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Ich renne dauernd hinter der Vernunft her

 

Geliebt wird Diogenes bis heute wegen des Witzes, der schon in der Person des Na­mensgebers, in den Cartoons sowieso, aber auch im Tonfall des Verlages steckt. Dieser Witz ist in den beiden Inhabern personifiziert. „Er wirkte etwas schüchtern und etwas schlau und hatte etwas von einem Theologen an sich“, schrieb Paul Flora über seine erste Begegnung mit Daniel Keel (Foto).

Rudolf C. Bettschart hat einen anderen, trockenen Witz. Beide zusammen waren unschlagbar. Was 2002 zu beweisen war: buchreport hat seinerzeit Keel und Bettschart zum 50. von Diogenes 50 Fragen gestellt, die beide gleichzeitig, aber unabhängig von einander beantwortet haben.

Personen und Persönliches

Sie über sich in einem Satz
Bettschart: Ich bin egoistisch, neidisch, eifersüchtig, eitel, intolerant, zynisch, arrogant, geizig, also recht unausstehlich; warum man mich in der Toskana „Rodolfo il magnifico“ nennt, ist mir unerklärlich.
Keel: Ich renne dauernd hinter der Vernunft her, aber die Vernunft ist schneller.

Sie über Daniel Keel/Rudolf Bettschart in einem Satz
Bettschart: Der hervorragendste und großzügigste
Verleger aller Zeiten.
Keel: Ruedi hat’s geschafft – siehe die Antwort zuvor.

Ihre schwächste Seite
Bettschart: Ungeduld.
Keel: Meine Ungeduld.

Ihre stärkste Seite
Bettschart: Ungeduld.
Keel: Mein schlechtes Gedächtnis.

Was wollten Sie werden, bevor Sie Verleger wurden?
Bettschart: Bauer.
Keel: Kontrabassist.

Was würden Sie heute werden, wenn Sie nochmals wählen könnten?
Bettschart: Farmer mit 1000qm Land.
Keel: Nachtwächter.

Ihr Vorbild
Bettschart: Preisbindung.
Keel: Vorbild, ein unschönes Wort, aber ein unvoreingenommener, unangepasster Mensch wie etwa Diogenes von Sinope könnte der Sache näher kommen.

Ihr Feindbild
Bettschart: Remittenden.
Keel: Dieser Begriff ist mir zu militärisch.

Autoren und andere Menschen

Wie welcher Ihrer Autoren möchten Sie schreiben können?
Bettschart: Wie die meisten von unseren Autoren.
Keel: Wie Shakespeare.

Welchen Autor hätten Sie gern, haben Sie aber nicht verlegt?
Bettschart: Bitte Verleger Daniel Keel fragen.
Keel: Joseph Roth.

Welchen Autor hätten Sie nie verlegt?
Bettschart: Bitte Verleger Daniel Keel fragen.
Keel: Konrad Duden.

Auf welches Manuskript mussten Sie am längsten warten?
Bettschart: Tomi Ungerer „Das große Liederbuch“.
Keel: Auf Peter Rüedis Dürrenmatt-Biografie – ich warte noch immer. (Anmerkung der Redaktion: Im Oktober 2011 ist es soweit – leider erlebt Keel das Erscheinungsdatum nicht mehr)

Welcher Ihrer Autoren sollte unbedingt den Nobelpreis bekommen?
Bettschart: Loriot.
Keel: Friedrich Dürrenmatt posthum.

Erfolge und Misserfolge

Ihr größter Erfolg
Bettschart: Meine Gesundheit.
Keel: Mein Französisch-Diplom.

Ihr größter Misserfolg
Bettschart: Meine Gesundheit.
Keel: Ein Vortrag über Iris Murdoch an einem Englisch-Sommerkurs in Oxford vor fast 50 Jahren.

Welcher Erfolg kam unerwartet?
Bettschart: Friedrich Karl Waechter „Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein“.
Keel: 50 Jahre Diogenes.

Buch und Buchhandel

Warum sehen alle Diogenes-Bücher gleich aus?
Bettschart: Schon was von corporate identity gehört?
Keel: Raten Sie mal!

Stimmt es, dass Sie Bilder von alten Meistern auf den Diogenes-Umschlägen zeigen, weil Sie Honorar sparen wollen?
Bettschart: Wenn, dann nur, weil die Bilder von alten Meistern zum Inhalt passen. Andere Bilder honorieren wir großzügig.
Keel: Nein.

Wie viele Diogenes-Bücher haben Sie nicht gelesen?
Bettschart: Ein paar Dutzend schon.
Keel: Eine ganze Menge, aber von Autoren wie zum Beispiel Jules Verne oder Mark Twain muss man nicht unbedingt alles gelesen haben, sie haben sich schon lange bewährt.

Ein Satz über die besten Eigenschaften der Buchhändlerinnen
Bettschart: Ohne sie läuft im Verkauf gar nichts! Ansonsten möchte ich nochmals 20 sein….
Keel: Dass sie so gut lesen können.

Wenn nicht Diogenes, welchen Verlag würden Sie gern besitzen?
Bettschart: Wenn es unbedingt sein muss – den Suhrkamp Verlag.
Keel: Einen etablierten Fachzeitschriftenverlag.

Ohne nachzugucken – wann sind erschienen: das 100., das 1000., das 2000. und das 3000. Diogenes-Buch?
Bettschart: Ich habe nachgefragt: Nr. 100: 1960, 1000: 1976, 2000: 1983, 3000: 1989.
Keel: Ich sagte bereits, mein schlechtes Gedächtnis…

Ihr Diogenes-Buchgeschenk an:
     a) Heinrich Hugendubel
     b) Jürgen Könnecke
     c) Reinhard Mohn
     d) Siegfried Unseld
     e) Jürgen Voerster
Bettschart: An alle alle 4630 Diogenes-Titel.
Keel: „Das große Liederbuch“ – es ist etwas vom Schönsten, was wir haben.

Zürich und der Rest der Welt

Was verbindet Sie mit Zürich
Bettschart: Diogenes.
Keel: Mein Garten.

Was verbindet Zürich mit Diogenes?
Bettschart: Kultur.
Keel: Die Sprecherstraße.

Hätten Sie mit Diogenes auch anderenorts Erfolg gehabt?
Bettschart: Sicher.
Keel: Ja, vielleicht in Ulm.

Denken Sie in Franken, D-Mark oder Euro?
Bettschart: Noch in Franken!
Keel: In blauen Scheinen.

Wie oft essen Sie pro Jahr in der Kronenhalle?
Bettschart: „In der Woche zwier schadet weder ihm noch ihr“ (Martin Luther).
Keel: Ein paar Mal und nur mit Autoren.

Ihr Lieblingslokal in Zürich
Bettschart: Blaue Ente, Kronenhalle.
Keel: Unser Esszimmer.

Mit welchem Autor haben Sie am längsten und wo gegessen?
Bettschart: Mit Max Frisch in seinem Haus im Tessin von 16 Uhr bis 5 Uhr
Keel: Mit Dürrenmatt bei Liechti in Neuchâtel.

Zeit und Freizeit

Wie viele Stunden pro Tag haben Sie gearbeitet bzw. arbeiten Sie heute:
    – Vor 50 Jahren
    – Vor 10 Jahren
    – Vor 5 Jahren
    – Heute
Bettschart: Immer wenn ich wach bin.
Keel: Da ich nicht weiß, was ich sonst tun könnte, arbeite ich sozusagen immer.

Ihr liebstes Urlaubsziel
Bettschart: Toskana und sonnige Inseln.
Keel: Ein italienisches Städtchen am Meer.

Was noch außer Lesen tun Sie in Ihrer Freizeit?
Bettschart: Es gibt keine Freizeit, wenn man seinen Beruf liebt.
Keel: Dösen.

Ihr Wunschtraum von einem gelungenen Arbeitstag in einem Satz
Bettschart: Zufriedene, gesunde, fröhliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und steigender Umsatz.
Keel: Endlich mal wieder den Mund gehalten.

Wenn der Tag 48 Stunden hätte, was würden Sie mit den zusätzlichen 24 Stunden anfangen?
Bettschart: Siehe die Frage nach meiner täglichen Arbeitszeit, außerdem schwimmen und Freunden zuhören.
Keel: Halt in Gottes Namen etwas mehr arbeiten.

Wie reisen Sie am liebsten: Flugzeug, Bahn, Auto, gar nicht
Bettschart: Mit allem, was sich fortbewegt.
Keel: Mal so, mal so.

Welches Buch haben Sie gestern gelesen?
Bettschart: Marek von der Jagt „Amour fou“.
Keel: Walter Niggs Essay „Vincent van Gogh“.
   
Mit welchen drei Autoren, die nicht bei Diogenes erschienen sind, würden Sie drei Wochen auf einer einsamen Insel leben wollen?
Bettschart: Mit Zeruya Shalev, Isabel Allende und Zadie Smith.
Keel: Auf Inseln nehmen wir nur Hausautoren mit.

…und mit welchen drei Diogenes-Autoren?
Bettschart: Connie Palmen, Doris Dörrie, Yael Hedaya.
Keel: Ich würde lieber drei Buchhändlerinnen mitnehmen.

Vergangenheit und Zukunft

Was müssen Sie für Diogenes in Zukunft ändern?
Bettschart: Nichts – so weitermachen.
Keel: Alles!

Sie sind am selben Tag mit Keel/Bettschart geboren. Werden Sie sich auch am selben Tag zurückziehen, und wenn ja, wann?
Bettschart: Auf unbestimmte Zeit verschoben.
Keel: Da muss ich Ruedi fragen.

Geld und gute Worte

Jeweils bitte in einem Satz: Warum und wann ging es Diogenes besonders gut und besonders schlecht?
Bettschart: Hochkonjunktur – viele Leser; Rezession – weniger Leser (manchmal war es auch umgekehrt).
Keel: Es geht besonders gut, wenn man nicht spekuliert.

Was müsste ein Investor zahlen, der Diogenes kaufen will?
Bettschart: Eine utopische Frage.
Keel: Raten Sie mal! Der Laden ist nicht von Pappe!

Wofür geben Sie am meisten Geld aus?
Bettschart: Ex-Frauen, Haus und Wein, Kunst, Segeln, Reisen und soziale Institutionen.
Keel: Für Heizöl.

Wofür geben Sie niemals Geld aus?
Bettschart: Für den Vatikan.
Keel: Für Heringe.

Ihr Rat nach 50 Diogenes-Jahren an Jung-Verleger für deren erste 50 Jahre?
Bettschart: Haltet durch!
Keel: Tun Sie’s nicht – Sie könnten es bereuen!

Wunsch und Wirklichkeit

Bitte, denken Sie 50 Jahre zurück: Was haben Sie sich damals für Diogenes gewünscht?
Bettschart: Erfolg und von niemandem und schon gar nicht von einer Bank abhängig sein – was glücklicherweise schon längst der Fall ist.
Keel: Dass er mich halbwegs ernährt.

Ihr Lebensmotto heute
Bettschart: Vivan le femmine! Viva il buon vino! Sostegno e gloria d’umanità!
Keel: Diese Frage geht nun wirklich zu weit.

Was machen Sie in 10 Jahren?
Bettschart: Eine langweilige Frage. Natürlich, wie immer, arbeiten.
Keel: Hoffentlich leben.

Sie haben zum 50-jährigen Jubiläum von Diogenes drei Wünsche frei. Das wären:
Bettschart: ­
– Noch viele wunderbare Autorinnen und Autoren
– Unabhängigkeit
– Vor allem und für alle: Gesundheit.
Keel: Leser, mehr Leser, noch mehr Leser.

Die Fragen stellte Bodo Harenberg

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