Klassische Hierarchien, misslungene Kommunikation, frustrierte Mitarbeiter – die Antworten, die in herkömmlicher Führung stecken, führen nicht mehr weiter. Wie muss Management auf die Mitarbeiter einwirken, damit diese mit Vergnügen gute Ergebnisse abliefern?
Ulla Domkes Anliegen ist, zu vermitteln, dass nur ein Weniger an Führung zu echter Leadership führen kann. Im HR-Channel von buchreport.de zeigt sie, wie eng Delegieren und Motivieren zusammenhängen.
Es muss nicht immer gleich das Sterne-Menü sein
Einige gute Nachrichten zu Beginn:
- Die Förderung von Eigenverantwortung erfordert keine hohen Investitionen. Benefits, wie Fitnessstudios, schicke Lounges und Sterne-Menüs, wie man sie von den Großkonzernen wie Google und Co. kennt, sind nicht notwendig.
- Höhere Schnelligkeit und Flexibilität im Handeln und mehr Motivation und Freude bei der Arbeit erreichen Sie mit denselben Mitteln.
- Die Umstellung auf mehr Selbstorganisation gelingt in kleinen und mittelgroßen Unternehmen meist sehr viel leichter als in Konzernstrukturen.
Aber worum geht es eigentlich? Das Zauberwort zum Umgang mit den Herausforderungen unserer Zeit heißt Selbstorganisation. Mitarbeitende und Teams sollen unabhängig von der Führungskraft sich selbst organisieren, sie sollen flexibel, eigeninitiativ und kreativ ihre Arbeit gestalten. Doch die konkrete Umsetzung ist durchaus voraussetzungsreich. Lesen Sie hier, was die zentralen Punkte sind, die Sie bei der Umstellung auf mehr Selbstorganisation beachten sollten.
Im Kern braucht es vor allem Zweierlei:
- große Spielräume zur eigenen Gestaltung
- einen Rahmen, der Struktur und Orientierung gibt.
Zunächst zum ersten Punkt: Warum sind große Spielräume so zentral?
Engagement der Mitarbeiter muss man sich verdienen
Zu Eigeninitiative, Kreativität und hohem Engagement kann man niemanden verpflichten. Das geben Menschen nur freiwillig. Das heißt, Unternehmen müssen sich, wie Gary Hamel pointiert formuliert, überlegen, wie sie sich diese Geschenke verdienen können. Aber was sind eigentlich die zentralen Treiber für diese Fähigkeiten? Was befeuert sie?
Ein zentraler Treiber ist Begeisterung. Begeisterung ist energievoll – im Sinne von Leidenschaft, Überschwang, Elan – sie hat immer eine Richtung, einen konkreten Bezugspunkt, ein „Wollen“. Und, was in diesem Zusammenhang besonders wichtig ist: Wenn wir Begeisterung erleben, erleben wir ein Gefühl von Verbundenheit mit uns selbst, mit dem, was uns wichtig ist, ein Gefühl von Lebendigkeit und von „richtig sein“. Das heißt: Begeisterung kommt immer von innen und muss angebunden sein an das, was dem jeweiligen Menschen wichtig ist.
Damit kommen wir zu einer zentralen Voraussetzung für das Erleben von Begeisterung im Unternehmenskontext: Jeder Einzelne im Unternehmen muss die Möglichkeit bekommen, das was er tut, zu seiner Sache machen zu können.
Voraussetzungen für Engagement schaffen
Und das geht nur, indem ich meine Arbeit gestalten kann. Und dafür brauche ich Raum – und einen gut definierten Rahmen. Denn Spiel-RÄUME entstehen innerhalb eines RAHMENS. Und dieser Rahmen sorgt – wenn er gut gestaltet und für alle sichtbar ist – dafür,
- dass auf der einen Seite der Einzelne bzw. das einzelne Team eine Orientierung bekommt für seine eigenen Entscheidungen und
- dass gleichzeitig alle abgestimmt in eine gemeinsame Richtung arbeiten.
Der Orientierungsrahmen besteht zunächst einmal aus allem, was im Unternehmen feststeht, zum Beispiel:
- Gesetze
- Vorschriften
- Leitbilder/Visionen
- Regeln und Prinzipien
- Qualitätskriterien
- operative und strategische Ziele
- Rollenbeschreibungen.
Delegation und Kontrolle
Das alles lässt sich mit der entsprechenden Zeit zum Reflektieren gut formulieren und aufschreiben. Aber damit ist die Aufgabe nicht erledigt. Denn es gibt noch weitere äußerst relevante Kriterien für „gute“ eigenständige Entscheidungen der Mitarbeiter – und die stecken in den Köpfen der Führungskräfte. Wenn diese Kriterien nicht explizit werden, besteht die Gefahr, dass Führungskräfte immer wieder ungewollt das zarte Pflänzchen „Selbstorganisation“ zerstören.
Die Dynamik ist dabei folgende: Wenn Teams ihren Arbeitsbereich selbstorganisiert gestalten sollen, müssen sie ihre Arbeit selbst kontrollieren können. Und hier fängt das Problem an. Denn was passiert eigentlich, wenn kontrolliert wird? Kontrolle ist immer ein Soll/Ist-Abgleich.
Manche Kontrollkriterien sind objektiv, zum Beispiel bei Werkstücken (Maße, Gewicht etc.). Hier können Checklisten und Ähnliches erstellt werden, die es einzuhalten und abzuhaken gilt. Das ist eindeutig und insofern einfach. Allerdings: Hier geht es in den allermeisten Fällen gar nicht um echtes Entscheiden, sondern um das Einhalten von Regeln und Vorschriften.
Viel häufiger jedoch sind Kontrollkriterien subjektiv:
- Wann ist die Dekoration schön? Wann ist sie originell?
- Wann ist ein Verhalten kundenorientiert? Wann ist ein Verhalten besonders freundlich?
- Wann ist ein Text oder eine Präsentation fertig?
Und hier beginnt die Herausforderung für Führungskräfte:
Richtig und falsch kontrollieren
Wir Menschen neigen dazu, das, was wir für gut und schlecht, für richtig und falsch, für fertig oder unfertig halten als das Selbstverständliche zu nehmen. Das geht zum Teil auch gar nicht anders, weil wir vieles davon in einem Alter gelernt haben, als wir die Kriterien, die wir da verinnerlicht haben, noch gar nicht bewusst reflektieren konnten. Das ist normal und in der Regel auch gar kein Problem. Das Problem entsteht erst dann, wenn Sie Führungskraft sind und möchten, dass Ihre Mitarbeiter flexibel handeln und eigenständig entscheiden.
Denn das, was in Teams automatisch passiert, wenn ihnen diese Kriterien für „gutes und richtiges Entscheiden“ nicht explizit und klar sind, ist Folgendes:
Ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen fragen sich: Was wäre denn nun das, was meine Führungskraft wollen würde? Was sie machen würde?
Das Vertrauen des Mitarbeiters in das eigene Urteil wird so untergraben, Eigeninitiative unterbunden, Kreativität gehemmt und über die Zeit wird sich schwindendes Engagement zeigen. Stattdessen wird das gesamte Handeln am „Kontrollsystem“ ausgerichtet.
Das „Erraten“ der subjektiven Kontrollkriterien ersetzt das Lernen in der Sache. In der Folge werden Ihre Mitarbeiter immer mehr auf Anweisungen bzw. Rückmeldungen warten und sich genau an die Vorschriften halten, statt situativ angepasst, direkt zu reagieren.
Personalkonzepte für die Zukunft
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Das Gleiche geschieht, wenn Sie sich zum Beispiel immer wieder in Details des operativen Geschäfts einmischen oder Entscheidungen, die ein Mitarbeiter getroffen hat, wieder revidieren.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Es ist nicht gemeint, Kontrollen zu unterlassen, die im Sinne der Sicherheit (4-Augen-Prinzip) notwendig sind. Diese können in den meisten Fällen allerdings auch sehr gut durch Kollegen durchgeführt werden, was diese Kontrollen weniger kritisch für die Vertrauensverhältnisse macht.
Entscheidend ist der Unterschied,
- ob die Führungskraft in gemeinsam definierten Fällen noch mal ihr Okay gibt (manchmal ist das auch aus rechtlichen Gründen notwendig) – das ist unproblematisch, oder
- ob die Führungskraft unabgesprochene, für die Mitarbeiter unberechenbare „Stichproben-/Nach-Kontrollen“ durchführt – was von den Mitarbeitern als Misstrauensbeweis interpretiert wird und sie in ihrem eigenständigen Handeln verunsichert.
Der Effekt im zweiten Falle ist: Die Mitarbeiter schauen quasi „in die falsche Richtung“ – mit fatalen Auswirkungen: Der Blick auf die Führungskraft verhindert den Blick auf das Eigentliche – nämlich die Sache und den Kunden!
Ohne Mut keine mutigen Mitarbeiter
Wenn Sie die Selbstorganisationsfähigkeiten in Ihrem Team fördern wollen, ist es daher sehr wichtig, dass Sie mit Ihrem Vertrauen in Vorleistung gehen. Geben Sie Ihren Mitarbeitern alles an die Hand, was sie brauchen, um sich selbst überprüfen zu können und eigenständige „gute“ Entscheidungen treffen zu können.
Wenn dann Fehler passieren oder sich Entscheidungen im Nachhinein als falsch herausstellen, ist das ein Anlass für Sie als Führungskraft, sich folgende Fragen zu stellen:
- Was kann ich noch tun, um meinem Mitarbeiter die ausreichende Basis für ihre Entscheidungen zu geben, damit sie in ihrem operativen Geschäft mindestens genauso gute Entscheidungen fällen kann wie ich?
- Wo gibt es noch Informationen in meinem Kopf – oder an Stellen, zu denen nur ich Zugang habe – die meinen Mitarbeitern noch nicht als Basis für ihre Entscheidungen zur Verfügung stehen?
- Welchen Zugriff auf und Kenntnis von relevanten Daten und Hintergrundinformationen brauchen sie noch, um die Auswirkungen ihrer Entscheidungen einschätzen und ihre Relevanz einordnen zu können?
Um sich in einem großen Gestaltungsspielraum eigeninitiativ und kreativ bewegen zu können, brauchen Menschen Sicherheit. Ein gut definierter Rahmen gibt ihnen die Sicherheit, dass sie sich in die richtige Richtung bewegen. Darüber hinaus brauchen sie aber auch die Sicherheit, dass ihnen nichts passiert, wenn sie „falsche“ Entscheidungen getroffen haben. Wenn Mitarbeiter einmal die Erfahrung machen, dass ihre Entscheidung (oder die ihrer Kollegin) öffentlich in Frage gestellt oder kritisiert wird oder wenn sie einfach ignoriert oder boykottiert wird, wird diese Person dieses Risiko höchstwahrscheinlich nicht noch einmal eingehen.
Das »Prinzip der guten Gründe«
Deshalb empfehlen wir, sich grundsätzlich an das „Prinzip der guten Gründe“ zu halten. Es besagt: Die Menschen in einem Unternehmen können nur dafür sorgen, dass sie ihre Entscheidungen sorgfältig abwägen und das auf einer möglichst breiten Informationsbasis. Das heißt, Mitarbeiter sollten „gute Gründe “ für ihre Entscheidungen haben. Das ist ihre Verantwortung. Und hier endet sie auch.
Denn immer, wenn es wirklich etwas zu entscheiden gibt, kann man im Moment der Entscheidung noch gar nicht mit absoluter Sicherheit sagen, dass sich diese Entscheidung auch tatsächlich als richtig herausstellen wird. Beim echten Entscheiden geht es immer um ein Abwägen zwischen widerstreitenden Prioritäten – und ob man in diesem Moment „richtig“ abgewogen hat, das stellt sich erst in der Zukunft heraus.
Wenn eine sorgfältig abgewogene Entscheidung sich im Nachhinein als falsch herausstellt, muss daher die Organisation als Ganzes dafür die Verantwortung tragen. Die Person, die entschieden hat, muss vor jeglichen Sanktionen geschützt werden.
Voraussetzung für das Vorgehen nach diesem „Prinzip der guten Gründe“ ist eine offene Diskussion darüber, was als „guter Grund“ gilt. Entscheidungen, die sich im Nachhinein als falsch herausstellen, sind jeweils ein Anlass für eine solche Diskussion.
Das Richtige richtig kommunizieren
Vor der gewünschten Eigeninitiative steht also eine Menge Kommunikation, damit beide Seiten Sicherheit gewinnen: Die Menschen und die Organisation. Aber der Einsatz lohnt sich, denn er nützt beiden Seiten. Menschen erleben in großen Gestaltungsspielräumen Selbstwirksamkeit und Wertschätzung und die Möglichkeit, die eigenen Fähigkeiten zu erweitern und sich zu entwickeln.
Und das Unternehmen erlebt eine neue Dimension von Flexibilität und Geschwindigkeit, wenn Weisungs-, Kontroll- und Absicherungskommunikation wegfallen können und eine direkte, spontane Zusammenarbeit mit den Menschen, die für die aktuelle Aufgabenerledigung oder Lösungsfindung gebraucht werden, möglich wird.
Buch zum Thema:
Ulla Domke J. Martin Granica, Mutig führen. Wie Sie in Ihrem Unternehmen die Lust auf Verantwortung wecken
Verlag Schäffer-Poeschel, 2019
163 Seiten. Querformat. 19,95 Euro
ISBN 978-3-7910-4412-5
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