In der Landschaft der Unternehmensverbände ist der Börsenverein ein Unikat: Er muss drei Sparten mit eigener wirtschaftlicher Dynamik unter einen Hut bringen, die bislang das gemeinsame Bekenntnis eint, das Gemeinschaftsinteresse im Härtefall vor das Allgemeinwohl zu stellen. Das fragile Konstrukt steht strategisch und strukturell unter starkem Veränderungsdruck:
Bei der Positionierung der E-Book-Plattform Libreka agiert die Börsenvereins-Wirtschaftstochter MVB unter scharfer Beobachtung der Zwischenbuchhändler. Sie haben eigene Modelle, mit denen sie im E-Book-Vertrieb mitmischen wollen. Weil die MVB mit Ausgewählten (darunter offenbar KNV) die Libreka-Ausgliederung prüft, kommt es im November im Branchenparlament zum Clinch. „Wenn die MVB mit einzelnen Branchenteilnehmern Strukturen schafft, die den Wettbewerb verzerren, dann ist es Aufgabe der Gesellschafter, dieses zu unterbinden“, wettert der Ausschuss für den Zwischenbuchhandel. Sachstand: Die Baustelle Libreka bleibt 2011 ein brandheißes Thema.
Die Mitglieder des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen stellen im Mai die Weichen für die Fusion mit dem Bundesverband. Damit rückt die Frage nach dem Erhalt der föderalen Verbandsstrukturen in den Blick, denn schrumpfende Mitgliederzahlen und sinkende Beitragseinnahmen setzen dem Gesamtsystem zu. Im Oktober treffen sich die Landeschefs zur Klausurtagung. Ergebnis: Während Arbeitsgruppen einzelner Länder die Vorteile der Verschmelzung prüfen, bezweifeln Landesfürsten öffentlich Sinn und Wirksamkeit. Nun richten sich die Blicke auf die Hauptversammlung des Börsenvereins im Juni 2011. Dann werden die Mitglieder über eine Satzungsänderung abstimmen, die Fusionen mit dem Bundesverband prinzipiell ermöglicht.
Ein anderes Dauerthema bekommt der Börsenverein im Sommer vom Tisch: Die Hauptversammlung segnet den Verkauf der Buchhändler Abrechnungs Gesellschaft (BAG) ab. Das Instrument für den buchhändlerischen Abrechnungsverkehr, vom Börsenverein mit einer Finanzspritze in Millionenhöhe vor dem Crash gerettet und vorübergehend bei der MVB angesiedelt, wandert im Juni in das Portfolio der DZB Bank. Im gleichen Monat endet der eskalierende Streit zwischen Standortbuchhändlern und Amazon über Preisbindungsverstöße im Netz mit einem Vergleich. Für das von der MVB betriebene Verzeichnis lieferbarer Bücher (VlB) wird der Konflikt zu einer Steilvorlage: Das als Dauerbaustelle in der Kritik stehende VlB soll zur verbindlichen Referenzdatenbank für gebundene Ladenpreise geadelt werden.
Für Diskussionen wird überdies die überarbeitete Ausbildungsordnung für Buchhändler sorgen, an der bis Oktober gefeilt wurde. Sie berücksichtigt u.a. alternative Sortimentskonzepte und den Aufbruch der Bücher in die
digitalen Dimensionen. Parallel steigen die Anforderungen an ausbildende Betriebe, weil sie bei der vorgesehenen ausdifferenzierenden Qualifizierung eine tragende Rolle übernehmen sollen.
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