Arbeitgeber müssen die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeitenden systematisch erfassen. Mit dieser Entscheidung hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) im September für einen Paukenschlag gesorgt. Jetzt liegen die Urteilsgründe vor und geben zumindest einige Anhaltspunkte für die praktische Umsetzung.
Im Kern ging es in dem verhandelten Rechtsstreit um die Einführung einer Zeiterfassung eigentlich nur darum, wie weit die Rechte eines Betriebsrats gehen. Stattdessen haben die BAG-Richter grundsätzlicher geurteilt: Der Betriebsrat habe kein reklamiertes Initiativrecht bei der Einführung einer Zeiterfassung, denn: „Die Arbeitgeberinnen sind schon kraft Gesetzes verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeiten einschließlich der Überstunden in ihrem gemeinsamen Betrieb erfasst werden.“ Bei der Ausgestaltung des Erfassungssystems sieht das BAG aber wiederum „Raum für eine Mitbestimmung des Betriebsrats“.
Damit folgt das BAG im Grundsatz einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2019 (sog. Stechuhr-Urteil) und moniert damit gleichzeitig, dass die europäischen Vorgaben in Deutschland bislang weitläufig nicht korrekt umgesetzt wurden.
Kaum einer kommt um die Arbeitszeiterfassung herum
Das BAG-Urteil bedeutet Handlungspflicht für Arbeitgeber: Es müssen ein Zeiterfassungssystem eingerichtet und die Arbeitszeiten grundsätzlich ab sofort erfasst werden, soweit das nicht ohnehin bereits geschieht. Überstürzt vorgehen müsse man bei der Systemeinführung nach Experteneinschätzung aber nicht, da ein Verstoß gegen die Zeiterfassungspflicht zunächst nicht unmittelbar Bußgelder nach sich zieht. Das gilt erst, wenn eine entsprechende Zeiterfassungs-Anordnung der zuständigen Behörde nicht erfüllt wird.
Weitere Details, was jetzt zu tun ist, ergeben sich aus den Entscheidungsgründen des BAG (die Entscheidung ist hier auf der Webseite des BAG einsehbar – Aktenzeichen 1 ABR 22/21):
- Die bloße Bereitstellung eines Zeiterfassungssystems reicht nicht aus. Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit einschließlich Überstunden und Pausenzeiten tatsächlich erfasst und so vorgehalten werden, dass sie überprüfbar sind.
- Das EuGH-Urteil fordert die „Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems für die Erfassung sämtlicher Arbeitszeiten“. Darüber hinaus sieht das BAG Spielräume bei der konkreten Umsetzung – zumindest, solange der deutsche Gesetzgeber per Gesetzesnovelle keine konkreteren Vorgaben macht.
- Es muss nicht zwingend eine elektronische Zeiterfassung sein. Je nach Arbeit und Unternehmen können z.B. Aufzeichnungen in Papierform genügen.
- Die Mitarbeitenden können mit der Dokumentation ihrer Arbeitszeiten beauftragt werden. Ungeachtet dessen muss aber der Arbeitgeber das Zeiterfassungssystem (Software, Dokumente o.ä.) bereitstellen und auch kontrollieren, dass die Zeiten tatsächlich erfasst werden.
- Ob die Pflicht zur Zeiterfassung auch für leitende Angestellte gilt, wird aktuell unter Arbeitsrechtlern diskutiert.
Lena Scherer
Was bedeutet das BAG-Urteil für die Vertrauensarbeitszeit?
Michael Fuhlrott ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und hat auf „Legal Tribune Online“ (lto.de) das BAG-Urteil eingeordnet. Zur Frage, was das für die Vertrauensarbeitszeit bedeutet, sagt er dort:
„Das ist eine Frage der Definition der Vertrauensarbeitszeit. Wenn es nur darum geht, irgendwann ohne Notiz der Zeiten zu arbeiten – ja, das ist nicht mehr zulässig. Wenn es aber darum geht, selbstbestimmt bei freier Zeitplanung zu arbeiten: Das ist ohne Zweifel weiter möglich, nur die Zeiten, die sollten aufgeschrieben werden und müssen sich – aber das galt ohnehin schon immer – nach dem Arbeitszeitgesetz und dort vor allem den Ruhezeiten orientieren.“
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