Wie verändert sich der Prozess der Führung in einer digitalen Arbeitswelt? Wie kann man ihn aktiv verändern? Wie müssen sich die Führungskräfte selbst verändern? Und wie nehmen sie dabei ihre Mitarbeiter mit?Die Kommunikations- und Change-Expertin Christiane Schulz, CEO von Weber Shandwick Deutschland, berichtet vom Wandel ihres eigenen Unternehmens hin zu matrixgesteuerten Prozessen – beispielhaft für den gesamten Dienstleistungs-Sektor.
Christiane Schulz ist auch Referentin beim HR Future Day der Akademie der Deutschen Medien am 12. März 2019 in München. Dort befasst sie sich mit der Rolle von Kommunikation für Veränderungsprozesse und New Work.
„New Work“ ist ein changierender Begriff – was verstehen Sie darunter?
Globalisierung und Digitalisierung haben große Auswirkungen auf unsere Arbeitswelt. Dies führt zu neuen Arbeitsmodellen und -formen, die für mich unter den Sammelbegriff „New Work“ fallen. Auch wenn es den Begriff schon länger gibt, so hat die Ära „New Work“ gerade erst begonnen. Wir stehen hier am Anfang und da wird noch einiges kommen. Unternehmen testen neue Strukturen, die Rolle von Führung verändert sich und wir werden weitere neue Formen der Zusammenarbeit sehen.
Lässt sich die strikte Gegenüberstellung – hier „schlechte Silos“, dort „gute Matrix“ – aufrechterhalten? Gibt es nicht in den meisten Unternehmen – Stichwort „Flurfunk“ – viel höhere Transparenz, als es scheint, wenn man nur das Organigramm betrachtet?
Ich glaube nicht, dass so eine Gegenüberstellung sinnvoll ist. Ich habe noch nie von einer wirklich guten Matrix gehört – Sie? Aus meiner Sicht geht es darum zu erkennen, wann ein aktuelles Arbeitsmodell oder eine Form nicht mehr optimal funktioniert bzw. zu komplex wird. Dann gilt es sich zu fragen, wie man es in Anlehnung an die eigenen Bedürfnisse und Ziele und mit Blick auf ein sich ebenfalls stetig veränderndes Umfeld weiterentwickeln kann. Infolge zunehmender Komplexität unserer Arbeitswelt ist es häufig notwendig, immer mehr Experten zur Lösung von Problemen einzubinden. Hier ist aus meiner Erfahrung dann die Matrixorganisation die logische Konsequenz.
Und da sind wir dann auch beim Aspekt der internen Kommunikation. Die sollte – egal in welcher Organisationsform – gesteuert und strukturiert sein und nicht dem Flurfunk überlassen werden. Der Grad der Transparenz hängt aus meiner Sicht von der Unternehmenskultur ab. Jedes Arbeitsmodell, ob „Silos“ (und diese müssen ja auch zusammenarbeiten) oder Matrix, hat seine Vor- und Nachteile. Man sollte sie kennen und sicherstellen, dass man im gewählten Modell effizient zusammenarbeitet.
Veränderung beginnt damit, dass Menschen miteinander reden über Dinge, über die sie noch nicht miteinander gesprochen haben. Worüber und wie müssen Menschen sprechen, wenn sie über Change sprechen?
In der Tat beginnt es damit, Menschen über das „neue Thema“ zu informieren – das kann ein neues strategisches Ziel sein, die Einführung neuer Prozesse oder Technologien oder auch ein Wechsel im Management.
Das größte Problem in der Kommunikation ist die Illusion, sie hätte stattgefunden. (George Bernard Shaw)
Nur weil wir über etwas sprechen, heißt es noch nicht, dass es auch von den Kollegen richtig verstanden und sofort umgesetzt wird.
Ein manchmal langwieriger Prozess…
Ja, denn gesagt ist noch nicht gehört, gehört ist noch nicht verstanden, verstanden ist noch nicht einverstanden, einverstanden ist noch nicht angewendet und angewendet ist noch nicht beibehalten. Diese ganze Prozesskette muss man durchlaufen, um Veränderung zu etablieren. Im Change-Prozess sprechen wir davon, dass drei Phasen zu durchlaufen sind: informieren, involvieren und aktivieren.
Was geschieht in diesen Phasen?
In der ersten Phase „informieren“ geht es darum, dass alle wissen, warum wir uns verändern, wohin wir uns verändern und ganz wichtig, was das für jeden Einzelnen bedeutet. In der zweiten Phase „involvieren“ geht es darum, allen glaubhaft zu machen, dass sie eine aktive Rolle spielen können. Es gilt, die Veränderung erlebbar und dabei verständlich zu machen, welchen Beitrag jeder dazu leisten kann. Hier muss die Veränderung vom Kopf ins Herz „rutschen“. In der dritten Phase „aktivieren“ geht es darum, Mitarbeiter zu Fürsprechern des Wandels werden zu lassen, sodass sie sich aktiv für diesen einsetzen und zum Beispiel die neuen Prozesse noch stärker leben.
Was auch noch wichtig ist: das Wort „Change“ wird erfahrungsgemäß negativ assoziiert. Dabei sind Veränderungen nicht immer „nur“ negativ, daher ist es auch sehr wichtig, über die positiven Aspekte der Veränderung zu sprechen.
Eine Linienorganisation gibt vielen Menschen ein klares Gefühl der Zugehörigkeit mit festen Befehls- und Loyalitätsverhältnissen. Welche Sicherheit kann ihnen die Matrix geben?
Das ist ein sehr guter und wichtiger Punkt. Klar definierte Führungsleitlinien sind dafür absolut notwendig. Diese Leitlinien müssen gemeinsam mit den Führungskräften entwickelt werden, sie müssen allen bekannt sein und jeder muss verstehen, wie er sie zu leben hat. Dann geben diese Leitlinien Orientierung und schaffen eine Sicherheit, wie man zusammenarbeitet. Zusätzlich sollte jeder Mitarbeiter genau wissen, wer in disziplinarischer und fachlicher Hinsicht seine Führungskraft ist und an wen er Themen hocheskalieren kann. Wichtig ist auch, dass jeder Einzelne versteht, dass die Matrix einen höheren Grad an Selbstorganisation mit sich bringt. Hierbei helfen entsprechende Trainings, die das fördern.
Kann ein Change hin zur Matrix auch von unten kommen oder stößt immer das Management ihn an?
Wenn er funktionieren soll, muss er aus meiner Sicht eine bewusste Entscheidung sein, die von oben kommt. Allerdings können und sollten Impulse und Bedürfnisse von Mitarbeitern zu Themen wie Kommunikation, flexible Arbeitsweisen u.ä. eine solche Entscheidung mitprägen.
Was muss sich in einem Unternehmen außer der Kommunikation noch ändern, wenn es sich in Richtung Matrixorganisation aufmacht? Muss da nicht das komplette Handwerkszeug ausgetauscht werden?
Ich muss auf jeden Fall die Führungsleitlinien klar definieren. Das Allerwichtigste aus meiner Sicht sind klare Rollen und der Prozess. Im Rahmen des Prozesses kann es notwendig sein, neues Handwerkszeug einzuführen, zum Beispiel ein neues Tool zur Ressourcenplanung. Ein ganz zentrales Thema ist jedoch auch, dass Führung sich sehr grundlegend verändert. Hier gilt es, einen klaren Rahmen zu schaffen und dann die Mitarbeiter vor allem dabei zu unterstützen, dass sie ihre Aufgaben bestmöglich erfüllen können. Eine Führung aus dem Hintergrund muss die Führung „von vorne“ ablösen – für viele Führungskräfte eine große Herausforderung. Das ist ein Prozess, der durch Trainings unterstützt werden kann, da passiert nichts von heute auf morgen. Manchmal ist es auch hilfreich, einige Veränderungen erst mal im Rahmen eines Piloten auszuprobieren und daraus zu lernen, bevor man sie auf die ganze Organisation überträgt.
Wie verlief der Veränderungsprozess bei Weber Shandwick?
Wir haben uns sukzessive verändert, zuerst ausschließlich mit Hilfe interner Ressourcen, später mit einer Beratungsfirma. Wir haben in Deutschland vier Standorte und sind international aktiv. Zunächst haben wir global einheitliche Titel und Profile eingeführt und damit auf die Bedürfnisse unserer Kunden reagiert, die nicht verstanden haben, warum jemand mit gleichem Erfahrungsstand in einem Land einen anderen Titel hat als in einem anderen Land. Gleichzeitig haben wir in einigen Bereichen wiederholt neue Experten an Bord geholt, um den aktuellen Entwicklungen des Kommunikationsmarktes gerecht zu werden. Schließlich haben wir unsere Kompetenzfelder in Experten-Communities organisiert: Kundenberatung, Insights, Content Production und Integrated Media. Bei uns heißen sie „Value Based Communities“. Jedes neue Aufgabenprofil haben wir einer der vier Communities zugeordnet. Die Steuerung übernimmt die Community Leadership/Business Operations.
Darüber hinaus blieb jeder Mitarbeiter auch einer branchenbezogenen „Practice“ zugeordnet, denn wir benötigen unterschiedliche Expertisen, je nachdem ob zum Beispiel jemand für Gesundheitswirtschaft oder für Technologie arbeitet.
Abb. 1: Die Matrixorganisation von Weber Shandwick
Und wie sieht Ihre Matrix heute konkret aus?
Zusammengefasst: Jeder Mitarbeiter hat einen festen Standort, gehört einer Practice und einer Community an und arbeitet in verschiedenen Kundenteams. Super komplex, oder? Um die besten Lösungen für unsere Kunden zu ermöglichen, haben wir einen neuen Prozess definiert, wie wir in dieser Komplexität zusammenarbeiten. Dieser Prozess ist fest definiert, heißt bei uns „Dynamic Teaming“ und basiert auf den Prinzipien des agilen Arbeitens. Für diesen Prozess haben wir einheitliche Tools, die uns dabei helfen, möglichst effizient zu arbeiten.
Was ist der persönliche Benefit der Mitarbeiter, wenn ihr Unternehmen sich nach verschiedenen Kompetenzfeldern, Practices und Standorten organisiert? Warum machen sie mit?
Warum machen sie mit? Weil die Komplexität unserer Arbeit sie zwangsläufig dazu nötigt, in dieser Matrix zusammenzuarbeiten. Damit jeder Mitarbeiter versteht, was sie für ihn bedeutet, haben wir sie gemeinsam im Rahmen eines All Agency Meeting zwei Tage lang simuliert, indem wir anhand eines echten Kundencases das Arbeiten in der Matrix geübt haben. So konnte jeder die Veränderung erfahren. Darüber hinaus brachte die Simulation unserem Learning & Development Team wichtige Erkenntnisse darüber, was wir noch trainieren müssen, damit unsere Mitarbeiter im Rahmen von Dynamic Teaming bestmöglich zusammenarbeiten können. Und stellen Sie sich vor: Diese Simulation der Veränderung hat allen sehr großen Spaß gemacht!
Leitlinien für die Führung in Matrixorganisationen:
- Es bedarf klarer Rollen und Verantwortlichkeiten.
- Es bedarf Klarheit über den Prozess und die Ressourcen.
- Es bedarf gemeinsamer Ziele.
- Es muss geklärt sein, wie mit Konflikten umgegangen wird – denn die treten in der Matrix häufiger auf.
- Es bedarf besonderer Skills bezüglich Beziehungsmanagement in der Matrix, die durch Trainings gefördert werden sollten.
- Es muss geklärt sein, wie, an wen und vom wem was kommuniziert wird.
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