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»Lohngerechtigkeit ist theoretisch über Nacht möglich!«

Henrike von Platen, Gründerin des Fair Pay Innovation Lab. Foto: Oliver Betke.

Henrike von Platen, Gründerin des Fair Pay Innovation Lab. Foto: Oliver Betke.

Island macht Ernst bei Lohngleichheit: Während anderswo über den Gender-Pay-Gap diskutiert wird, zeigt Island, wie es geht. 2018 hat Island ungleiche Bezahlung für gleichwertige Tätigkeiten verboten. Wann kommt der Tag, an dem in Deutschland Frauen mehr verdienen als Männer? Und ist das bereits Lohngerechtigkeit? Wie funktioniert Lohngerechtigkeit für alle und was hat Transparenz damit zu tun? Antworten liefert die Fairpay- und Finanzexpertin Henrike von Platen im Interview im HR-Channel von buchreport.de.

Sie sind Gründerin des Fair Pay Innovation Labs. Was bedeutet Fairness für Sie? Und wann haben Sie sich das letzte Mal unfair behandelt gefühlt?

Fairness ist für mich: Einander auf Augenhöhe und nicht von oben herab zu begegnen, also auch keine Machtpositionen oder Abhängigkeitsverhältnisse auszunutzen, im Arbeitsleben wie im Privaten. Wer anderen mit Respekt begegnet, wird auch fair behandelt. Fairness ist ansteckend. Da ich das schon sehr lange offensiv praktiziere, kann ich mich gerade an keine Situation erinnern, in der ich mich unfair behandelt gefühlt habe.

Was treibt Sie und Ihr Team an, für mehr Transparenz und Lohngerechtigkeit zu kämpfen?

Wir glauben, dass Geld die wichtigste Stellschraube auf dem Weg zur Gleichstellung von Männern und Frauen ist. Wer Geld hat, hat Macht – und nichts im Leben gibt dir so viel Freiheit wie finanzielle Unabhängigkeit. Allerdings sind wir erst am Ziel, wenn alle ein Recht auf diese Freiheit haben. Im Gegensatz zu Privilegien werden Rechte ja auch nicht weniger, wenn sie geteilt werden. Wir wollen vorleben, was wir fordern und ohne erhobenen Zeigefinger andere motivieren, Dinge zu hinterfragen und Neues auszuprobieren.

Insbesondere der Gender-Pay-Gap entpuppt sich als ein Teufelskreis: Wer weniger verdient, bleibt zuhause, und wer zuhause bleibt, verdient weniger. Was wir uns vom Fair Pay Innovation Lab wünschen: Dass alle die Klischees in ihren eigenen Köpfen hinterfragen und sich von überholten Rollenbildern und Stereotypen verabschieden. Erst wenn auch Männer mehr Auszeiten nehmen, wird sich jedes Unternehmen irgendwann frei von Vorurteilen und unabhängig vom Geschlecht für den besten Bewerber oder die beste Bewerberin entscheiden – und nicht am Ende doch für den Mann, weil er im Gegensatz zur weiblichen Mitbewerberin das kleinere „Risiko“ ist.

Wie geht Ihr Unternehmen mit Lohntransparenz um? Wissen alle Mitarbeiter, wie viel jeder im Unternehmen verdient?

Ja. Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter und machen unsere Gehaltsstrukturen nach außen transparent. Das heißt, wer wissen möchte, wie hoch das eigene Gehalt als FPI-Agent wäre, kann das mit unserem Gehaltsrechner ganz leicht herausfinden. Außer Transparenz probieren wir auch andere Dinge aus: Während darüber in Berlin noch diskutiert wird, testen wir die neue 32-Stunden-Vollzeit schon. Wir haben flexible Arbeitszeiten, arbeiten im Home Office und an verschiedenen Standorten zwischen Berlin und Hamburg. Momentan haben alle FPI-Agents unterschiedliche Arbeitszeiten.

Kann das auch in größeren Unternehmen funktionieren?

Zugegeben: Noch sind wir ein kleines Team, das macht vieles leichter. Doch warum sollte im Großen nicht funktionieren, was im Kleinen machbar ist? Aber natürlich ist es leichter, von der Gründung an alles anders zu machen, als in gewachsenen Strukturen Kurskorrekturen oder regelrechte Kehrtwenden vorzunehmen.

Wie setzt Ihr das Versprechen für mehr Lohngerechtigkeit für alle konkret um?

Wir unterstützen Unternehmen bei der praktischen Umsetzung von Lohngerechtigkeit, ermuntern sie in ihren Transparenzvorhaben und sorgen für konstruktiven Best-Practice-Austausch der Unternehmen untereinander. Viele haben ja unabhängig vom Gesetz längst objektive, geschlechtsneutrale Vergütungssysteme entwickelt und können sich viel voneinander abgucken. Wir motivieren dazu, über Geld zu sprechen – in großen wie kleinen Unternehmen, aber auch in der Schule, der Ausbildung oder beim Berufseinstieg. Schüler und Schülerinnen, Auszubildende oder Studierende wissen zu wenig über die Bedeutung gerechter Bezahlung für den weiteren Lebensverlauf. Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen und Impulse geben, wie es gerechter zugehen könnte.

Personalkonzepte für die Zukunft

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Lohngerechtigkeit ist kein Hexenwerk. Erstaunlicherweise nehmen 84% der Arbeitnehmenden in Deutschland an, dass Frauen schlechter als Männer bezahlt werden – aber nur 47% glauben, dass das in ihrem eigenen Unternehmen der Fall ist. Das ist die Krux an der Lohnlücke: Der Einkommensunterschied ist zwar statistisch belegbar, wird aber im Einzelfall nur selten sichtbar. Deshalb ist Transparenz so wichtig, auch wenn die Vorbehalte oft groß sind.

Wer ist eigentlich besonders von Lohnungerechtigkeit betroffen?

Das ist leider sehr einfach zu beantworten: Verheiratete Frauen mit Kindern. Aber natürlich sind auch Männer von unfairer Bezahlung betroffen, gerade wenn sie in der Pflege oder in anderen sozialen Berufen arbeiten.

Für die Lohnlücke gibt es viele Ursachen: Frauen sind seltener in Führungspositionen zu finden, arbeiten oft in weniger gut bezahlten Branchen und Berufen und überdurchschnittlich oft in Teilzeit. Sie werden weniger oft befördert und übernehmen seltener Verantwortung. Männer werden eher nach Potenzial, Frauen nach erbrachter Leistung bezahlt. Alles zusammengenommen ein Einkommensunterschied von 21% – für gleiche oder gleichwertige Arbeit bezogen auf den Bruttostundenlohn. Der Gender Overall Earnings Gap ist sehr viel höher: 45,3%. Das mit Abstand größte Risiko für Altersarmut haben alleinerziehende Mütter.

Wann kommt der Tag X, an dem Frauen mehr verdienen als Männer?

Der Tag ist schon da. Jedenfalls in den Vorständen der Dax-30-Unternehmen. Dort verdienen Frauen schon heute mehr als ihre männlichen Kollegen. Mit ganz einfachem Grund: Seit Einführung der Frauenquote steigt der Marktwert weiblicher Führungskräfte enorm. Neben der Frauenquote spielen auch der Fachkräftemangel und die Digitalisierung der Lohngerechtigkeit in die Hände. Am Ende geht es aber nicht darum, dass Frauen mehr verdienen als Männer, sondern dass alle fair bezahlt werden. Erst wenn genauso viel unfähige Frauen in sehr gut bezahlten Top-Positionen landen, wie es unfähige Kerle an der Spitze gibt, haben wir es geschafft.

Kann ich präventiv verhindern, in eine Situation der ungerechten Bezahlung zu kommen? Und wenn ja, wie?

Erstens Augen auf bei der Berufswahl! Es ist wichtig, sich früh bewusst zu machen, welchen Einfluss der Traumberuf und die Traumbranche auf den weiteren Lebensverlauf haben – auch in ökonomischer Hinsicht.

Zweitens Augen auf bei der Partnerwahl! Das gilt natürlich besonders für Frauen. Wer einen Partner hat, der gängige Stereotypen und Rollenverteilungen hinterfragt und eine Beziehung auf Augenhöhe führen möchte, ist klar im Vorteil. Es hilft, sich bei der Familiengründung frühzeitig zu überlegen, wie Familienarbeit und Erwerbstätigkeit aufgeteilt werden sollen und die finanzielle Absicherung beider Elternteile zu klären.

Drittens Augen auf bei der Arbeitgeberwahl! Im Bewerbungsprozess schadet es nicht, sich darüber zu informieren, ob auch Führungskräfte in Teilzeit arbeiten oder Väter länger als zwei Monate in Elternzeit gehen. Gibt es flexible Arbeitszeiten, Home-Office-Tage oder Kinderbetreuung? Wie sieht es mit dem Diversity Management aus? Wird über Gehälter gesprochen? Das alles können Hinweise darauf sein, wie fair es in einem Unternehmen zugeht.

Und was kann ich tun, wenn ich herausfinde, dass ich unfair bezahlt werde?

Das kommt auf den Einzelfall an. Wenn es im Unternehmen eigentlich sehr fair zugeht, ist es ratsam, erst einmal das persönliche Gespräch mit dem oder der Vorgesetzten zu suchen. Auch das Gespräch mit Personalabteilung, dem Betriebsrat oder der oder dem Gleichstellungsbeauftragten ist denkbar. Seit dem 6. Januar 2018 besteht in Deutschland das Recht auf einen Auskunftsanspruch. Stellt sich dabei heraus, dass ich für die gleiche oder gleichwertige Arbeit weniger bekomme als andere, heißt es wieder erst einmal das Gespräch zu suchen – wenn alles nichts hilft, kann eine Gehaltsanpassung eingeklagt werden.

Es gibt nicht wenig Kritik am Entgelttransparenzgesetz. Aber wenn ein Gesetz es nicht schafft, die Ungerechtigkeit zu beenden, was dann?

Ein Gesetz ist immer nur so gut wie seine Umsetzung.  Es ist daher wichtig, dass jetzt möglichst viele Beschäftigte den Auskunftsanspruch wahrnehmen oder die Unternehmen den Anspruch proaktiv erfüllen. Schon jetzt sorgt das Gesetz dafür, dass das Thema Transparenz auf der Tagesordnung der Unternehmen steht und Entgeltkriterien diskutiert werden. Wenn alle jeden Tag sagen können „Heute werde ich fair bezahlt!“ und „Heute bezahle ich fair!“, dann sind wir am Ziel. Theoretisch ist Lohngerechtigkeit über Nacht möglich!

Mit freundlicher Genehmigung von Kununu, der größten Arbeitgeber-Bewertungsplattform in Europa.

Henrike von Platen gründete 2017 das FPI Fair Pay Innovation Lab, das Unternehmen bei der praktischen Umsetzung nachhaltiger Entgeltstrategien unterstützt. Die Finanzexpertin war von 2010 bis 2016 Präsidentin der Business and Professional Women Germany, gründete einen Fraueninvestmentclub, ist Hochschulrätin an der Hochschule München und engagiert sich im Arbeitskreis deutscher Aufsichtsrat e.V. sowie bei der Initiative „Frauen in die Aufsichtsräte“ (FidAR). Ihr Ziel: Lohngerechtigkeit für alle.

Kommentare

2 Kommentare zu "»Lohngerechtigkeit ist theoretisch über Nacht möglich!«"

  1. „Alles zusammengenommen ein Einkommensunterschied von 21% – für gleiche oder gleichwertige Arbeit bezogen auf den Bruttostundenlohn.“

    Das ist falsch. Es sind, je nach Methode, 2% bis 6% für gleiche Arbeit und gleiche Umstände. Diese oft genannten 21% vergleichen die Kassiererin im Aldi mit dem Geschäftsführer von Siemens. Schade, das Interview klang sonst vernünftig, aber ihre Hausaufgaben hätte sie schon machen sollen.

  2. Nach der letzten Statistik betrug der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen für den gleichen Job nur 6 %! Dass Frauen im Leben insgesamt zurückstecken müssen, weil sie sich z. B. um die Kindererziehung kümmern, ist das eigentliche Probleme. Daraus resultieren letztendlich die großen Einkommensunterschiede. Daran muss was geändert werden.

    Leider werden diese beiden Themen gerne in den Medien vermischt, so dass alle nur denken, Frauen würden weniger Lohn bekommen. Das führt die Debatte in die falsche Richtung.

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