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Individueller Zuschnitt für den lokalen Auftritt

Books Inc. wurde in den USA zur Buchhandlung des Jahres gewählt. In und um San Francisco betreiben die Familien Tucker und Grant elf Filialen. Zur Philosophie gehören Buchklubs, viele Veranstaltungen und Backlistpflege.

Buchhändler des Jahres: Michael Tucker (r.) und Nikolai Grant (l.) sind seit Jahren ein eingespieltes Team.

Jedes Jahr kürt das US-Branchenblatt „Publishers Weekly“ (PW) aus einer Fülle von Vorschlägen seine Buchhandlung des Jahres. 2016 geht die Auszeichnung an Books Inc., eine Mini-Kette im Besitz der Familien Tucker und Grant, zu der im Großraum San Francisco elf Läden mit einem Jahresumsatz von zuletzt 25 Mio Dollar gehören.

Books Inc., das auf den Bayern Anton Roman zurückgeht, der 1851 in Shasta City (Kalifornien) eine Buchhandlung eröffnete, gehört zu den Stilleren im Land. Was vielleicht erklärt, warum das Unternehmen nicht schon früher ausgezeichnet wurde, sagt die Betriebsberaterin Donna Paz Kaufman (Paz & Associates), die PW bei der Wahl berät: „Books Inc. ist ein beispielhaftes buchhändlerisches Modell.“ Dazu gehören eine starke lokale Vernetzung und Beratungskompetenz (s. die Praxis-Kästen).

Zur Historie gehört eine überhastete Expansion, nach der es dem Unternehmen so schlecht ging, dass 1995 Insolvenz unter dem Schutzschirm des „Chapter 11“ angemeldet werden musste, der angeschlagenen Firmen die Chance gibt, sich in Absprache mit dem Konkursrichter unbehelligt von den Gläubigern neu aufzustellen. Der Bankrott konnte vermieden werden, aber 13 der damals 15 Filialen mussten aufgegeben werden. „Es war eine schlimme Zeit“, erinnert sich Michael Tucker. Er und Michael Grant hatten Books Inc. nur wenige Monate zuvor nach dem Tod von Lew Lengfeld geerbt, ihrem langjährigen Chef und damaligen Eigentümer. 1997 ist Books Inc. unter dem Schirm von „Chapter 11“ wieder aufgetaucht und durchgestartet.

Bis heute halten die Familien Tucker und Grant die Zügel fest in der Hand:

  • Bei Michael Tucker als CEO laufen die operativen Fäden zusammen, seine Ehefrau Margie Scott Tucker verantwortet Marketing und Personal.
  • Michael Grants Sohn Nikolai ist Chefeinkäufer, Ehefrau Shannon für den Einkauf im Kinder- und Jugendbuch zuständig.

Mitgenommen hat Michael Tucker aus den schweren Zeiten im „Chapter 11“ vor allem eins: „Expansion ja, aber mit Augenmaß.“ Neun Filialen wurden seither im Großraum San Francisco neu eröffnet, darunter zwei hoch rentable Flughafenbuchhandlungen in den Terminals 2 und 3 von San Francisco International Airport unter dem Namen Compass Books.

Innenstadtlagen statt Shopping-Center

Die stationären Buchhandlungen in San Francisco (4), Berkeley, Palo Alto, Burlin­game, Alameda und Mountain View befinden sich in guten Innenstadtlagen. Um Einkaufszentren macht Books Inc. nicht nur wegen der hohen Mieten einen großen Bogen. Tucker: „Unsere Filialen passen sich individuell dem Standort an und bedienen gezielt die Nachbarschaft; dieses Konzept lässt sich in einer Mall nur sehr bedingt umsetzen.“

Um den unabhängigen Charakter zu betonen und weil die Inhaber Uniformität grundsätzlich nicht mögen, ist jede Buchhandlung anders eingerichtet. Aber:

  • Alle Filialen sind Vollbuchhandlungen mit überdurchschnittlich großen Kinder- und Jugendbuchabteilungen, die rund 30% des Sortiments ausmachen.
  • Die Verkaufsflächen liegen zwischen 300 und 550 qm. Darunter, so Tucker, geht nichts, weil zu viele Abstriche beim Sortiment gemacht werden müssten.
  • Jede Filiale arbeitet weitgehend autonom. Neuerscheinungen werden zwar zentral vom Verwaltungssitz in San Francisco geordert, wo sich auch das Lager befindet, aber Ausgestaltung und Pflege des Sortiments liegt in den Händen der Buchhändler vor Ort. Sie bestellen direkt bei Verlagen und Großhandel.
  • Das Sortiment variiert zum Teil ganz erheblich. In San Franciscos Stadtteil Laurel Village zum Beispiel werden überdurchschnittlich viele Hardcover verkauft, während nur 2 km weiter in The Marina Gebundenes so gut wie gar nichts geht.
  • Das Online-Geschäft wickelt die Buchhandlung in Opera Plaza in San Francisco ab. Verkauft werden überwiegend gedruckte Titel, die Nachfrage nach E-Books „ist zu vernachlässigen“.

Um das Risiko zu minimieren, gehen jeder neuen Filiale intensive Marktforschung und Standortanalysen voraus. Doch manchmal, sagt Tucker, muss man auch seinem Instinkt folgen. Die Buchhandlung, die Ende Juni in Santa Clara im Silicon Valley eröffnet, ist dafür ein Beispiel. Mit der 400 qm großen Fläche betritt Books Inc. im wahrsten Sinne des Wortes Neuland: Die Buchhandlung öffnet in bester Lage im Zentrum eines neuen Stadtteilbereichs, dessen Wohnungen und Büros zum Teil noch gar nicht fertig sind.

Dass Tucker trotzdem einen Mietvertrag für zehn Jahre unterschrieben hat, hängt auch mit einer Entwicklung in den USA zusammen, von der Indie-Buchhändler in letzter Zeit häufiger berichten: Der Vermieter wollte in dem geplanten Einzelhandelsmix unbedingt auch eine Buchhandlung und war entsprechend zu Zugeständnissen bereit. „Aufgrund der Umstände benötigen wir sicherlich eine Anlaufphase von zwei Jahren, bis uns jeder kennt, aber der Deal war einfach zu gut und der Standort ist perfekt.“

Ein Neuanfang und ein Ende

So sehr sich Tucker auf Santa Clara freut, schwingt auch ein bisschen Wehmut mit, denn wenn sich dort die Türen öffnen, wird im nahe gelegenen Castro, einem Stadtteil von San Francisco, jene Filiale geschlossen, die seinerzeit die erste Neueröffnung nach dem „Chapter 11“ war.

„Castro schreibt seit zehn Jahren fast durchgehend rote Zahlen; wir haben alles versucht, den Standort zu halten, aber irgendwann geht es nicht mehr.“ Typisch für Books Inc. und Tucker, dessen gutes Verhältnis zu seinen Mitarbeitern legendär ist: Alle Castro-Mitarbeiter werden in den anderen Buchhandlungen weiterbeschäftigt.

Mit elf Läden sieht Tucker Books Inc. für die Zukunft gut aufgestellt. Weitere Neueröffnungen schließt er nicht kategorisch aus, sucht sie aber auch nicht aktiv, obwohl es genügend geeignete Standorte gibt, die seinem Grundsatz entsprechen: „Wir werden niemals eröffnen, wo es bereits einen Indie-Buchhändler gibt.“

Anja Sieg sieg@buchreport.de

www.booksinc.net

Fotos: Books Inc.

1 Praxis: Buchklubs

Buchklubs und Lesekreise gehören seit Jahren in vielen US-Buchhandlungen zum Alltag, aber Books Inc. spielt durch seine Fülle des Angebots in einer eigenen Liga. Auf die 11 Filialen verteilen sich 28 Klubs:

  • Jeder Klub deckt einen mehr oder weniger breit gesteckten Themenkreis ab, zum Beispiel: The Foreign Intrigue Book Club (übersetzte Spannungsliteratur), The Blue Stockings (Frauenliteratur), The World Affairs Council Book Club (Zeitgeschichte), The Classics I Forgot to Read Book Club (Klassiker).
  • Jeder Klub kommt einmal im Monat für rund zwei Stunden zusammen, um über ein vorher festgelegtes Buch zu diskutieren; Treffpunkt ist meistens die Buchhandlung, manchmal auch ein Café in der Nähe.
  • Auf alle ausgewählten Titel gibt es einen Nachlass von 15%.
  • Viele Stammkunden sind in mehr als einem Klub aktiv.
  • In den Klubs schwankt die Zahl der Mitglieder zwischen 10 und 25.
  • Parallel zum breiten Angebot von Kinder- und Jugendbüchern sind gleich fünf Klubs dem Nachwuchs gewidmet. Adventurous Readers Book Club (9–12 Jahre), The Flashlight Readers Book Club (8–12 Jahre), The Book Busters Middle Reader Book Club (8–12 Jahre), Alameda’s Young Adult Book Group (ab 13 Jahre), Wild Girls Mother/Daughter Book Club (Mädchen von 9 bis 12 Jahre und ihre Mütter).

2 Praxis: Michael Tucker über Backlistpflege, Besorgungsgeschäft und lokale Einbindung

Handselling: Passionierte Interaktion mit dem Kunden

Dreh- und Angelpunkt im buchhändlerischen Alltag von Books Inc. ist das, was wir Handselling nennen: Die passionierte Interaktion mit dem Kunden. Es ist das Erste, was wir neuen Mitarbeitern beibringen. Über das, was einen guten Buchhändler ausmacht, lässt sich trefflich philosophieren, aber schlussendlich definiert es sich schlicht und einfach darin, den Kunden mit dem richtigen Buch zusammenzubringen. Die Mitarbeiter müssen deshalb lernen, den Kunden und seine Interessen in kürzester Zeit zu „lesen“. Dass Backlisttitel regelmäßig auf unserer Bestsellerliste aufscheinen, ist Konsequenz dieses Anspruchs.

  • Jedes Jahr organisieren wir einen Monat lang in jeder Buchhandlung für die Mitarbeiter den „Backlist Handselling Contest“, der immer für Überraschungen gut ist. Es gewinnt, wer die meisten Backlisttitel verkauft.
  • 2015 ging der Preis an einen Teilzeitmitarbeiter, der 52 Exemplare von Somerset Maughams „Auf Messers Schneide“ verkauft hat.
  • Wir wissen von unseren Buchhändlern, dass sie diesen Wettbewerb sehr ernst nehmen und sich von Jahr zu Jahr darauf freuen … In der Zwischenzeit üben sie!

Kundenservice: Wir besorgen alles

Handselling und Kundenservice gehören untrennbar zusammen. Der Konsument hat angesichts der Fülle des Angebots in den Läden und Online die Qual der Wahl, wo und wofür er sein Geld ausgibt. Bücher sind ein Produkt unter vielen. Allerbester Service ist deshalb ein Schlüsselelement, mit dem wir uns positiv von den Mitbewerbern im Einzelhandel insgesamt abheben können.

  • Wir sind bemüht, dem Kunden jedes gewünschte Buch zu besorgen; dauert es zu lange, verweisen wir ihn im Zweifelsfall an einen anderen Indie-Buchhändler vor Ort, wenn dieser den Titel vorrätig hat.
  • Obwohl wir kein Secondhand-Buchhändler sind, besorgen wir relativ häufig nicht mehr lieferbare oder gebrauchte Bücher für Kunden.
  • Sonderbestellungen spielen generell eine wichtige Rolle. Einen Großteil der Aufträge decken die Läden untereinander ab. Die Warenbestände jeder Filiale sind auf unserer Webseite für alle Mitarbeiter sichtbar.

Lokaler Einsatz: Mit der Nachbarschaft kommunizieren

Alle Filialen sind fest in ihr lokales Umfeld eingebunden und arbeiten eng mit Schulen, Bibliotheken, gemeinnützigen Einrichtungen und sonstigen Organisationen zusammen. Die lokale Karte spielen zu können, ist aus meiner Sicht der wichtigste Vorteil, den ein Standortbuchhändler gegenüber dem Online-Handel hat.

  • Im vergangenen Jahr haben wir 27 Mini-Buchmessen in Schulen organisiert, die substanziellen Umsatz einspielen.
  • Eine beliebte Alternative für Schulen, die keine Buchmesse veranstalten wollen, ist eine Buchparty nach Ladenschluss; am Umsatz wird die Schule prozentual beteiligt.
  • Seit zehn Jahren unterstützen wir ein Förderprogramm weiterbildender Schulen in San Francisco und richten für die Stipendiaten ein festliches Abendessen aus.

3 Praxis: Veranstaltungen

Ein Markenzeichen von Books Inc. sind die Veranstaltungen, für die 2010 der Slogan „Books Inc. Events – The Experience You Can’t Download“ geschaffen wurde, um den Platzvorteil des Standortbuchhandels gegenüber dem Internet hervorzuheben.

  • Jährlich werden rund 1200 Veranstaltungen organisiert.
  • Sie finden nicht nur in den Filialen statt, sondern auch in Schulen, Bibliotheken und Kongresshallen (im Falle prominenter Autoren).
  • Jede Filiale hat ihren eigenen Event-Koordinator, der kleinere Veranstaltungen selbstständig ausrichtet und bei großen Events (beispielsweise mit Spitzenautoren) vom Event- und Marketingteam in der Zentrale unterstützt wird.
  • Einmal in der Woche laden die Filialen in Berkeley, Palo Alto, Mountain View, Laurel Village und Burlingame Eltern und Kinder ab drei Jahren zur Vorlesestunde ein; im Durchschnitt wird die (kostenlose) „Storytime“ von mindestens 25 Kindern besucht.
  • Eines der Top-Ereignisse dieses Jahres ist eine Parallelveranstaltung in allen Läden am 31. Juli ab 9 Uhr aus Anlass der Veröffentlichung von J.K. Rowlings „Harry Potter and Cursed Child“

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