Jetzt ist sie da, die Urlaubszeit während der Corona-Pandemie. Die möglichen Reiseziele haben sich reduziert, die juristischen Fragestellungen erweitert. Wie wirken sich Reisewarnungen und Kurzarbeit aus? Und wie sieht es eigentlich mit Dienstreisen aus? Das Rechtsportal Juris hat zusammen mit dem Juristen Philipp S. Fischinger, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht, Handels- und Wirtschaftsrecht sowie Sportrecht an der Universität Mannheim, 10 Fragen und Antworten zu Urlaub und Arbeitsrecht versammelt.
Zur Person: Professor Dr. Philipp S. Fischinger
- Seit 2014 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht, Handels- und Wirtschaftsrecht sowie Sportrecht an der Universität Mannheim
- Forschungsschwerpunkte: Arbeitsrecht, allgemeines Zivilrecht und Sportrecht
- Studium der Rechtswissenschaft in Regensburg, Promotion bei Prof. Dr. Reinhard Richardi zum Thema „Arbeitskämpfe bei Standortverlagerung und -schließung“ (2006); 2008 bis 2009 LL.M.-Student und Visiting Researcher an der Harvard Law School, USA; 2010 bis 2014 Akademischer Rat a.Z. am Lehrstuhl von Prof. Dr. Martin Löhnig, Universität Regensburg; 2014 Habilitation zum Thema „Haftungsbegrenzung im Bürgerlichen Recht“;
- Bearbeiter des Staudinger BGB zu §§ 611-613, Dienstvertrag und Arbeitsvertrag, und § 138
Der Beitrag behandelt ein wegen der sich stets verändernden Krisenlage hochaktuelles Thema. Nach Erscheinen können sich sehr schnell Änderungen der Sach- und Rechtslage ergeben. Unser Interviewpartner gibt die ihm bekannte Sach- und Rechtslage mit Stand vom 08.07.2020 wieder.
1. Hat der Arbeitgeber einen Anspruch auf Auskunft hinsichtlich des Urlaubsortes des Arbeitnehmers?
Grundsätzlich hat der Arbeitgeber keinen Anspruch gegen Arbeitnehmer auf Auskunft darüber, wo dieser in seiner Freizeit oder im Urlaub war und mit welchen Menschen er Kontakt hatte. Er darf aber fragen, ob sich der Arbeitnehmer in Gebieten aufgehalten hat, für die das Auswärtige Amt eine offizielle Reisewarnung wegen der Infektionsgefahr herausgegeben hat oder die unter Quarantäne stehen. Denn den Arbeitgeber trifft ja ein Schutzpflicht gegenüber den anderen Arbeitnehmern (§ 618 BGB); überdies ist die Information relevant, wenn es um ein mögliches Verschulden des Arbeitnehmers an seiner zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung geht (s. Frage 2). Daher ist eine entsprechende Erhebung und Verarbeitung personenbezogener (Gesundheits-)Daten nach Art. 6 Abs. 1 lit. c), Art. 9 Abs. 1 lit. b) DSGVO i.V.m. §§ 26 Abs. 3 S. 1, 22 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) BDSG gerechtfertigt. (Sagan/Brockfeld, NJW 2020, 1112)
2. Darf der Arbeitgeber – eventuell anhand einer offiziellen Reisewarnung – Arbeitnehmern verbieten, im Urlaub bestimmte Risikogebiete, Länder oder Regionen zu bereisen?
Nach meiner Auffassung: Nein. Zwar könnte man überlegen, ob aus der Pflicht des Arbeitnehmers, auf die Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (§ 241 Abs. 2 BGB), etwas anderes abzuleiten ist, droht doch ggf. eine Infektion der restlichen Belegschaft nach Ende des Urlaubs. Aber: Ein Verbot, bestimmte Gebiete im Urlaub zu bereisen, würde unangemessen stark in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingreifen. Allerdings kann die Reise in ein Gebiet, für das eine offizielle Reisewarnung besteht, in mancher Hinsicht zum Boomerang werden. Ist der Arbeitnehmer im Anschluss an die Reise mit Covid-19 angesteckt und deshalb arbeitsunfähig erkrankt, hat er keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Denn in diesem Fall wird man davon ausgehen können, dass er die Erkrankung i.S.v. § 3 EFZG schuldhaft herbeigeführt hat (Stück, MDR 2009, 1209, 1211).
3. Die geplante Reise fällt wegen Corona ins Wasser – kann der bereits vom Arbeitgeber genehmigte Urlaubsantrag zurückgenommen werden?
Nein. Einen einmal vom Arbeitgeber genehmigten Urlaub kann ein Arbeitnehmer nicht mehr einseitig „zurückgeben“ (Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413, 418). Auch der Umstand, dass die geplante Reise – z.B. wegen eines Reise- oder Einreiseverbots – nicht angetreten werden kann, genügt als Argument nicht. Der Arbeitnehmer kann sich insoweit auch nicht auf eine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) berufen. Denn der Zweck des Urlaubs nach dem BUrlG ist die (bezahlte) Erholung des Arbeitnehmers (vgl. § 1 BUrlG) – eine Erholung ist auf „Balkonien“ aber genauso möglich wie in einem Luxushotel in Thailand (vgl. auch Notz, in: Tödtmann/v. Bockelmann, Arbeitsrecht in Not- und Krisenzeiten, 2020, Rn. 302).
4. Müssen Eltern Urlaub nehmen, wenn die Kinderbetreuung durch Schule oder Kindergarten wegen Corona geschlossen ist?
Urlaub ist nicht erforderlich, solange sich ein Elternteil auf § 275 Abs. 3 BGB berufen kann. Die notwendige Betreuung eines betreuungsbedürftigen Kindes ist grds. als Grund anerkannt, der dem Arbeitnehmer die Verweigerung der geschuldeten Arbeitsleistung erlaubt (Kolbe, BB 2009, 1414, 1415; Fischinger, Arbeitsrecht, 2018, Rn. 618). Voraussetzung ist aber, dass 1) das Kind betreuungsbedürftig ist und 2) eine Betreuung durch den Arbeitnehmer selbst erforderlich ist. Ersteres ist nach der Wertung des § 56 Abs. 1a IfSG bei Kindern, die das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sowie – unabhängig vom Alter – behinderten Kindern anzunehmen, die auf Hilfe angewiesen sind. Letzteres ist nicht der Fall, wenn eine andere Betreuungsperson – z.B. der nicht erwerbstätige (Ehe-)Partner oder ein Verwandter – die Betreuung übernehmen kann.
Liegen die Voraussetzungen von § 275 Abs. 3 BGB nicht vor, möchte der Elternteil aber dennoch zu Hause bleiben, um das Kind zu betreuen, bleibt nur, Urlaub zu nehmen.
5. Ist der Urlaubsanspruch wegen Corona auf das kommende Jahr übertragbar?
Einen speziellen Übertragungsgrund „Corona“ gibt es nicht, es gelten die allgemeinen Grundsätze: Danach ist eine Übertragung des Urlaubsanspruchs auf das Folgejahr nach § 7 III 2 BUrlG im Ausgangspunkt nur möglich, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Ersteres ist z.B. der Fall, wenn die Auftragslage bis zum Jahresende die Anwesenheit des Arbeitnehmers erfordert (ErfK/Gallner, 20. Aufl. 2020, § 7 BUrlG, Rn. 61). Sollte in einem Betrieb wegen Corona also für das gesamte Jahr 2020 so viel Arbeit anfallen, dass eine Urlaubsgewährung wegen der Notwendigkeit, die Aufträge abzuarbeiten, nicht möglich ist, führt Corona in der Tat dazu, dass es zu einer Übertragung des Urlaubsanspruchs kommt. Anders verhält es sich natürlich, wenn es im Betrieb wegen Corona gerade zu Arbeitsausfällen kommt. Spezielle in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe begründet „Corona“ nicht. Nur weil der Arbeitnehmer 2020 nicht den gewünschten Traumurlaub in den USA antreten können wird, kann er keine Übertragung auf 2021 verlangen. Ein Recht für Arbeitnehmer, Urlaub für nachfolgende Jahre aufzusparen, kennt das Gesetz nicht (Notz, in: Tödtmann/v. Bockelmann, Arbeitsrecht in Not- und Krisenzeiten, 2020, Rn. 303 f.).
Arbeitgeber sollten aber unbedingt die vom EuGH und BAG jüngst statuierten Mitwirkungsobliegenheiten beachten, d.h. die Arbeitnehmer dazu auffordern, Urlaub zu nehmen und sie darüber informieren, dass der Urlaubsanspruch andernfalls mit Ende des Kalenderjahres (bzw. zum 31.3.2021) erlischt. Denn wenn der Arbeitgeber diese Aufforderung und/oder diese Information unterlässt, erlischt der Urlaubsanspruch nicht zum Ende des Kalenderjahres, sondern wird in der Weise auf das folgende Jahr übertragen, dass er dem Urlaubsanspruch des Folgejahres hinzugerechnet wird und dessen zeitliche Befristung teilt (vgl. EuGH 6.11.2018 – C-619/16, BeckRS 2018, 27418 „Kreuziger“; 6.11.2018 – C-684/16, BeckRS 2018, 27414 „Shimizu“; BAG 19.2.2019 – 9 AZR 541/15, juris Rn. 26, 41).
6. Wegen der Corona-Pandemie fehlt es im Betrieb an Arbeit. Darf der Arbeitgeber einseitig Urlaub anordnen?
Der gesetzliche Mindesturlaub wird nach § 7 Abs. 1, 2 BUrlG vom Arbeitgeber „gewährt“ bzw. durch einseitige empfangsbedürftige Freistellungserklärung erfüllt (BAG NZA 2011, 1032, juris Rn. 19). Eines vorherigen „Urlaubsantrags“ des Arbeitnehmers bedarf es grundsätzlich nicht (BAG NZA 2012, 377, juris Rn. 66). Daher ist eine einseitige Urlaubsfestlegung durch den Arbeitgeber nicht per se ausgeschlossen. Jedoch muss der Arbeitgeber bei der Freistellung nach § 7 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BUrlG die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers berücksichtigen. Hat er ihn vorab nicht gefragt, so hat der Arbeitnehmer ein unverzüglich geltend zu machendes „Annahmeverweigerungsrecht“, indem er eine konkrete andere zeitliche Festlegung des Urlaubs einfordert (BAG NZA 2007, 36, juris Rn. 19; BAG NZA 2008, 473, juris Rn. 13). Der Arbeitgeber muss diesem Wunsch dann grundsätzlich entsprechen. Unter Hinweis auf dringende betriebliche Belange i.S.d. § 7 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BUrlG kann er nur den Alternativwunsch des Arbeitnehmers zurückweisen, nicht aber seinen eigenen ursprünglichen Urlaubswunsch „durchsetzen“ (ErfK/Gallner, 20. Aufl. 2020, § 7 BurlG Rn. 14). Eine zwangsweise Anordnung von Urlaub gegen den Willen des Arbeitnehmers ist deshalb auch in der Corona-Krise nicht möglich.
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7. Kurzarbeit Null: Kann der Arbeitnehmer für diese Zeit Urlaub bewilligt bekommen? Wie verhält es sich, wenn der Urlaub bereits vor Corona genehmigt wurde?
Der Urlaubsanspruch wird nur erfüllt, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der Urlaubserteilung der Arbeit fernbleibt. Wenn er zum Zeitpunkt des Urlaubsbeginns schon aus anderen Gründen, die nach der Urlaubsgewährung entstanden sind, von der Arbeitspflicht befreit ist, kann der Urlaubsanspruch nicht erfüllt werden. Da bei „Kurzarbeit Null“ die Arbeitspflicht vollständig entfällt, kann während ihr kein Urlaub gewährt und genommen werden (Schinz, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 7 BUrlG, Rn. 15; ErfK/Gallner, 20. Aufl. 2020, § 7 BUrlG, Rn. 23).
8. Entsteht dem Arbeitnehmer in Zeiten von Kurzarbeit der gleiche Urlaubsanspruch?
Das kommt darauf an. Wenn die Kurzarbeit nur dazu führt, dass der Arbeitnehmer bei einer gleichbleibenden Anzahl regelmäßiger Wochenarbeitstage nur weniger Stunden pro Tag arbeitet (zB vier statt acht Stunden), wirkt sich die Kurzarbeit auf den Umfang des entstehenden Urlaubsanspruchs nicht aus.
Anders verhält es sich aber, wenn der Arbeitnehmer während der Phase der Kurzarbeit regelmäßig an weniger Wochenarbeitstagen tätig wird. In diesem Fall verringert sich die Zahl der Urlaubstage, die der Arbeitnehmer während der Kurzarbeitsphase erwirbt; entsprechend erwirbt er z.B. während der Phase der „Kurzarbeit Null“ keine Urlaubsansprüche. Um den gesamten, im Laufe des Kalenderjahres erworbenen Urlaub zu bestimmen, ist eine Betrachtung nach den einzelnen Phasen (vor, während und nach der Kurzarbeit) erforderlich, für jede Phase isoliert der in ihr erworbene Anspruch zu berechnen und die Teilwerte schließlich zu addieren. Zur Berechnung der Teilansprüche bedient sich die Rechtsprechung folgender Formel (BAG 19.03.2019 – 9 AZR 315/17 und 9 AZR 406/17):
x=(24 Werktage x Anzahl Wochenarbeitstage im Zeitabschnitt x Wochenzahl des Zeitabschnitts)/312 Werktage
9. Ändert sich das Urlaubsentgelt durch Zeiten der Kurzarbeit?
Das Urlaubsentgelt bemisst sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, das der Arbeitnehmer in den letzten dreizehn Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat, § 11 I 1 BUrlG. Fällt in diesen dreizehnwöchigen Referenzzeitraum eine Phase der Kurzarbeit, so müsste das eigentlich zu einer Minderung des für einen späteren Urlaub maßgeblichen Arbeitsverdienstes führen. Der Gesetzgeber sieht das aber als unangemessen an und hat daher in § 11 I 3 BUrlG angeordnet, dass Verdienstkürzungen infolge von – unter anderem – Kurzarbeit außer Betracht bleiben. Das wird in der Literatur so verstanden, dass die durch Kurzarbeit ausgefallenen Zeiten mit dem Euro-Betrag in die Rechnung einzubeziehen sind, den der Arbeitnehmer bei Fortsetzung der Arbeit regelmäßig verdient hätte (ErfK/Gallner, 20. Aufl. 2020, § 13 BUrlG, Rn. 24).
10. Dürfen Arbeitnehmer aktuell zu einer Dienstreise verpflichtet werden?
Der Arbeitnehmer hat ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB, wenn ihm die Erbringung der Arbeitsleistung unter Abwägung mit den Interessen des Arbeitgebers unzumutbar ist. Deshalb: Ordnet der Arbeitgeber eine Dienstreise in ein Gebiet an, für das eine offizielle Reisewarnung des Auswärtigen Amts besteht oder das vom Robert-Koch-Institut zum Risikogebiet deklariert wurde, steht dem Arbeitnehmer ein Leistungsverweigerungsrecht zu. Gleiches dürfte für Dienstreisen gelten, wenn der Arbeitnehmer einer Risikogruppe angehört und nur öffentliche Verkehrsmittel in Betracht kommen.
Mit freundlicher Genehmigung von Juris; →Originalbeitrag auf juris.de
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