Gerade Frauen neigen dazu, sich zu überlasten. Ein bisschen mehr geht immer: im Job, in der Familie, im Ehrenamt. „Aufgaben erledigt – aber ausgebrannt“, ist oft das Ende. Warum ist das so, und wie können sie Selbstüberforderung abwehren? Tipps von Coach und Entschleunigungsexpertin Ulrike Reiche im HR-Channel von buchreport.de.
Wer wünscht sich nicht ein gutes Miteinander, beruflich wie privat? Frauen sind es, denen besondere Talente zugeschrieben werden, um soziale Beziehungen und eine reibungslose Zusammenarbeit zu gestalten. Kommunikationsfähigkeit, Einfühlungsvermögen und Organisationstalent werden häufig genannt. Die Kehrseite davon ist, dass Frauen dazu neigen, sich an den Bedürfnissen anderer auszurichten.
Die Falle „Soziale Kompetenz“
Besonders auffällig wird dies, wenn sich ein Kind eingestellt hat. Die neue Familiensituation verlangt gerade Müttern in hohem Maße eine Veränderung ihres bisherigen Arbeitsstils und die Anpassung an die Vorstellungen anderer Menschen ab.
Medien, Politik, der eigene Bekanntenkreis, alle reden Frauen ein, Beruf und Familie ließen sich locker vereinbaren. Dieser Anspruch führt zu einem bestimmten Erwartungsdruck. Statt sich die damit einhergehende Überforderung bewusst zu machen und sich auf gesunde Art abzugrenzen, sind viele Frauen quasi in einem vorauseilenden Gehorsam versucht, den an sie gerichteten Anforderungen gerecht zu werden.
Die Organisation des Haushaltes, die Kinderbetreuung oder die Pflege kranker Familienangehöriger fallen in den Bereich der unbezahlten Care-Arbeit. Je nach Lebenssituation umfasst sie mehrere Stunden täglich. Wer da an „das bisschen Haushalt“ denkt, hat offensichtlich noch nie eigenständig sein privates Leben gemanagt. Denn die vielfältigen Aufgaben verlangen nicht nur eine gute Selbststeuerung, sondern auch die Fähigkeit, sich gleichermaßen auf unterschiedliche Personen einzustellen und die Bereitschaft, eigene Bedürfnisse zumindest zeitweise hintanzustellen.
Vielen Frauen fällt dies leicht, sei es aufgrund ihrer Persönlichkeit oder ihrer Erziehung. Und so wird die Care-Arbeit vorzugsweise an sie herangetragen. Wie die Politikerin Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitalisierung, in einem Interview mit der „Zeit“ unterstrich, wird sie immer wieder gefragt, wie sie denn ihre Aufgabe hinbekommt, obwohl sie drei Kinder hat. Ihr Mann, ebenfalls Vollzeit-Politiker, wird dies hingegen nie gefragt.
Was für das Ehepaar Bär gilt, gilt auch für die übrigen Familien.
Vorauseilender Gehorsam und schlechtes Gewissen
Der Chef möchte, dass die frischgebackene Mutter nach der Geburt schnellstmöglichst wieder an den Arbeitsplatz zurückkehrt. Natürlich in Vollzeit, sonst kann er nicht versprechen, dass der Job einige Monate lang freigehalten wird. Und dann ist das Kind da, und Frau realisiert: Eine Geburt ist eine Höchstbelastung, die nach angemessener Regeneration verlangt.
Noch dazu geben viele Eltern, insbesondere Mütter, ihr Kleinkind ungern in eine Betreuungseinrichtung. Auch wenn die Bezeichnung der „Rabenmutter“ zunehmend antiquiert erscheint, herrscht in vielen Köpfen noch immer die Vorstellung „Eine Mutter gehört zum Kind“, und das bitte 24 Stunden am Tag. Das erzeugt bei vielen Frauen immer noch ein schlechtes Gewissen, selbst wenn sie eine gute Betreuung für ihr Kind gefunden haben.
Frauen ohne Ehrgeiz, aber mit Doppelbelastung
Es wird allgemein beklagt, dass Frauen durch Heirat oder Schwangerschaft beruflich an Ehrgeiz verlören. Es ist aber weniger ihre Rolle als Mutter und Ehefrau, die Frauen dem Beruf vorziehen würden. Ausschlaggebend für den häufigen Rückzug von Müttern ist vielmehr die Doppelbelastung, die sie entmutigt, und eine auf männliche Karrieren fixierte Firmenkultur. So verwundert es nicht, dass immer noch die deutliche Mehrheit der Paare, etwa zwei Drittel der Familien, ein modernisiertes Ernährer-Modell mit den Frauen als Hinzuverdienerinnen lebt. Diese Paare bewegen sich im Prinzip weiterhin im tradierten Rollenverständnis.
Das ändert sich auch nicht, wenn beide Elternteile zuhause arbeiten. Mütter und Väter arbeiten zwar demnach durchweg mehr, wenn sie Homeoffice machen oder ihre Arbeitszeit selbst bestimmen können. Mehr Zeit für Kinderbetreuung und Hausarbeit wenden hingegen nur die Frauen auf. Zur Hausarbeit gehört auch, an alles zu denken und es zu organisieren. Diese sogenannte geistige Zusatzlast, der „Mental Load“, wird üblicherweise von Frauen getragen. Selbst wenn der Mann zu Hause mit anpackt, hat oft die Frau geplant und vorbereitet. Das Planen und Alles-Bedenken bindet Kraft, die im Beruf und für die eigene nötige Erholung fehlt.
Das setzt sich auch fort, wenn Kinder schon längst aus dem Haus sind oder Paare kinderlos bleiben. Auch in diesen Fällen liegt der größte Teil des „Mental Load“ und der Hausarbeit bei den Frauen, und sie sind es zuvörderst, die älteren Familienangehörigen zur Seite stehen. Nicht wenige reduzieren im Zuge der häuslichen Pflege ihr Arbeitsvolumen wieder, so wie sie es zur Zeit der Kinderbetreuung gemacht haben.
Die Quadratur des Kreises auflösen
All diese Erwartungshaltungen tragen dazu bei, dass sich so manche Frau übermäßig zu verausgaben droht. Häufig gelingt es, den Anforderungen im Beruf und der Familie eine gewisse Zeit lang gerecht zu werden. Wenn jedoch die Selbstfürsorge auf Dauer zu kurz kommt, wird das Spannungsfeld „Familie – Beruf – ich“ zu einer Quadratur des Kreises. Es stellt sich die Frage, wie Frau hier wieder herausfindet oder, besser noch, gar nicht erst hineingerät.
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Hierfür ist es nötig, ab und an innezuhalten, um Tempo aus der Tretmühle des Alltags zu nehmen. Entschleunigen Sie Ihr Leben, beruflich wie privat, und nutzen Sie bewusst die Auszeiten, um immer wieder aufs Neue über Ihre Arbeits- und Lebensweise zu entscheiden.
Erlauben Sie sich die Frage „Was will ICH? Was tut mir gut, was nutzt mir, was nutzt meiner Familie?“, bevor Sie reflexartig den Anforderungen aus Ihrem beruflichen und privaten Umfeld Genüge tun. Machen Sie sich bewusst: Auch Hausarbeit, Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen und Kontaktpflege zum sozialen Umfeld bedürfen ihrer Anstrengung und erfordern Zeiteinsatz. Beziehen Sie dies bei der Planung ihres Alltages mit ein. Suchen Sie gemeinsam mit Ihrer Familie nach einer angemessenen Aufgabenverteilung.
1 Flexibilität ist keine Einbahnstraße
Setzen Sie sich dafür ein, Ihre Arbeitszeit soweit wie möglich in Übereinstimmung mit Ihren persönlichen Bedürfnissen zu bringen. Moderne Arbeitszeitmodelle und Remote Work machen vieles möglich, allerdings müssen Sie die Möglichkeiten auch in Anspruch nehmen und sich offensiv darum kümmern. Teilzeit muss keine lebenslange Lösung sein, sondern ist vorübergehend. Gleiches gilt für Homeoffice und Mobile Work – schlagen Sie Ihrem Arbeitgeber eine zeitliche Befristung vor und überprüfen Sie gemeinsam regelmäßig, ob die getroffene Regelung noch für alle Seiten passt.
2 Perspektivisch sinnvoll ist eine lebensphasenorientierte Betrachtung
Frauen können alles – alles zu ihrer Zeit! Fragen Sie sich „Ist wirklich alles gleichzeitig machbar für mich? Beruf & Karriere und Partnerschaft & Kind?“ Nicht wenige Frauen starten nach dem 50. Lebensjahr beruflich nochmals kräftig durch, gründen eigene Unternehmen oder treten Führungspositionen an.
3 Versuchen Sie es einmal mit dem Zauberwort »nein«!
Wenn Ihnen jemand eine zusätzliche Aufgabe anträgt, wäre der Satz „Nicht jetzt, aber später!“ eine weiche Form der Ablehnung. Gerade in emotional aufgeladenen Stresssituationen, beruflich wie privat, ist es häufig besonders herausfordernd, sich abzugrenzen. Machen Sie sich klar, für wen Sie zuvörderst Verantwortung tragen – in der Regel für Ihre Kinder, Ihre Partnerschaft UND für sich selbst!
4 Pflegen Sie Ihre Kraftquellen
Wenn Sie wissen, wodurch Sie sich am besten erholen, müssen Sie dies nur noch konsequent und regelmäßig in ihren Alltag einbauen. Denken Sie daran: Nur wenn Ihr Akku aufgeladen ist, haben Sie anderen auch etwas zu geben! Gönnen Sie sich immer wieder Auszeiten. Ein Wellness-Wochenende ist zwar eine schöne Abwechslung, aber noch viel wichtiger ist es, im Alltag für Entspannung zu sorgen und Raum zum Abschalten zu schaffen. Dazu gehört auch ausreichender Schlaf!
5 Finden Sie zu einem effizienten Arbeitsrhythmus
Legen Sie im Arbeitsverlauf regelmäßig Pausen ein. Am besten planen Sie diese von vornherein mit in Ihren Tagesplan ein. Bei komplexen Arbeiten, die hohe Konzentration erfordern, empfiehlt sich ein Rhythmus von 90 Minuten Arbeit und 10 bis 20 Minuten Erholungspause. Dieser Arbeitsrhythmus gilt nicht nur im Büro – achten Sie darauf, dass Sie auch zu Hause Pausen machen, ganz unabhängig davon, ob Sie im Homeoffice arbeiten oder mit Hausarbeit beschäftigt sind. Im Durchschnitt sollte Ihr Arbeitstag – im Falle einer Vollzeittätigkeit – nicht länger als 8 Stunden dauern. Wenn möglich, experimentieren Sie mit einer auf 6 Stunden verkürzten Arbeitszeit, und überprüfen Sie Ihre Produktivität. Womöglich werden Sie feststellen, dass Sie in weniger Zeit genauso viel schaffen, wie an längeren Arbeitstagen.
Resümee
Von einem gesunden Arbeits- und Lebensstil profitieren alle. Sie, Ihre Kinder, Ihr Lebenspartner, Kolleginnen und Kollegen, die Firma … – die ganze Gesellschaft.
Mit freundlicher Genehmigung des Business Village Verlages.
Ulrike Reiche, Slow Work – Slow Life. Entschleunigt und gelassener leben
1. Auflage
BusinessVillage 2019
240 Seiten
ISBN 978-3-86980-444-6
24,95 Euro
Ulrike Reiche gilt als ausgewiesene Expertin für Entschleunigung im Berufs- und Privatleben. Sie berät Unternehmer und leitende Führungskräfte auf dem Erfolgsweg.
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