Der Markt für Medien wird volatiler. Da bleibt es nicht aus, dass die Organisation der Verlage fluider wird. Unter dem Einfluss permanenten Wandels geraten traditionelle Linienorganisationen unter Druck. Immer öfter fallen fachliche und disziplinarische Leitung auseinander.
Wie kann es Team- oder Gruppenleitern trotzdem gelingen, Arbeitskraft und Engagement einzufordern? Wie verschaffen sie sich auch ohne disziplinarische Verantwortung Anerkennung und Autorität? Wie gelingt es ihnen, Ziel- und Interessenskonflikte unter den Teammitgliedern zu vermeiden? Und wie positionieren sie sich am besten im Spannungsfeld zwischen Chef und Kollegen? Im Seminar „Führen ohne Vorgesetztenfunktion“ in der Akademie der Deutschen Medien am 9./10. Mai 2019 im Münchner Literaturhaus und am 29./30.8.19 in den Design Offices Frankfurt bildet Jürgen Krieger Führungskräfte im lateralen Führen weiter. Im HR-Channel von buchreport.de gibt er Auskunft über die Grundzüge der lateralen Führungstechnik.
Wenn vor Jahrzehnten jemand einem anderen fachliche Anordnungen geben musste, ohne ihm disziplinarisch übergeordnet zu sein, nannte man das schlechte Organisation. Warum ist es heute „das letzte heiße Ding“?
Es geht meines Erachtens nicht um „schlechte“ oder „gute“ Organisationen, ich möchte, wenn Sie früher mit heute vergleichen, die Anforderungen an die Kompetenz einer Führungskraft in den Fokus stellen, diese sind gerade in den letzten 10 bis 15 Jahren einem großen Wandel unterworfen. Die klassischen Möglichkeiten, in der Hierarchie aufzusteigen, waren früher hauptsächlich die Fachkompetenz, das Alter oder die Zugehörigkeit zu einem Unternehmen. Was heute von den Führungskräften verlangt wird, ist nicht mehr wie in früheren Zeiten fokussiert auf die fachliche Kompetenz. Laterale Führung basiert auf Vertrauen und Verständigung und sie strebt danach, die unterschiedlichen Interessen soweit als möglich und tragfähig zu verbinden. Diese Art von Führung muss sich – da die disziplinarische „Machtquelle“ entfällt, auf andere „Machtquellen“ stützen: zum Beispiel mit Hilfe der Kommunikation in den Dialog gehen, soziale Kompetenz zeigen, persönliche Autorität und Integrität ausstrahlen, gezieltes Networking betreiben und das Thema Selbstführung in den Vordergrund stellen.
Worin unterscheiden sich laterale Führungsverhältnisse von Konstellationen, in denen eine fachlich und menschlich überlegene Kraft in einem Team Autorität beansprucht und Entscheidungsverantwortung übernimmt?
Macht spielt immer eine Rolle, allerdings ist die „Quelle“ der Macht in der lateralen Führung eine andere. Lateral kommt vom lateinischen „latus“ und bedeutet also „von der Seite“. Der Begriff umschreibt die Situation der Führung ohne Weisungsbefugnis. Die Führungskraft ohne Vorgesetztenfunktion unterliegt, wie ich finde, nahezu den gleichen Anforderungen wie jede andere Führungskraft und muss wie ein Unternehmer im Unternehmen handeln. Sie managt Prozesse und interagiert mit Menschen, obwohl sie in vielen Fällen keinerlei disziplinarische Befugnisse und keine Legitimation aufgrund ihrer hierarchischen Position hat.
Dieser Balanceakt erfordert neben der Fach- und Methodenkompetenz vor allem Persönlichkeit, natürliche Autorität und Überzeugungskraft. In meinen Seminaren geht es genau darum, die authentischen Führungskompetenzen zu entwickeln, und darum, dass die Teilnehmer sich des eigenen Führungsverhaltens bewusst werden, die eigene Führung und das Aufgabenumfeld richtig analysieren und emotional intelligent sich und andere führen.
Was sind typische Konstellationen, aus denen laterale Führungs- und Unterstellungsverhältnisse hervorgehen?
Ursache für typische Konstellationen sind die Veränderungen. Der Wandel der Wissensgesellschaft, die Digitalisierung, Social Media und die „neuen“ Generationen Y und Z verändern das Wirtschaftsleben – wir leben in einer V.U.C.A. Welt, Komplexität, Unsicherheiten und fehlende Stabilität haben Auswirkungen auch auf Führung. Mit zunehmender Vernetzung werden die Märkte volatiler. Markt und Kundenbedürfnisse ändern sich schneller. Allein das spricht gegen langwierige hierarchische Entscheidungsprozesse. Die Führung von zeitlich begrenzten Teams, Projektarbeit und virtuelle Teamarbeit werden zunehmen, weil man sich so besser und schneller auf die sich ändernden Kundenbedürfnisse einstellen kann. Veränderung zu gestalten ist heute originäre, laterale Führungsverantwortung. Und jede Veränderung beginnt mit Selbst-Führung.
Ist laterale Führung eine bloße Hilfskonstruktion, die es lieber zu vermeiden gilt?
Nein, der Begriff „Hilfskonstruktion, die es zu vermeiden gilt“, führt in die völlig falsche Richtung. Laterale Führung ist für mich die „Königsdisziplin der Führung“. Und diese Art der Führung ist für mich die Zukunft in der sich immer schneller drehenden Welt. Ob Führung funktioniert oder nicht, ist eine Frage der Beziehung. Es spielen die emotionalen Aspekte eine entscheidende Rolle. Die Teammitglieder möchten verstehen, worum es geht, sie möchten Sinn erfahren und spüren, warum sie ein wertvoller Teil des Ganzen sind sowie welche Rolle sie einnehmen – persönlich wie professionell.
Die meisten Mitarbeiter werden demjenigen, mit dem sie ihr Gehaltsgespräch führen, loyaler gegenüberstehen als dem, der sie „lateral“ führt? Wie kann man diese Mitarbeiter trotzdem produktiv bekommen und zufriedenstellen?
Die Gegenüberstellung Gehalt – Loyalität passt für mich nicht im Zusammenhang von lateraler Führung. In der lateralen Führung geht es nicht um die Gleichung „mehr Gehalt = mehr Motivation“, sondern in erster Linie um Vertrauen, Verständnis und um das richtige Gestalten von Beziehungen. Spannend in dem Zusammenhang ist für mich die Frage, aus welcher inneren Haltung heraus die lateral wirkende Führungskraft aktiv wird. Denn unser Verhalten ist ein Spiegelbild unserer Einstellung, unserer inneren Haltung. Die Transformation der inneren Haltung spielt in der lateralen Führung eine große Rolle und braucht ein hohes Maß an innerer Aufmerksamkeit und Zeit zur Selbstreflexion.
Welche Talente und welche Techniken verlangt laterale Führung von der Führungskraft?
Die fachliche Kompetenz reicht – meines Erachtens – nicht aus, eine gute laterale Führungskraft zu sein. Wie gesagt, erfordert laterale Führung neben der Fachkompetenz einen Koffer, eine Toolbox mit Methoden. Systematische Vorgehensweise, die Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen, konstruktives Feedback zu geben, aktives Zuhören sind nur einige Vorgehensweisen, die die laterale Führung begleiten.
Neben der fachlichen und methodischen Kompetenz verlangt laterale Führung vor allem: Persönlichkeit. Dafür ist ein hohes Maß an Selbstreflexion und Selbstwahrnehmung notwendig, denn Persönlichkeit entwickelt sich durch einen ständigen Abgleich zwischen Selbst- und Fremdbild. Bescheid wissen über meine eigenen Stärken und Schwächen: was kann ich gut, wo liegen mögliche Ängste und Grenzen? Wie gehe ich um mit schwierigen Situationen, mit Konflikten innerhalb meines Teams?
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Mitarbeiter schätzen es und erwarten von Führungskräften, dass diese viel von der eigenen Persönlichkeit in den Arbeitsalltag einbringen. Mitarbeiter, Kollegen und Führungskräfte brauchen Verlässlichkeit und wollen von ihrer „lateralen Führungskraft“ Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit entgegengebracht bekommen und sie erwarten persönliche Integrität von ihr. Dazu gehört auch, die unterschiedlichen Teammitglieder in ihrer Persönlichkeit zu verstehen, ihre Stärken zu erkennen, um sie gezielt in den Prozess einzubinden.
Kann eine laterale Führungskraft eine Hundertschaft führen, oder gibt es eine maximale Zahl von Geführten?
Laterale Führung hat nichts mit der Anzahl von Personen, die zu führen sind, zu tun. Es geht vielmehr um die innere Haltung der Führungskraft. Offenheit, Vertrauen, Wertschätzung sind die Leitlinien. Was möchte ich als Führungskraft ausstrahlen? Egal, ob ich ein Team von 5 Personen oder zum Beispiel ein virtuelles Team von 40 Personen führe, meine Ausstrahlung hängt immer von meiner inneren Haltung ab, die wiederum unsere Körpersprache, unsere Wortwahl und unser übriges Verhalten zu einer Einheit verschmelzen lässt.
Wie kann der disziplinarische Vorgesetzte die „laterale“ Führungskraft am besten unterstützen?
Unterstützend! Im wahrsten Sinne des Wortes: Das heißt, der lateralen Führungskraft das Vertrauen geben, sie mit einem „coachiven“ Stil begleiten. Damit meine ich, dass die laterale Führungskraft ihre eigenen Erfahrungen machen kann, um dann mit Hilfe des Vorgesetzten zu reflektieren: was lief gut in dem Prozess? Wo gibt es Optimierungsbedarf? Wie kann ich zukünftig anders agieren? Die Reflexion mit einer erfahrenen Führungskraft ist für mich das beste Mittel, um Ergebnisse in Lernerfahrungen umzusetzen und die Persönlichkeit weiterzuentwickeln.
Ein weiterer Punkt ist, dass zum Beispiel in schwierigen Situationen oder Konflikten der Vorgesetzte oder die Chefin mit einbezogen werden sollte, um Themen professionell eskalieren zu können.
Was muss die übergeordnete Ebene tun, damit ein laterales Führungsverhältnis von Anfang an funktioniert?
Unbedingt Vorgespräche mit der betreffenden Person durchführen. Sie nicht in das kalte Wasser werfen, sondern ihr das Vertrauen geben, sie in ihren Stärken bestärken, aber auch ganz offen ihre Ängste und Sorgen abfragen, um proaktiv – bevor das erste Meeting stattfindet – Handlungsweisen aufzuzeigen. Laterale Führung ist kein Selbstläufer, es bedarf einer klaren Benennung der verantwortlichen Person von außen, zum Beispiel einer Mandatserteilung durch den Vorgesetzten oder die Chefin oder auch aus dem Team heraus.
Was hat der einzelne Mitarbeiter davon, lateral geführt zu werden?
Den Schlüssel zu Ihrer Frage sehe ich darin, dass jeder Mitarbeiter nach Anerkennung als Person und seiner eigenen Fähigkeiten strebt. Je höher die empfundene Wertschätzung der einzelnen Teammitglieder, desto größer ist auch die Kooperationsbereitschaft und Energie zur produktiven Mitwirkung in dem System „Laterale Führung“. Ohne das Instrument „Hierarchie“ Vertrauen zu schaffen durch Akzeptanz, Wertschätzung unterschiedlicher Sichtweisen und ein gelungenes Beziehungsmanagement – das sind für mich die Erfolgsfaktoren der lateralen Führung.
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