Tipp Nr. 2: Leisten Sie mehr Arbeit, wenn Sie E-Mails verschicken oder beantworten
Lesen Sie sich einmal die folgenden Standard-Mails durch:
- E-Mail Nr. 1: „Es war schön, Sie letzte Woche kennenzulernen. Einige der Themen, über die wir gesprochen haben, würde ich gerne noch mal vertiefen. Hätten Sie Lust auf einen Kaffee?“
- E-Mail Nr. 2: „Wir sollten noch mal auf dieses Forschungsproblem zurückkommen, das wir bei meinem letzten Besuch diskutiert haben. Bringen Sie mich auf den aktuellen Stand?“
- E-Mail Nr. 3: „Ich habe mich mal an dem Artikel versucht, über den wir geredet haben, und hänge ihn an. Was halten Sie davon?“
Diese drei Beispiele dürften den meisten Wissensarbeitern bekannt vorkommen, denn sie sind repräsentativ für viele Nachrichten, die ihren Posteingang füllen. Darüber hinaus sind sie potenzielle Produktivitätsfresser: Wie Sie darauf antworten, hat erhebliche Auswirkungen darauf, wie viel Zeit und Aufmerksamkeit die sich anschließende Konversation auffrisst.
Insbesondere Frage-E-Mails wie diese lösen einen augenblicklichen Instinkt aus, die schnellstmögliche Antwort zu verfassen, um die Nachricht – vorübergehend – aus dem Posteingang zu bekommen. Eine schnelle Antwort bietet Ihnen kurzfristig eine gewisse Erleichterung, weil Sie die in der Mail enthaltene Verantwortung zurück an den Absender übertragen. Diese Erleichterung ist jedoch nur von kurzer Dauer, denn diese Verantwortung wird immer wieder hin und her verschoben und nagt kontinuierlich an Ihrer Zeit und Ihrer Aufmerksamkeit. Halten Sie daher bei der Konfrontation mit einer
derartigen Frage einen Augenblick inne, ehe Sie antworten, und nehmen Sie sich die Zeit, eine Antwort wie die im folgenden Beispiel zu formulieren:
Was ist das in dieser Nachricht angesprochene Projekt, und welches ist der effizienteste Ablauf (im Hinblick auf verschickte Mails), um dieses Projekt zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen? Sobald Sie diese Frage für sich selbst beantwortet haben, ersetzen Sie die rasche Antwort durch eine, in der Sie sich die Zeit nehmen, den von Ihnen identifizierten Prozess zu beschreiben, die den aktuellen Stand festhält und die folgenden Schritte in den Vordergrund stellt.
Ich nenne dies den prozessorientierten Mail-Ansatz, und sein Ziel ist es, sowohl die Anzahl der erhaltenen E-Mails zu minimieren als auch die mentale Anstrengung, die sie mit sich bringen. Um diesen Prozess und seine Funktionsweise besser erklären zu können, lesen Sie bitte die folgenden prozessorientierten Antworten auf die Beispiel-Mails von weiter oben:
- Prozessorientierte Antwort auf E-Mail Nr. 1: „Ich trinke gerne einen Kaffee mit Ihnen. Treffen wir uns doch bei Starbucks auf dem Campus. Unten nenne ich Ihnen die beiden Tage der nächsten Woche, an denen ich Zeit hätte. Für jeden Tag habe ich drei Uhrzeiten angegeben. Falls eine dieser Tag-Uhrzeit-Kombinationen für Sie passt, lassen Sie es mich bitte wissen. Ich betrachte Ihre Antwort als Bestätigung des Termins. Wenn Sie an keinem der Termine können, rufen Sie mich unter der unten angegebenen Telefonnummer an, und wir machen einen geeigneten Zeitpunkt aus. Ich freue mich darauf.“
- Prozessorientierte Antwort auf E-Mail Nr. 2: „Ich stimme Ihnen zu, dass wir noch einmal auf dieses Problem zurückkommen sollten. Ich schlage Folgendes vor: Mailen Sie mir nächste Woche alles, an das Sie sich bezüglich unserer Diskussion des Problems erinnern können. Sobald ich diese Nachricht erhalten habe, erstelle ich eine gemeinsame Richtlinie für das Projekt und füge sie einem Dokument hinzu, das Ihre Ergebnisse zusammenfasst und durch meine eigenen Erinnerungen an unsere zurückliegende Diskussion ergänzt ist. In diesem Dokument werde ich die zwei oder drei aussichtsreichsten nächsten Schritte vermerken. Wir können diese nächsten Schritte dann einige Wochen lang durchführen und uns noch mal darüber austauschen. Ich schlage vor, dass wir zu diesem Zweck in einem Monat miteinander telefonieren. Unten habe ich einige Tage und Uhrzeiten aufgeführt, an denen ich telefonisch erreichbar bin. Wenn Sie mir Ihre Notizen schicken, geben Sie bitte Tag und Uhrzeit an, wann es Ihnen am besten passt, und wir betrachten diese Antwort als Bestätigung des Telefontermins. Ich freue mich darauf, das Problem näher zu beleuchten.“
- Prozessorientierte Antwort auf E-Mail Nr. 3: „Danke, dass Sie an mich gedacht haben. Ich werde den Entwurf des Artikels lesen und Ihnen am Freitag (10.) eine mit Anmerkungen versehene, überarbeitete Version schicken. In dieser von mir zurückgesendeten Version korrigiere ich alles, was mir möglich ist, und füge Kommentare hinzu, um Sie auf Stellen aufmerksam zu machen, die Sie selbst verbessern sollten. Damit sollten Sie alles haben, was Sie zum Überarbeiten und Abschicken des letzten Entwurfs benötigen, also belassen wir es dabei. Sie brauchen diese Nachricht oder die von mir zurückgeschickte Überarbeitung nicht zu beantworten – es sei denn natürlich, es gibt noch eine Rückfrage.“
Beim Verfassen dieser Beispielantworten habe ich damit begonnen, das in der Nachricht angesprochene Projekt zu identifizieren. Beachten Sie bitte, dass der Begriff „Projekt“ hier im weiteren Sinne verwendet wird. Er kann für umfangreiche tatsächliche Projekte stehen, zum Beispiel die Fortschritte bei einem Forschungsproblem (Beispiel Nr. 2), er kann sich aber auch genauso gut auf kleine logistische Herausforderungen wie eine Verabredung zum Kaffee beziehen (Beispiel Nr. 1). Anschließend habe ich mir ein, zwei Minuten Zeit genommen, einen Prozess zu überdenken, der uns mit einem Minimum
an notwendigen Nachrichten vom Status quo zum gewünschten Ergebnis bringt. Der letzte Schritt bestand darin, eine Antwort zu schreiben, die diesen Prozess und unseren gegenwärtigen Standpunkt genau beschreibt. Diese Beispiele haben sich auf E-Mail-Antworten bezogen, aber es sollte deutlich geworden sein, dass ein ähnlicher Ansatz auch funktioniert, wenn Sie derjenige sind, der eine Konversation per Mail beginnt.
Der prozessorientierte E-Mail-Ansatz kann den Einfluss von E-Mails auf Ihre Zeit und Aufmerksamkeit maßgeblich verändern. Dafür gibt es zwei Gründe:
- Erstens reduziert er die Zahl der E-Mails in Ihrem Posteingang – manchmal erheblich (etwas so Schlichtes wie eine Verabredung zum Kaffee kann leicht in ein halbes Dutzend oder mehr Nachrichten über einen Zeitraum von mehreren Tagen ausarten, wenn Sie nicht sorgsam antworten). Das wiederum verringert die Zeit, die Sie mit Ihren eingehenden Nachrichten verbringen, und die geistige Kapazität, die Sie dafür aufbringen müssen.
- Zweitens wird eine gute prozessorientierte Nachricht im Hinblick auf das fragliche Projekt augenblicklich – um die Terminologie David Allens zu verwenden – „den Kreis schließen“. Wenn ein Projekt durch eine E-Mail angestoßen wird, die Sie verschicken oder erhalten, setzt es sich in Ihrem Kopf fest – es wird zu etwas, das „auf Ihrem Tisch liegt“ in dem Sinne, dass es Ihnen zur Kenntnis gebracht wurde und Sie sich letztlich darum kümmern müssen. Diese Methode schließt diesen offenen Kreis, sobald er sich bildet. Indem Sie den gesamten Prozess durchgehen, alle auf Ihrer Seite wichtigen Verpflichtungen in Ihre Aufgabenliste und Ihren Kalender eintragen und die Reaktion der Gegenseite beschleunigen, kann Ihr Geist das Territorium zurückerobern, das zuvor von dem Projekt beansprucht wurde. Weniger mentales Gerümpel bedeutet mehr geistige Ressourcen für Deep Work.
Mehr zum Thema Personalmanagement und -führung lesen Sie im HR-Channel von buchreport und Channel-Partner Bommersheim Consulting. Hier mehr
Auf den ersten Blick wirken prozessorientierte E-Mails nicht unbedingt selbstverständlich. Zum einen erfordert es mehr Zeit, über Ihre Nachrichten nachzudenken, ehe Sie sie verfassen. Im Augenblick könnte das so aussehen, als würden Sie mehr Zeit mit E-Mails zubringen. Es ist jedoch wichtig zu bedenken, dass die zusätzlichen drei Minuten, die Sie an dieser Stelle investieren, Ihnen viele weitere Minuten ersparen, in denen Sie später unnötige zusätzliche Mails lesen und beantworten.
Das zweite Problem ist, dass die prozessorientierten Mails gestelzt und übermäßig sachlich wirken können. Die sozialen Konventionen im Zusammenhang mit E-Mails erwarten eher einen Konversationston, der mit dem systematischeren Vorgehen oder den Entscheidungsdiagrammen kollidiert, die häufig in der prozessorientierten Kommunikation verwendet werden. Wenn Sie das besorgt, lassen Sie Ihren Nachrichten eine längere Konversationseinleitung vorangehen. Sie können den prozessorientierten Teil Ihrer Mail sogar mit einer Trennlinie von der plauderhaften Einleitung abgrenzen
oder sie als „Vorschlag für die nächsten Schritte“ bezeichnen, damit der sachliche Tonfall besser zum Kontext passt.
Letztlich sind diese geringfügigen Unannehmlichkeiten es wert. Wenn Sie im Vorfeld mehr darüber nachdenken, was diese E-Mails, die in Ihrem Postfach hinein- und wieder herausflitzen, wirklich bewirken sollen, können Sie die negativen Auswirkungen dieser Technologie auf Ihre Fähigkeit, an den tatsächlich bedeutsamen Dingen zu arbeiten, um ein Vielfaches verringern.
Kommentar hinterlassen zu "So beherrschen Sie Ihr E-Mail-Postfach"