SPIEGEL Online nimmt sich jede Woche den wichtigsten Neueinsteiger, Aufsteiger oder den höchstplatzierten Titel der SPIEGEL-Bestsellerliste vor – im Literatur-Pingpong zwischen Maren Keller und Sebastian Hammelehle. Diesmal: Rebecca Gablés Historienschwarte „Der Palast der Meere“ (Bastei Lübbe) steht in der SPIEGEL-Bestsellerliste auf Platz 3. Diskutiert wird die entscheidende Frage: Und das soll ich lesen?
Hammelehle: Mit Geschichten vom Königshof hatten wir es auf der Bestsellerliste in letzter Zeit häufiger zu tun: Kiera Cass‘ „Selection“, Amy Ewings „Das Juwel“. Die spielen in einer futuristischen Parallelwelt. „Der Palast der Meere“ hingegen ist ein klassisch historischer Roman, angesiedelt im England des 16. Jahrhunderts.
Keller: Was die Frage aufwirft: Kann Elizabeth I. mit den erfundenen Königshäusern mithalten?
Hammelehle: Für die Mädchenbücher von Kiera Cass und Amy Ewing hast du das schöne Wort „Vintage-Zukunft“ erfunden. „Der Palast der Meere“ scheint mir eher ein Buch für die Mütter oder vielleicht auch die älteren Tanten dieser Mädchenbuchleserinnen zu sein – und damit auch ein ästhetisches Gegenprogramm, für das ich von dir nun gern ein Etikett hätte. Die Elizabeth I. dieses Buchs jedenfalls ist nicht gerade eine respektheischende Herrscherin von historischem Format.
Keller: „Der Palast der Meere“ liest sich ein bisschen wie eine Gesamtausgabe englischer Geschichte in einfacher Sprache. Läse man nur die Dialoge, hätte man kaum eine Chance zu erraten, wo und wann das Buch spielt.
Hammelehle: Auf mich wirkt es wie eine Vorabendserie in altertümlichen Kostümen. Wie wahrscheinlich alle Verfasser von historischen Romanen legt auch Rebecca Gablé, die mit bürgerlichem Namen Ingrid Krane-Müschen heißt und aus dem Rheinland kommt, viel Wert darauf, akribisch recherchiert zu haben. Man kann davon ausgehen, dass Konfektionsgrößen und Spanferkelrezepte historisch korrekt sind und wahrscheinlich auch die Temperatur des Brandeisens so ist wie im London des 16. Jahrhunderts. Das allerdings macht noch keinen Roman aus. Die Atmosphäre dieses Buchs ist in etwa die eines Mittelalterspektakels auf dem Rewe-Parkplatz. Wann hast du eigentlich zuletzt für ein Buch das Wort Schinken benutzt?
Keller: In diesem Fall wäre das Wort Dauerwurst besser. Immerhin handelt es sich bei diesem Buch um den fünften Teil einer Reihe, die es seit fast zwanzig Jahren gibt. In diesem wird von der fünften Generation der Familie Waringham erzählt. Und für Band sechs ist auch schon alles parat: Die jüngste Waringham-Schwester hat vorsichtshalber eine ganze Reihe Kinder bekommen.
Hammelehle: Ist Schinken nicht auch eine Dauerwurst? Aber jenseits derartiger, das Fleischerhandwerk betreffender Fragen: Warum sollte ich mich für diese Familie und ihre literarische Verwurstung interessieren? Oder, mit anderen Worten: Und das soll ich lesen?
Keller: Der einzige Grund der mir einfällt, wäre das Bedürfnis, historische Persönlichkeiten von einer vermeintlich authentischen, menschlichen Seite kennenzulernen. Dann wäre es gar nicht so anders, als die „Gala“ zu lesen. Falls auch das korrekt recherchiert ist, weiß man nach dem Lesen zum Beispiel über Elizabeth I., dass sie als Kind Pelikane handzahm machte. Das ist doch nett.
Maren Keller ist Kulturredakteurin des SPIEGEL. Ihr Lieblings-Royal ist natürlich Prinz Harry.
Sebastian Hammelehle ist Kulturredakteur des SPIEGEL. Sein liebster historischer Roman sind die Tagebücher von Samuel Pepys.
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