Single Source, Multi Channel – jetzt „Hyperdistribution“: Die Distribution von Content wird für Verlage immer komplexer. Vor allem die wachsenden Möglichkeiten, mit Kunden über Social Media-Plattformen zu kommunizieren, erfordern neue Denk- und Arbeitsweisen in Verlagen.
Verlage haben sich in drei Schritten in die digitale Medienwelt bewegt:
- Das erste Ziel vieler Verlage war das Single Source Publishing, also das Publizieren gleicher Inhalte in verschiedenen Medien. Zwar wurden auch hier schon kanalspezifische Anpassungen gemacht (etwa für eine Internetausgabe), aber der zentrale Gedanke lautete: Ein Inhalt, alle Medien. Dieses Konzept hat sich im Lauf der Jahre bewährt und gilt für viele Medieninhalte noch immer als eine der zukunftssicheren Publikationsmodelle.
- Jedoch wurde schnell klar, dass der Single Source-Ansatz nicht der alleine selig machende Weg sein kann. Als eines der ersten Medienhäuser hat der Spiegel Verlag das verstanden – und mit Hilfe der Multi Channel-Strategie seine Medienmarke Spiegel crossmedial aufgebaut und dabei die Erfahrung gemacht: Zeitschrift, Internetangebot, TV-Formate – in jedem Medienkanal unterschieden sich Inhalte und Arbeitsweise fundamental, selbst wenn einzelne Artikel oder Themen in unterschiedlichen Medien wiederverwendet werden können.
- Durch Social Media wurden wiederum neue Möglichkeiten geschaffen – denn hier können Inhalte nicht mehr nur auf eigenen Plattformen publiziert werden, sondern auf Kanälen der Social Media-Welt. Eine fragmentierte Landschaft, die Echtzeitkommunikation erwartet und in der der „User Generated Content“ eine zentrale Rolle spielt. Hyperdistribution stellt neue Anforderungen, deren Dimensionen Verlage erst zu ahnen beginnen. Und wieder zeigt sich: Bisherige Inhalte und Arbeitsweisen reichen nicht mehr aus, um in einer vernetzten Kommunikationswelt zu bestehen.
Hyperdistribution – eine Definition aus journalistischer Sicht
Eine anschauliche Definition aus der Perspektive journalistischer Inhalte gibt das netzwertig-Blog: „Im Rahmen der Debatte um die Zukunft des Journalismus fällt immer öfter der Begriff ‚Hyperdistribution’ (alternativ auch Superdistribution). Dieser bezeichnet ein Konzept, bei dem Inhalte über möglichst viele Kanäle des Internets verbreitet werden. Hyperdistribution ist das Gegenstück zur Exklusivität, bei der Content lediglich über eine kontrollierte Quelle (z.B. ein Printmagazin oder einen kostenpflichtigen Internetdienst) zugänglich gemacht wird. Das Ziel von Hyperdistribution ist es, durch eine radikale Erhöhung der Reichweite die direkten und indirekten Möglichkeiten zur Monetarisierung von journalistischen Inhalten zu verbessern (Werbung, E-Commerce etc.) und damit ggf. auch wegbrechende Einnahmen aus dem Printgeschäft auszugleichen.“
Auch wenn ich den Gegensatz zwischen Hyperdistribution und Paid Content nicht teile – der Grundgedanke dieser Definition ist richtig: Eine möglichst breite Distribution von Inhalten und eine damit einher gehende Vernetzung mit den Lesern schafft neue Dimensionen von Reichweite. Der dahinter stehende Grundsatz ist denkbar einfach: Gehe dahin, wo Dein Leser / Nutzer schon ist. Die große Kunst besteht darin, die Nutzer auf verlagseigene Angebote zu holen und daraus ein Geschäft zu entwickeln. Social Media-Plattformen lösen in Teilen schon Suchmaschinen als zentrale Trafficlieferanten für Webseiten ab, weil immer mehr Menschen Links aus ihren Netzwerken folgen statt zu googeln. Eine wirkungsvolle Hyperdistribution wird so auch für Medienmarken zur Pflicht.
Content, Strategie, Workflow/Technik, Mitarbeiter, Unternehmenskultur
Erfolgreiche Hyperdistribution hat fünf Voraussetzungen:
Erstens muss es medienspezifischen Content geben. Klassische Verlagsinhalte eignen sich oft nicht dafür, sondern für jedes Hypermedium wie Facebook, Twitter, ein Blog oder eine Community müssen diese eigens erstellt werden.
Diese Inhalte sollten zweitens in die Publikations- und Marketingstrategie des Verlages integriert werden. Wer twittert mit welchem Ziel und welchen Botschaften? Was leistet ein Facebook-Profil für die Produktvermarktung oder das Branding einer Medienmarke? Diese Fragen sollten zu Beginn einer Hyperdistribution-Strategie behandelt werden.
Um diese Inhalte möglichst schnell zu publizieren, aber auch, um sie zu archivieren, braucht es drittens eine entsprechende technische Infrastruktur und darauf angepasste Workflows: Es sollte nicht vorkommen, dass Mitarbeiter twittern, ohne dass diese Inhalte im Nachhinein zentral recherchierbar sind. Je mehr Kanäle bedient werden, desto unübersichtlicher wird das Szenario. Deshalb sollte ein CMS auch hier den Prozess steuern und die Inhaltedistribution zusammenhalten. Zu dieser Infrastruktur gehört auch ein effektives Monitoring, durch das sich die Aktivitäten komfortabel überwachen lassen.
Das alles funktioniert nur, wenn Mitarbeiter diese Inhalte erstellen und publizieren. Dazu benötigen sie nicht nur eine deutliche Affinität zu Social Media, sondern vor allem auch zeitliche Kapazitäten und Kompetenzen: Wer schnell auf einen Facebook-Kommentar antworten muss, kann nicht Stunden oder gar Tage auf die Freigabe durch die Unternehmenspressestelle warten.
Und damit wären wir bei der fünften und nach meiner Meinung wichtigsten Voraussetzung: der Unternehmenskultur. Hyperdistribution und damit einhergehend die Nutzung von Social Media verlangt eine offene und transparente Unternehmenskultur. Twitternde Mitarbeiter benötigen Vertrauen, gleichzeitig tragen sie eine hohe Verantwortung, denn sie geben dem Verlag ein Gesicht. Kontrolle und hierarchische Strukturen werden sich mittelfristig nicht mit einer Hyperdistribution-Strategie vereinbaren lassen.
Kommentar hinterlassen zu "Ehrhardt F. Heinold: Hyperdistribution – Content und Kommunikation auf allen Kanälen"