Die Wortmeldung wirkt unvermittelt: Die europäische Verlegervereinigung Federation of European Publishers (FEP) hat die Europäische Union aufgefordert, bei der Digitalisierung von Bibliotheksbeständen für eine stabile und rechtsstaatliche Ausgestaltung des Urheberrechts zu sorgen, anstatt die Stellung der Verlage und Autoren durch neue Urheberrechtsschranken zu untergraben. Der Petition der FEP haben sich auch viele deutsche Verlage angeschlossen. Und auch wenn es keine bedrohliche Absichtserklärung eines Kommissars gibt, geschweige denn den konkreten Entwurf einer Richtlinie mit neuen Urheberrechtsschranken, versteht man immer besser, warum.
Sicher: Für die deutsche Buchbranche spielt Europa eine Nebenrolle. Da Schutz und Pflege der Kultur grundsätzlich nicht in die Zuständigkeit der europäischen Institutionen fallen, waren direkte Berührungen zwischen ihnen und der deutschen Buchbranche in der Vergangenheit relativ selten. Und da sie außerdem zuweilen äußerst unerfreulich verliefen (unvergessen sind die Preisbindungs-Scharmützel mit der EU-Kommission um die Jahrtausendwende), wird das zumindest auf Seiten der Buchbranche auch nicht weiter bedauert: Deren wichtigste Ansprechpartner sitzen nach wie vor in Berlin, wo für ihre Belange ohnehin größere Aufgeschlossenheit zu finden ist.
Wachsende Bedeutung
Wenn man aber genauer hinsieht, entdeckt man auf einmal, wie sehr die Branche auch mit zentralen Anliegen mittlerweile an den europäischen Rechtsrahmen stößt. Beispiele aus jüngster Zeit:
- Deutsche und französische Verleger fordern für E-Books den gleichen reduzierten Mehrwertsteuersatz wie für gedruckte Bücher. Aber selbst wenn die nationalen Gesetzgeber diesen Wunsch erfüllen wollten, würde ihnen die Umsatzsteuersystem-Richtlinie der EU das derzeit verbieten.
- Die Richter des Europäischen Gerichtshofs haben gerade entschieden, dass die gesetzlichen Systeme der Urheberrechtsabgaben für Kopiergeräte gemäß der EU-Info-Richtlinie zwischen privat und gewerblich genutzten Geräten differenzieren müssen. Die Folgen für die Praxis der VG Wort, die in Deutschland solche Abgaben eintreibt um sie an Autoren und Verlage zu verteilen, sind noch völlig unklar.
- Die Schweiz gehört zwar nicht zur EU, aber bei den dortigen Beratungen über ein Preisbindungsgesetz war das Freihandelsabkommen mit der EU ein wichtiges Argument dafür, die Preise im grenzüberschreitenden Verkehr nicht zu fixieren – mit der Folge, dass die Schweizer Preisbindung höchstwahrscheinlich scheitern wird.
Unerfreuliche Entwicklung
Je weiter und je schneller die Digitalisierung voranschreitet und je leichter das Internet nationale Grenzen überwindet, desto häufiger werden die Adressaten für die Wünsche der Buchbranche künftig in Brüssel, Straßburg oder Luxemburg sitzen.
Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit den selbsternannten Anwälten der Deregulierung und des freien Wettbewerbs in der Europäischen Kommission kann man nicht anders, als diese Entwicklung vom Standpunkt der Branche aus für unerfreulich zu halten. Da dieser Befund sie aber nicht aufhält, ist es umso richtiger, dass die FEP in Brüssel selbstbewusst Flagge zeigt. Und dass die deutschen Verlage sie dabei engagiert unterstützen.
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