Erik Fosnes Hansen gilt als einer der wichtigsten Vertreter der norwegischen Literatur. Er wurde 1965 in New York geboren und wuchs in Oslo auf, wo er heute noch lebt. Nach seinem gefeierten Debüt „Falkenturm“, das er im Alter von 18 Jahren schrieb, gelang ihm mit „Choral am Ende der Reise“ (1990) ein internationaler Bestseller. Er lebte zwei Jahre in Stuttgart, spricht fließend Deutsch und fühlt sich der deutschen Literatur und Kultur eng verbunden.
Welche Bedeutung hat Literatur für die Norweger?
Literatur hatte immer schon einen hohen Stellenwert in der norwegischen Gesellschaft. Es gibt ja im Wesentlichen diese drei Bereiche, durch die Norweger weltberühmt wurden: Kunst, Literatur und Skifahren. Unsere Dichter inspirierten, mahnten, setzen Maßstäbe. Es ist nicht selbstverständlich, dass Literatur so eine große Bedeutung hat. In Norwegen wird öffentlich über Bücher diskutiert. Sie lösen Debatten aus. Die Autorenszene ist in Oslo sehr präsent, man kennt einander, begegnet sich häufig. Literatur hat eine breite gesellschaftliche Wirkung.
Norwegen ist dieses Jahr Gastland auf der Frankfurter Buchmesse. Welche Perspektiven sehen Sie?
Ich hoffe, dass der Gastlandauftritt die norwegischen Verleger aufwecken und noch stärker für die deutsche Sprache und Kultur begeistern wird. Der Kontakt ist noch zu einseitig. In Norwegen weiß man generell zu wenig über die moderne deutsche Gesellschaft. Das liegt auch daran, dass die deutsche Sprache in Norwegen um ihre Position kämpfen muss. Früher war sie ein wichtiges Schulfach, jetzt richtet sich der Fokus mehr auf Englisch, Französisch und Spanisch. Es gibt viele spannende deutsche Autoren, die leider nicht ins Norwegische übersetzt werden. Und es gibt leider auch nur wenige Lektoren, die Deutsch können. Deshalb wünsche ich mir, dass der Austausch der Verlage durch den Gastlandauftritt intensiver und die aktuelle deutschsprachige Literatur in Norwegen bekannter wird.
Und umgekehrt?
Ich hoffe, dass wir Vertreter Norwegens dem deutschen Publikum ein nuancierteres Bild der norwegischen Literatur vermitteln können. Es wäre schön, wenn die große Vielfalt unserer Literaturszene stärker ins Bewusstsein rückt.
Gibt es aktuelle Trends in der norwegischen Literatur?
Aktuell finde ich die Entwicklung im Sachbuchmarkt sehr interessant, mit spannenden inhaltlichen Ansätzen und neuen Autoren wie Erika Fatland mit Sachprosa über ihre Reisen. Åsne Seierstad hat sich mit dem Attentäter Anders Breivik befasst, Lars Mytting und Morten Srøksnes sind international mit norwegischen Themen wie Brennholz und Fischfang erfolgreich.
Wer zählt zu den wichtigsten Stimmen?
Sicher Karl Ove Knausgård, der mit seiner „Wirklichkeitsliteratur“, also Autofiktion, international für Aufsehen sorgt, oder Vigdis Hjorth, deren Roman „Bergljots Familie“ einen Skandal auslöste, weil sie darin einen Missbrauch in ihrer Familie andeutet. International sehr bekannt sind Linn Ullmann und Jo Nesbø; Per Petterson, Roy Jacobsen und Maja Lunde zählen dazu. Auch ich werde, hoffe ich doch, als Botschafter der norwegischen Gegenwartsliteratur gesehen.
Was bedeutet die Messe für Sie persönlich?
Da es in diesem Jahr viel norwegische Literatur auf dem deutschen Markt gibt, hoffe ich natürlich, dass auch mein Roman „Ein Hummerleben“ Aufmerksamkeit bekommt. Es ist jedes Mal ein besonderer Nervenkitzel, sich und sein Werk zu zeigen und die Reaktionen zu beobachten In diesem Jahr wird es viele Gastland-Veranstaltungen geben, aber jeder von uns Autoren ist ja auch im Auftrag seines eigenen Buches unterwegs.
Die Fragen stellte Ulrike Peters
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