Sein persönliches Ziel hat Wolfgang Tischer (Foto: privat) erreicht, doch der Gründer von literaturcafé.de ist mit 2013 nicht recht zufrieden. Tischer ärgert sich im Jahresrückblick von buchreport.de über „Naivität, Doppelmoral oder Scheinheiligkeit“ in der Branche.
Das hat mich am meisten gefreut
Dass ich mein im letzten Jahr verkündetes Ziel realisiert und 10 Kilo abgenommen habe! Gerne würde ich jetzt einen Verlag glücklich machen und ein Kochbuch oder einen Ernährungsratgeber empfehlen, die mir dabei geholfen haben. Aber es ging einfach so, etwas bewusster essen und mehr bewegen – vor allen Dingen wandern.
Ansonsten hat mich das Engagement von Juli Zeh gegen die Überwachung der Bürger sehr gefreut. Ich hatte den Eindruck, dass die politisch engagierten Nachkriegsschriftsteller langsam alle wegsterben und die heutigen Autoren nur dann nach der Politik rufen, wenn es um die eigenen Interessen geht.
Es hat mich gefreut, dass Juli Zeh an der Spitze einiger Autoren und Verleger steht, die ihre Stimme gegen den Überwachungsstaat erheben, auch wenn es scheinbar nichts nützt und die geplante große Koalition die Bürger unter Generalverdacht stellt.
Für 2014 wünsche ich mir, dass noch viel mehr Autoren und Verlage ihre Stimme gegen den Abbau der Privatsphäre erheben. Wer technische Vorkehrungen zur Überwachung von Urheberrechtsverstößen befürwortet, der unterstützt den Aufbau eines Bespitzelungssystems und weckt weitere Begehrlichkeiten. „Aber wir leben doch in einer Demokratie und nicht in China“, ist eine gefährliche Relativierung. Überwachung und Ausspitzelung der Bürger tut nicht weh, denn wir merken es nicht am Geldbeutel, sodass es nur wenige interessiert. Das Ganze ist höchstens für ironische und sarkastische Scherze gut („Ich schicke dir das per Mail, damit es auch die NSA weiß, höhöhö!“) Ich halte die Datensammlung für eine der größten Gefahren, denen die Gesellschaft derzeit ausgesetzt ist. Dass man z. B. Zehs Mitstreiter Ilija Trojanow die Einreise in die USA ohne Begründung verweigert hat, ist ein Alarmzeichen für eine freie Gesellschaft, denn Trojanow ist schließlich kein Terrorist.
Das hat mich am meisten geärgert
Das Amazon-Bashing und das Verteufeln des US-Konzerns! Oft hat man den Eindruck, dass nur das Schlechtreden des ungeliebten Konkurrenten die ganze Strategie der deutschen Buchbranche ist.
Als ich jüngst in Basel bei einer Autorenkonferenz ein paar Dinge aufgeführt habe, die Amazon richtig gemacht hat, murrte ein Verlagsvertreter im beleidigten Ton, er habe selten einen solchen Werbevortrag für Amazon gehört.
Ähnliches kenne ich nur von Buchkritiken, die einem nicht passen. Statt inhaltliche Gegenargumente zu liefern, wird versucht, den Kritiker persönlich anzugreifen.
Es kann nicht sein, dass Amazon in Luxemburg sitzt und für E-Books nur 3% Steuern abführt. Es kann nicht sein, dass man die Ansiedlung weiterer Standorte mit öffentlichen Geldern fördert und Amazon hierzulande kaum Steuern zahlt. Und auch über den Umgang mit Mitarbeitern und Lieferanten muss geredet werden. Es gibt klare Punkte, bei denen auch die Politik gefragt ist.
Doch was andere Kundenservice nennen, tut man in der Buchbrache als „Bequemlichkeit“ ab.
Da hat man mit dem Tolino eine vielversprechende Konkurrenzplattform geschaffen, doch dann scheitern die Verhandlungen, diese zu erweitern, und man redet sich das anschließend auch noch als „neue Chancen“ schön. Was soll man da sagen? Niemand sieht den Elefanten im Raum.
Und inhaltlich? Amazon wird von den Verlagen immer gerne die verlegerische Kompetenz abgesprochen. Tatsache ist aber, dass man dort das Potenzial der Self-Publisher entdeckt hat. Und aktuell beginnt Amazon damit, Kurzgeschichten zu verkaufen, während die Verlage immer sagen, der Kunde mag die kurze Form nicht allzu sehr.
Man probiert dort eben viel aus. Auch vieles, das nicht funktioniert. Aber vieles funktioniert. Und nun gibt es für die Verlage das Problem der günstigen selbstverlegten Bücher, die die Kunden lieben. Doch die Verlage philosophieren lieber über notwendige hohe Buchpreise und den Wert ihrer Arbeit, den man dem Leser vermitteln müsse. Aber der oder die hat auf dem iPad nicht nur das E-Book, sondern auch Spiele, die nur 99 Cent kosten. Spiele, an denen Grafiker, Texter, Sprecher, Musiker, Tester und viele andere beteiligt waren. Soll der Kunde da sagen: „Ich lese lieber ein viel zu teures E-Book, denn daran hat ein Unternehmen mit Sorgfalt gearbeitet, um mir ein qualitativ hochwertiges Produkt zur Verfügung zu stellen“?
Und was mich auch geärgert hat: dass die deutschen, schweizer und österreichischen Autorenverbände nach einer wirklich großartigen Konferenz in Basel, bei der ich dachte: „Wow, es tut sich was, die Verbände sind gar nicht so verschnarcht, wie ich aufgrund meiner Vorurteile immer denke“ – dass also nach so eine Konferenz die Verbände eine Erklärung herausgeben, in der ich wieder die dumpfen Phrasen finde wie „Gegen Gratismentalität im Internet“ und „Stärkung des Urheberrechts“. Es hat nur noch „Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein“ gefehlt. Ich hatte geglaubt, dass man nach der unsäglichen Debatte vom letzten Jahr über diese hohlen Sätze hinweg sei.
Denn gleichzeitig freuen sich die Verbände über die tolle Resonanz ihrer Aktivitäten auf Facebook! Ich bin dann fassungslos: Wenn’s scheinbar nützt, dann verwendet man eben gerne kostenlose Netzangebote wie Facebook, die Urheberrechte und Datenschutz mit Füßen treten.
Ja, über diese Naivität, Doppelmoral oder Scheinheiligkeit – ich weiß nicht, was es ist – könnte ich mich sowas von ärgern …
Wie lautet die nächste Frage?
Das habe ich 2013 am liebsten gelesen
Eindeutige Antwort: „Dracula“ von Bram Stoker – und zwar live auf den Stuttgarter Buchwochen und mit der großartigen Lilian Wilfart an meiner Seite. Aufwändig haben wir den Stoker-Text gekürzt, um daraus eine zweistündige Lesefassung zu machen. Licht, Ton und Ambiente – alles war perfekt, und uns und den Zuhörern hat es viel Freude gemacht. Nach all dem konservativ durchsetzten Kitschblut in diesen Vampirromanen tat es gut, den Graf im Original wieder auferstehen zu lassen.
Das steht auf meiner persönlichen Agenda 2014 (Top-3)
Gewicht halten
Noch an weiteren Orten den „Dracula“ lesen. Ich freue mich über Anfragen!
(Noch geheim)
Das muss sich in der Branche 2014 ändern
In der Branche muss sich nichts ändern. Die Branche wird geändert.
literaturcafe.de wurde 1996 von Wolfgang Tischer gegründet. Tischer ist gelernter Buchhändler, war mehrere Jahre für den Buchgroßhändler KNV tätig, arbeitete als Projektmanager einer Internetagentur und hat als Teamleiter Internet bei der Medien und Filmgesellschaft Baden-Württemberg das Land in Internet-Dingen beraten. Als Sprecher und Vorleser bringt er seit Jahren literarische Texte auf die Bühne und konzipiert literarische Veranstaltungen, moderiert Lesungen und andere Live-Veranstaltungen, hält Vorträge über Literatur und Internet, berät viele Verlage, Journalisten – und vor allen Dingen Autorinnen und Autoren.
Vermutlich steckt in diesem Satz die Wahrheit: „In der Branche muss sich nichts ändern. Die Branche wird geändert.“
Wer ist, bitte, „die Branche“? Einzelkämpfer, Kon-kurrenten und -zerne. Alle rennen um die Wette, und allesamt sind sie ja nicht blöd, oder?
Natürlich hat Meister Tischer in allem Recht. Aber ist nicht auch dies wohlfeil?
Was, bitte, sollte „die Branche“ tun? Kurzgeschichten verkaufen? Na prima, endlich gibt’s einen Weg dafür. Übrigens auch für Gedichte.
Ja, Quanti- und Qualitäten von Buch-Händlern, -Verlegern, und -Produzenten wie die der „Content“-Hersteller und -Verbreiter ändern sich. So what? Tempora mutantur. Muss sich halt jeder – wie immer – sein Plätzchen suchen.
Es gibt nicht nur mehr – sondern auch worldwide mehr hervorragende Inhalte als jemals in der Weltgeschichte.
Gut so.
Herr Tischer bringt es auf den Punkt: Die Branche verliert sich im Fingerzeig auf Amazon, anstatt wirkliche Strategien zu entwickeln, wie man diesem großen Konkurrenten begegnen könnte. Denn Fakt ist: Amazon hat die Buchbranche seit Gründung des Unternehmens verändert, hat Self-Publishing und E-Books populär gemacht und hat demnach auch das Recht darauf, die Lohrbeeren (oder Gewinne) für diese Errungenschaften zu ernten. Dabei folgt der Online-Händler nur den Marktveränderungen, die das Internet in unsere Welt gebracht hat (auch in anderen Bereichen wie TV-Streaming etc.) und scheut keine Kosten oder Mühen, weitere Innovationen in den unterschiedlichsten Bereichen voranzutreiben. Wir leben in einer Zeit, in der Märkte neu gestaltet werden, eine Zeit des Umbruchs wenn man so will. Deshalb ist es natürlich verständlich, dass auch hier einige Unternehmen, Buchhändler etc. mit Verlusten zu kämpfen haben und daher zu Recht aufgebracht sind über neue Global Player, die die Märkte durchdringen.
Aber die Realität des Geschäfts gibt nun mal vor, dass sich Unternehmen ihren Platz in jeder Branche verdienen müssen. Wenn sich die Zeiten ändern, muss man sich anzupassen wissen („Survival of the fittest“), sonst bleibt man auf der Strecke.