Tipp Nr. 3: Antworten Sie nicht
Als Student am MIT hatte ich die Gelegenheit, mit berühmten Gelehrten zusammenzutreffen. Dabei fiel mir auf, dass viele von ihnen einen faszinierenden und recht raren Umgang mit E-Mails pflegten: Ihr Standardverhalten beim Erhalt einer Nachricht bestand darin, nicht zu antworten.
Im Laufe der Zeit erkannte ich die Philosophie, die diesem Verhalten zugrunde liegt: Bei E-Mails, so ihre Überzeugung, trägt der Absender die Verantwortung dafür, den Empfänger zu überzeugen, dass eine Antwort lohnenswert ist. Wenn Sie das nicht überzeugend nachweisen und in ausreichendem Maße den für den Professor notwendigen Aufwand einer Antwort minimieren konnten, erhielten Sie auch keine.
Die folgende E-Mail zum Beispiel würde von vielen der berühmten Namen am Institut sehr wahrscheinlich unbeantwortet bleiben:
„Hi Professor. Ich würde gern mal vorbeikommen, um über [Thema XY] mit Ihnen zu reden. Haben Sie Zeit?“
Diese Mail zu beantworten, erfordert zu viel Aufwand. „Haben Sie Zeit?“ ist zu allgemein, um rasch beantwortet werden zu können. Es gibt auch keinerlei Versuch der Beweisführung, dass dieses Gespräch die Zeit des Professors wert sein könnte. Vor dem Hintergrund dieser Kritikpunkte kommt nun eine Version derselben Nachricht, die eine größere Chance auf Antwort hat:
„Hi Professor. Ich arbeite mit meinem wissenschaftlichen Betreuer, [Professor Y], derzeit an einem Projekt ähnlich [Projekt X]. Wäre es in Ordnung, wenn ich am Donnerstag in der letzten Viertelstunde Ihrer Sprechstunde mal vorbeikomme, um Ihnen genauer zu erläutern, wonach wir suchen, und zu schauen, ob dies zu Ihrem aktuellen Projekt passen könnte?“
Im Gegensatz zur ersten Nachricht stellt diese deutlich heraus, warum das Treffen sinnvoll ist, und minimiert den Antwortaufwand des Empfängers.
Dieser Tipp besagt, dass Sie in dem Maße, wie es in Ihrem beruflichen Kontext machbar ist, diese akademische Ambivalenz gegenüber E-Mails kopieren. Versuchen Sie dazu, die folgenden drei Regeln anzuwenden, um einzuordnen, welche Nachrichten eine Antwort erfordern und welche nicht.
Akademische Mail-Sortierung: Antworten Sie nicht auf E-Mails, wenn einer der folgenden Punkte zutrifft:
- Die Nachricht ist nicht eindeutig oder erschwert es Ihnen anderweitig, eine vernünftige Antwort darauf zu schreiben.
- Es handelt sich nicht um eine Frage oder einen Vorschlag, der für Sie von Interesse ist.
- Wenn Sie antworten, passiert nichts wirklich Gutes, und wenn Sie nicht antworten, passiert nichts wirklich Schlimmes.
In all diesen Fällen gibt es viele offenkundige Ausnahmen. Wenn zum Beispiel eine nicht eindeutige Nachricht über ein für Sie uninteressantes Projekt vom CEO Ihrer Firma kommt, werden Sie wohl darauf antworten. Aber von diesen Ausnahmen abgesehen, fordert der akademische Ansatz Sie dazu heraus, sehr viel rigider zu entscheiden, ob Sie auf „Antworten“ klicken oder nicht.
Anfangs kann die Befolgung dieses Tipps unbequem sein, denn sie wird dazu führen, dass Sie mit einer Schlüsselkonvention im Zusammenhang mit E-Mails brechen: Eine Antwort wird erwartet, unabhängig von der Relevanz oder Angemessenheit der Nachricht.
Es gibt auch keine Möglichkeit zu vermeiden, dass ein paar unangenehme Dinge passieren, wenn Sie dieses Vorgehen übernehmen. Zumindest werden ein paar Leute verwirrt oder verärgert sein – besonders wenn es ihnen noch nie passiert ist, dass die allgemeinen E-Mail-Konventionen infrage gestellt oder ignoriert werden. Wissen Sie was? Das ist in Ordnung so. Wie der Autor Tim Ferriss mal sagte: „Machen Sie es sich zur Gewohnheit, kleine unangenehme Dinge geschehen zu lassen. Tun Sie das nicht, finden Sie niemals die Zeit für die lebensverändernden großen Dinge.“
Vielleicht ist es Ihnen ein Trost, dass die Menschen, wie die MIT-Professoren entdeckten, ihre Erwartungen rasch an die Besonderheiten Ihrer Kommunikationsgewohnheiten anpassen. Die Tatsache, dass Sie ihnen auf ihre eilig verfasste Nachricht nicht geantwortet haben, wird vermutlich kein zentrales Ereignis ihres Lebens darstellen.
Wenn Sie das Unbehagen bei dieser Methode erst einmal überwunden haben, fangen Sie an, ihre Vorteile zu genießen. Es gibt zwei häufig geäußerte Meinungen bei der Diskussion über E-Mail-Überlastung: Die eine besagt, dass das Verschicken von Mails weitere Mails erzeugt, während die andere lautet, dass die Mühe mit nicht eindeutigen oder irrelevanten E-Mails eine wesentliche Ursache für mit dem Posteingang zusammenhängenden Stress darstellt.
Die hier vorgestellte Vorgehensweise reagiert aggressiv auf beide Probleme (Sie verschicken weniger Mails und ignorieren diejenigen, deren Beantwortung aufwendig ist) und lockert dadurch maßgeblich den Würgegriff, in dem Ihr Postfach Ihre Zeit und Ihre Aufmerksamkeit gefangen hält.
Mit freundlicher Genehmigung der Münchner Verlagsgruppe.
Cal Newport: „Konzentriert arbeiten. Regeln für eine Welt voller Ablenkungen.” Redline Verlag. 272 Seiten broschiert. 19,99 Euro.
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