreis gesprochen.

Was ist faul am Deutschen Jugendliteraturpreis?

Der Deutsche Jugendliteraturpreis ist der einzige deutsche Staatspreis für Literatur. Im Gegensatz zu den staatlichen Literaturpreisen anderer Länder dient er jedoch nicht der Förderung der eigenen Kinder- und Jugendliteratur. Wenn man die Nominierungslisten der letzten zehn Jahre beim DJLP anschaut, so sind nur etwa 30% der nominierten Titel deutschsprachige Originalwerke. 2013 war kein einziges der nominierten Kinderbücher von einem/r deutschsprachigen Autor/in – wie auch schon in den Jahren 2005, 2006 und 2007. 

Wie konnte es zu diesem Missverhältnis, das offenbar schon jahrelang besteht, kommen?

Es hat mit der Entstehung des Preises im Jahre 1956 zu tun. Die deutschsprachige Literatur war vom Nationalsozialismus ideologisiert, zensiert und indoktriniert. Es war damals wichtig, den Blick auf internationale Werke zu lenken, Völkerverständigung zu fördern. Außerdem gab es noch nicht viel eigene Kinder- und Jugendliteratur. Jetzt aber sind fast 60 Jahre vergangen. Nicht nur unsere politischen und unsere Lebensverhältnisse haben sich verändert, auch unsere Buchproduktion ist eine andere geworden. Wir sind global, international, medial und interaktiv geworden. Der Blick über den Gartenzaun, der einst so dringend gebraucht wurde, ist heute längst Lebensrealität. Was einmal nachvollziehbar gewesen ist – Übersetzungen zu bevorteilen –, ist heute zumindest überdenkswert. 

Die bisherigen Richtlinien des DJLP sehen vor, dass deutschsprachige Originalwerke und übersetzte Werke gemeinsam in einer einzigen Kategorie behandelt und bewertet werden. Auf den ersten Blick sieht das fair und gerecht aus, es sieht nach „der Bessere setzt sich eben durch“ auf. So wird das ja auch verteidigt, und der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur wird quasi vorgeworfen, sie sei eben qualitativ zu schwach, wenn die Lizenztitel sich durchsetzen. Auf den zweiten Blick wird hier aber eine große Ungleichbehandlung sichtbar.  

Wie kann Abhilfe geschaffen werden?

Zunächst einmal sind Übersetzungsarbeit und Werkarbeit zwei verschiedene Schuhe. Beides sind literarische Formen, die aber nicht miteinander konkurrieren, sondern – so wie es z.B. beim Preis der Leipziger Buchmesse seit Jahren normal ist und verständlicherweise nicht in Frage gestellt wird – in unabhängigen Sparten gewertschätzt werden sollten. Äpfel sind eben keine Birnen. Dann gibt es beim DJLP das Problem, dass ein deutschsprachiges Originalwerk im Vorjahr erschienen sein muss, eine Übersetzung aber nicht. Sie kann schon etliche Jahre alt sein, denn allein das Erscheinungsjahr in Deutschland ist entscheidend. So kann ein interessanter Lizenztitel in seinem Land bereits viele Preise bekommen haben, in mehrere Sprache übersetzt sein und Bekanntheit erlangt haben, bevor er dann in der deutschen Übersetzung in den Wettbewerb geht. Im Gegensatz wie gesagt zu den deutschsprachigen Titeln. Diese kommen quasi gerade aus den Druckmaschinen und ihre Auszeichnungsliste ist leer. Die Bücher werden, das kommt noch hinzu, nicht einmal anonymisiert eingereicht. Es konkurrieren somit – überspitzt gesagt – unbewährte Titel und bewährte. Eine Anonymisierung wäre bei dieser Ungleichvoraussetzung für deutschsprachige Originale und Übersetzungen das Allermindeste. 

Wir plädieren für zwei unabhängige Sparten beim DJLP: eine für deutschsprachige Originale und eine für übersetzte Werke. Dann würden innerhalb dieser Sparten dieselben Wettbewerbsvoraussetzungen gelten.

Trotzdem: Gibt es zu wenig gute deutschsprachige Novitäten?

Beileibe nicht. Wenn es 8000 Neuerscheinungen jährlich auf dem deutschen Kinder- und Jugendbuchmarkt gibt und man davon ausgeht, dass laut VdÜ (Verband der Übersetzer) fast jedes zweite Buch eine Übersetzung ist, kann man sagen, dass mehr als 4000 Neuerscheinungen original deutschsprachig sind. Dass die alle qualitativ indiskutabel sind, ist einfach falsch und verzerrt das Gesicht unserer K&J-Literaturproduktion komplett. Wenn natürlich kaum je ein deutschsprachiges Buch mit dem DJLP ausgezeichnet wird, dann vermittelt das im In- und Ausland den Eindruck, dass hier nur Müll produziert wird. Was aber wirklich nicht stimmt. 

Womöglich fehlt es dem deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuch an herausragenden, innovativen Ideen?

Viele AutorInnen und IllustratorInnen, die uns angeschrieben haben, haben über dasselbe Phänomen berichtet: dass innovative Vorstöße von den Verlagen häufig als allzu riskant angesehen und unterdrückt werden. Es scheint immer normaler zu werden, dass wir AutorInnen auf Trend gespurt werden. Und das ist kein lahmes Argument, das ist eine Realität der Schaffenden. Die tollen Ausnahmen bestätigen da leider die Regel.

Würde es zwei gleichwertige Sparten geben, statt einer, könnten jene deutschsprachigen Titel, die es wagen, innovativ, originell und sprachschön zu sein, mit dem DJLP ausgezeichnet werden, und sie würden nicht nur wahrgenommen werden, sondern es wäre eben auch ein entscheidender Schritt, jene Tendenz der Verlage einzudämmen, die AutorInnen noch vor und im Entstehungsprozess mehr und mehr zu spuren, damit deren Bücher nicht – da sie den Mainstream verlassen – zum finanziellen Risiko werden, während sie sich die innovativen, bewährten Titel lieber aus dem Ausland holen. Es ist eine Tendenz, die wir AutorInnen alle beobachten und am eigenen Leib auch kennen. Die Vergaberichtlinien unserer wichtigsten Auszeichnung für Jugendliteratur fördert diese Tendenz leider, befeuert sie sogar. Hier liegt eine große Gefahr. 

Wie viele Unterschriften konnten Sie sammeln? 

Wir haben nur etwa eine Woche lang gesammelt und 425 Leute haben unterzeichnet. Es waren eigentlich sogar viel mehr, aber wir haben uns letztendlich dafür entschieden, nur die AutorInnen und IllustratorInnen zu listen. Es sollte ein klares Signale der Schaffenden sein, die eben sagen: Hört uns! Wir wünschen uns eine Veränderung!

Natürlich wurde uns vorgeworfen, dass wir aus Eigennutz handeln, dass es sich hier um eine Riege „beleidigter Leberwürste“ handelt und weit Schlimmeres, fragen Sie bloß nicht – die Schmähungen und das Niveau nach unten hin kennen keine Grenzen. Erschütternderweise auch von Leuten, mit denen wir in dieser Sache eigentlich diskutieren wollten. Dass diese Kampagne nicht von Selbstsucht angetrieben wird, zeigt schon das Gesicht der UnterzeichnerInnen. So unterstützen viele ehemalige JugendliteraturpreisträgerInnen die Initiative und viele, viele namhafte AutorInnen aus dem Erwachsenenbereich, aber auch ÜbersetzerInnen. Sie alle würden nichts hinzugewinnen, wenn eine Veränderung geschieht. Und doch setzen sie sich dafür ein. Warum? Weil das Ungleichgewicht, die Ungleichbehandlung so deutlich ist, dass sie nicht mehr übersehen und auch nicht mehr fraglos hingenommen wird.

Es geht also nicht darum, Übersetzerinnen und Übersetzer zu benachteiligen.

Nein, es geht uns gar nicht um einen „deutschen“ Preis, nicht um Verdrängung von Übersetzungen, sondern schlicht darum, dass deutschsprachige Originalwerke (egal ob aus Deutschland, Schweiz, Österreich oder von woanders her) und Übersetzungen eine Gleichbehandlung erfahren, die es eben bisher nicht gab. Wir sind auch in Kontakt mit dem VdÜ und hoffen, jetzt einen Verständnisabgleich geschafft zu haben. Wir wollen ja auch dringend eine für beide Seiten akzeptable Lösung. Eine Gleichbehandlung von beiden Werkformen – Übersetzung und Originalwerk – ist die beste Voraussetzung dafür. 

Das Interview führte Nicole Stöcker

Update: Der Verband der Übersetzer verteidigt den Preis (hier mehr).

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