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»Eine Gleichschaltung auf 30 Stunden ist nicht gerecht«

Nur 30 Stunden in der Woche arbeiten – bei vollem Gehalt. Zu schön, um wahr zu sein? Doch eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung löst nicht nur Probleme, sondern schafft neue. Kreativere Modelle sind gefragt. Zumindest Rolf Gleißner, stellvertretender Leiter für Sozialpolitik und Gesundheit der Wirtschaftskammer Österreich, ist dieser Ansicht.

Damit widerspricht er Klaus Hochreiter, dem Geschäftsführer der Online-Marketing-Agentur eMagnetix. Dieser strich am 1.Oktober 2018 zehn Wochenstunden aus den Arbeitsplänen seiner Mitarbeiter. Hochreiters Begründung: „Man kann das, was man vorher in 40 Stunden erledigt hat, auch in 30 Stunden machen.“ Er ist sich seiner Sache sicher, ein Zurück werde es nie geben, versichert Hochreiter. Im HR-Channel von buchreport.de erklärt demgegenüber Rolf  Gleißner, welche Nachteile auch Arbeitnehmern aus einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung drohen.

Arbeitszeitverkürzung klingt für viele zunächst einmal nur nach Vorteilen. Sie sprechen sich allgemein aber dagegen aus. Wieso?

Es spricht nichts dagegen, wenn Arbeitgeber und Mitarbeiter kürzere Arbeitszeiten vereinbaren. Wir sind aber dagegen, dass allen Unternehmen und Menschen die Verkürzung auf eine bestimmte Arbeitszeit aufgezwungen wird. Menschen, ihre Bedürfnisse und Präferenzen sind verschieden. Die meisten arbeiten gern, viele wollen mit Überstunden mehr verdienen. Eine aufgezwungene Arbeitszeitverkürzung würde nachweislich den Betrieben, dem Arbeitsmarkt und im Ergebnis auch den meisten Mitarbeitern schaden.

Mehr Beschäftigung und gesteigerte Produktivität durch eine verkürzte Arbeitszeit: Alles nur leere Versprechen?

Die Fakten sind eindeutig: Frankreich hat die Arbeitszeit im Jahr 2000 auf 35 Stunden verkürzt, Deutschland hat sie fast gleichzeitig flexibilisiert. Am Ende hatte Frankreich mehr Arbeitslose als vorher, Deutschland weniger. Der Grund: Durch die erhöhten Kosten müssten die Unternehmen die Produktivität pro Stunde erhöhen. Das bedeutet: In weniger Stunden mehr leisten, also größere Arbeitsdichte, und eben nicht mehr Jobs.

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Welche Argumente sprechen für oder gegen eine 30-Stunden-Woche für alle?

Vieles spricht für individuelle Teilzeitvereinbarungen: Teilzeitbeschäftigte sind oft produktiver, teilweise auch flexibler, haben mehr Zeit für Familie oder Ausbildung, zahlen keine oder relativ wenig Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge.

Aber nichts spricht für eine aufgezwungene Arbeitszeitverkürzung für alle: Denn viele Menschen arbeiten gern und wollen auch gerne mehr verdienen. Verringert sich ihr Lohn entsprechend der kürzeren Arbeitszeit, würde ihr Einkommen sinken. Bleibt der Lohn aber gleich, verteuert sich die Arbeitsstunde für die Betriebe massiv und die Wettbewerbsfähigkeit leidet. Die Folgen: Die Unternehmen müssten Preise anheben bzw. Kosten sparen, indem sie weniger produktive Arbeitskräfte abbauen oder durch Maschinen ersetzen – Stichwort: Digitalisierung.

Auch der Fachkräftemangel würde sich verschärfen. Ein Beispiel: Als die Arbeitszeit für Ärzte gesenkt wurde, sank nicht deren Arbeitslosigkeit, sondern es entstanden Probleme in der medizinischen Versorgung. Außerdem kommen besonders Kleinbetriebe unter Druck: Sie haben oft für eine Aufgabe nur einen Spezialisten, der bei Bedarf Überstunden macht, einen zweiten Spezialisten können sie sich nicht leisten – falls sie ihn überhaupt finden.

Wie eben angesprochen, verändert die Digitalisierung unsere Arbeitswelt. Welche Maßnahmen sollten im Hinblick auf eine gerechtere Arbeitszeitverteilung getroffen werden?

„Gerecht“ ist nicht eine „Gleichschaltung“ auf 30 Stunden, sondern wenn möglichst viele mit ihrer Arbeitszeit zufrieden sind. Betriebe und Mitarbeiter wollen auch keinen Staat, der Arbeitszeit von oben „verteilt“, sondern wollen die Arbeitszeit vereinbaren, die ihren Bedürfnissen entspricht. Die Digitalisierung ermöglicht Arbeitsleistungen unabhängig von Ort und Zeit. Das bisherige Arbeitszeitgesetz hat diese Möglichkeit beschränkt, nun kann man sie eher nützen.

Zurück zur 30-Stunden-Woche: Unter welchen Voraussetzungen kann eine Umsetzung funktionieren?

Ein 40 Stunden-Entgelt für eine 30-Stunden-Woche entspricht einer Überzahlung von einem Drittel des Kollektivvertrags, die in manchen Branchen vor allem für Fachkräfte ohnehin üblich ist. Die „30-Stunden-Woche“ hat halt mehr Marketing-Wirkung. Wenn ein Unternehmen das macht, gewinnt es aufgrund dieser Marketing-Wirkung Fachkräfte. Wenn alle Unternehmen das machen, wird keiner mehr Fachkräfte finden.

Das kununu Benefit-Ranking hat gezeigt, dass sich 51% der kununu-User flexiblere Arbeitszeiten wünschen, diese jedoch nur von 45% der Unternehmen geboten werden. Wenn nicht durch eine Verkürzung, wie können flexiblere Arbeitszeiten dann umgesetzt werden?

Flexibilisierung heißt weder länger noch kürzer arbeiten, sondern arbeiten, wann Arbeit da ist, bzw. – sofern betrieblich möglich – entsprechend den Präferenzen der Mitarbeiter. Am meisten Spielraum haben Mitarbeiter bei Gleitzeit. Sie ist daher beliebt und inzwischen die häufigste Arbeitszeitform. Gleitzeit ist aber nicht immer möglich, etwa wenn der Betrieb an Kunden oder durch Abläufe gebunden ist.

Abgesehen von Gleitzeit bringen auch Zeitkonten Mitarbeitern Flexibilität. Dann können zusätzlich zum Urlaub Zeitausgleichstage vereinbart werden. Schließlich können Arbeitnehmer aufgrund des neuen Arbeitszeitgesetzes wählen, ob Überstunden über 10 Stunden pro Tag bzw. 50 Stunden pro Woche in Geld oder durch Zeitausgleich vergütet werden.

Gerade Frauen arbeiten oft in Teilzeit. Könnte eine Verkürzung der Arbeitszeit zu einer Entlastung für arbeitende Frauen führen und so mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern schaffen?

Gerechtigkeit bedeutet nicht eine Gleichschaltung aller auf eine geringere Arbeitszeit, sondern wenn Frauen und Männer ihre individuellen Bedürfnisse und Präferenzen erfüllen können. Laut einer Market-Umfrage aus 2018 sind 78% der Männer und sogar 88% der Frauen mit dem Ausmaß ihrer Arbeitszeit zufrieden! Laut Eurostat arbeiten nur 12% der Teilzeitbeschäftigten in Österreich unfreiwillig Teilzeit.

Die Arbeitszeit der Österreicher verkürzt sich ohnehin: Jahr für Jahr sinkt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit um eine Viertelstunde. Die Gründe: Einerseits arbeiten mehr Menschen Teilzeit, andererseits leistet jeder im Schnitt um etwa eine Überstunde pro Woche weniger als vor 10 Jahren. Viele beklagen, dass Teilzeit vor allem bei Frauen zunimmt. Paradox, dass meist dieselben eine Arbeitszeitverkürzung und damit Teilzeit für alle fordern!

Trendbegriff: Work-Life-Balance. Arbeitnehmern wird der Ausgleich zwischen Beruf und Privatleben immer wichtiger. Wäre eine verkürzte Arbeitszeit hier keine Lösung?

Wer mehr Freizeit will oder für Familie oder Ausbildung braucht, wird Überstunden vermeiden oder einen Teilzeitjob wählen. Wer den Hausbau finanzieren will oder einfach gern arbeitet, wird sogar mehr als 40 Stunden anstreben. Eine bunte Arbeitswelt und Gesellschaft braucht kein Korsett, sondern Vielfalt und Spielräume.

Wie viele Stunden arbeiten Sie pro Woche? Und wie finden Sie den richtigen Ausgleich zum Arbeitsalltag?

Meist zwischen 45 und 50 Stunden. Dabei bleibt mir genug Zeit für Familie und Hobbies, vor allem zum Bergsteigen.

Mit freundlicher Genehmigung von kununu, der nach eigenen Angaben größten Arbeitgeber-Bewertungsplattform in Europa.

Kommentare

1 Kommentar zu "»Eine Gleichschaltung auf 30 Stunden ist nicht gerecht«"

  1. Leider hat Herr Gleißner den Sinn einer Arbeitszeitverkürzung in Zeiten der Digitalisierung und des Modern Workplace nicht verstanden. Vielleicht ist er auch einfach der falsche Ansprechpartner.
    Es geht nicht darum, dass die Leute weniger arbeiten und dadurch weniger verdienen, sondern sie bekommen das GLEICHE Geld für WENIGER Arbeit.
    Und immer mehr Unternehmen sind mit diesem Konzept erfolgreich.

    Statt 8 Stunden abzusitzen, kann man sich auch etwas beeilen und ist dann in 5 Stunden fertig.
    Dieses Konzept ist natürlich nicht auf jeden Beruf anwendbar. Gerade in der Pflege oder in Jobs mit Rufbereitschaft (Feuerwehr, Polizei, Krankenhaus), funktioniert das nicht. Aber fast alle Bürojobs und die Jobs der „Wissensarbeiter“ lassen sich reduzieren.
    Das Konzept ist auch nicht neu: Schon 2003 führte Toyota den Sechs-Stunden-Tag ein und steigerte dadurch Effizienz und Umsatz.

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