Wo steht Industrie 4.0 – die Allvernetzung von Business-Systemen und -Prozessen – in Deutschland heute? Hinkt Deutschland tatsächlich hoffnungslos hinterher, wie oft vermutet wird? Wer bringt die Innovationen? In Infografiken hat das Statistik-Portal Statista seine zahllosen selbst erhobenen und von verlässlichen Anbietern gesammelten Daten in einem ausführlichen Dossier publiziert. Die Schlaglichter im IT-Channel von buchreport.de.
Eine gute Nachricht für wahlkämpfende Politikerinnen und Politiker vorab: Im Wettlauf um Industrie 4.0 ist der Abstand zwischen Deutschland und den USA offenbar nicht so groß, wie viele Experten und auch die breite Öffentlichkeit argwöhnen. Zumindest die vom Digitalverband Bitkom befragten 559 Produktionsleiter, Vorstände oder Geschäftsführer von Industrieunternehmen ab 100 Mitarbeitern sind der Ansicht, dass Deutschland und die USA beim Wandel von der klassischen zur vernetzten Fabrik weit vorne stehen.
Gemessen am Fortschritt bei der Implementierung von Anwendungen und Strategien zum Thema Industrie 4.0 geben deutsche Unternehmen Gas. Zwar sitzt die weltweite Digital-Elite in den USA, jedoch die übrigen Branchen adaptieren das, was die dortige Digitalindustrie vorgibt, vorlebt und anbietet, viel weniger als in Deutschland. Das hat sicherlich mit der allgemein recht unproduktiven amerikanischen Industrie zu tun. Die setzt stärker auf die vergleichsweise günstige Handarbeit als die durch periodischen Arbeitskräftemangel und zeitweise harte Tarifauseinandersetzungen durchrationalisierte deutsche Wirtschaft. Auch hier ist der Krieg der Vater aller Dinge.
In welchen Bereichen liegen für deutsche Unternehmen die höchsten Potenziale? Der Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) hat seine Mitglieder danach befragt. Die haben klarerweise einen sehr industriell getönten Blick auf diese Frage. Das, was für die herkömmliche industrielle Produktion am bedeutsamsten ist, steht ganz weit oben: Energie-Effizienz, Smart Grid (intelligente Stromnetze) und Technologien zur Stromspeicherung. Aber auch hier folgt mit dichtem Abstand die Industrie 4.0.
Entsprechend haben deutsche Unternehmen die Industrie 4.0 als Feld für Fortschritts-Investitionen zumindest im Blick, wie Bitkom herausfand. Ein gutes Drittel von ihnen plante zum Beispiel 2016, mehr als 5% seines Jahresumsatzes in die Vernetzung und Vollautomatisierung ihrer Geschäftsprozesse zu investieren.
In absoluten Zahlen sind die Werte noch nicht beeindruckend – besonders wenn man sie mit dem vergleicht, was die US-Plattform-Riesen in ihre Produktentwicklung investieren. Aber immerhin geht es stramm nach oben, wenn man einer anderen Bitkom-Untersuchung glauben darf: Die privaten Investitionen in Industrie 4.0 auf der Basis des Jahres 2016 sollen sich bis 2018 bereits fast verdoppeln und 2020 das Zweieinhalbfache der Werte von 2016 erreichen.
Wo liegen die Blockaden für intensivere Investitionstätigkeit? Mit weitem Abstand führt laut Bitkom-Befragung die Sorge vor hohen Investitionskosten die Liste der Bedenken an. Drei Viertel der Befragten aus deutschem Mittelstand und Konzernen nannten das Geld als Hauptgrund – in einer Phase, in der es den deutschen Unternehmen so gut geht wie fast nie in den letzten fünfzig Jahren. An der „Gier“ der Arbeitnehmer kann es nicht liegen – selbst das Bundeswirtschaftsministerium mahnt die deutschen Unternehmer, ihre Mitarbeiter am Fortschritt der Produktivität angemessen zu beteiligen und damit die segensreiche Binnennachfrage weiter zu stimulieren und die „Hypothek“ unzureichender Altersvorsorge für die nachfolgenden Generationen zu begrenzen. Diese können sich ziemlich darauf verlassen, auch in gefragt zu sein: der zweitwichtigste Stein im Weg von Industrie 4.0 ist der Fachkräftemangel.
Trotz des beklagten Mangels an Fachkräften – die werden ja vielfach eigentlich in der Produktion dringend gebraucht – sind die Mitarbeiter hart im Geschirr, wenn es darum geht, die Strategie für Industrie 4.0 zu entwickeln. Immerhin nehmen fast vier von zehn Betrieben Geld in die Hand, um externe Berater zu engagieren. Etwas höher ist der Wert, wenn man die verschiedenen Kategorien von Kooperationspartnern (IT-Wirtschaft, wissenschaftliche Einrichtungen und Start-ups) zusammenzählt. Die Einbindung von Start-ups, auch das zeigen die Zahlen, haben deutsche Unternehmen noch nicht gelernt. Dann eher noch kooperieren mit dem arrivierten und berechenbareren Wettbewerb.
Die deutsche IT-Wirtschaft jedenfalls steht längst Gewehr bei Fuß. Das ergab bereits 2015 eine Umfrage, die Bitkom und Aris gemeinsam durchführten.
Es ist also alles da für Industrie 4.0 in deutschen Betrieben: das Geld, die Infrastruktur an möglichen Kooperationspartnern, eine klar aufgestellte IT-Wirtschaft. Nun sollten Entscheidungen und nachfolgend Umsetzungen passieren.
Das komplette Statista-Dossier „Industrie 4.0 in Deutschland“ gibt es für kurze Zeit zum Gratisdownload.
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