Automatisierung ist in vielen Industrien das Gebot der Stunde. Auch im Publishing ist sie angekommen. Lektorat und Redaktion und deren Produktionen sind von dieser Automatisierung bislang noch weitgehend ausgenommen. Aber auch in diesen „manufakturartigen“ Bereich, den persönliche Beziehungsnetzwerke und die langsame Entwicklung von Autorenkarrieren und sorgfältige Ausarbeitung von Material prägen, dringt die Informationstechnik unaufhaltsam vor.
Inken Kuhlmann-Rhinow, Marketing Director EMEA der Inbound-Marketing-, Sales-, CRM- und Kundenservice-Software HubSpot, kommentiert im IT-Channel von buchreport.de die aktuellen Entwicklungen von Chatbots in der Redaktion, die aus der Mitte der Branche vorangetrieben werden.
Die Buchbranche steht großen Herausforderungen gegenüber: In Zeiten sinkender Leserbindung und Verkaufszahlen müssen Verlage neue Geschäftsmodelle, Vertriebskanäle und Themenkonzepte finden, um die Nachfrage anzukurbeln. Gleichzeitig sorgen zunehmender Kostendruck und eine immer größere Informationsflut dafür, dass Redaktionen weniger Zeit für ihre wachsenden Aufgaben zur Verfügung steht. Zukunftsweisende Technologien wie Chatbots können dazu beitragen, diese Herausforderungen anzugehen. Die digitalen Assistenten werden bereits in vielen verbrauchernahen Branchen eingesetzt. Denn sie versprechen schnelle Hilfe für die Kunden – und zwar rund um die Uhr und komplett automatisiert. Doch wie weit ist die Bot-Entwicklung mittlerweile fortgeschritten und wo lassen sich die digitalen Assistenten einsetzen? Nachdem wir uns im ersten Teil unserer dreiteiligen Serie mit Chatbots im Kundenservice beschäftigt haben, betrachten wir nun die Einsatzmöglichkeiten in den Redaktionen von Verlagen.
In Verlagen hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Viele Prozesse, beispielsweise in der Produktion, wurden digitalisiert. Doch Lektorat und Redaktion kamen bislang noch ohne umfangreichen Support aus dem IT-Zeitalter aus. Bislang. Denn spätestens seit der letzten Buchmesse in Frankfurt am Main stehen die smarten Bots auch auf der Agenda vieler Verlage. So hat der Accelerator CONTENTshift des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels im Oktober 2018 gleich zwei bot-basierte Geschäftsmodelle aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz zu den Content-Start-ups des Jahres gekürt: Sigmund Talks, ein intelligenter Chatbot für das automatisierte Erstellen von Inhalten, und SummarizeBot mit einer Toolbox für das Extrahieren von Informationen mittels künstlicher Intelligenz und semantischer Analyse.
Digitale Assistenten werden zu redaktionellen Partnern
Die Auszeichnungen für die jungen Bot-Projekte deuten an, wohin die digitale Reise mit Bots in der Erstellung und Analyse von Informationen in Verlagen gehen wird. Zum einen können Bots dabei helfen, Inhalte automatisiert zu generieren – von der Idee über die Struktur bis hin zum Verfassen und Veröffentlichen. Zum anderen machen sie die zunehmende Informationsfülle überschaubarer. Und das ist in der heutigen Content-Flut notwendiger denn je, insbesondere, wenn es sich um hochspezialisierte Fachgebiete wie Medizin oder Jura handelt. Verlage geben jährlich hunderte von Neuerscheinungen heraus. Die Anzahl der eingehenden Manuskripte, Themenvorschläge und der damit verbundenen Trendrecherchen liegt noch einmal deutlich höher. Ohne entsprechende Unterstützung in der Analyse und Textsichtung ist dieses Volumen in Redaktionen kaum mehr zu stemmen. Ebenso können intelligente Chatbots dabei helfen, die Einhaltung von Compliance-Richtlinien im Bereich Autorenrechte, Datenschutz oder ähnlicher Vorgaben nach dem Vorbild von E-Discovery zu gewährleisten. E-Discovery zielt darauf ab, digitale Dokumente, E-Mails, Social-Media-Daten oder Informationen aus Textnachrichten zu sichten und sie auf ihre rechtliche Konformität hin zu überprüfen. Auch diese Prozesse wären bei den steigenden Datenvolumina händisch schlichtweg nicht mehr machbar.
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Genau an dieser Stelle setzen die smarten Chatbots wie der SummarizeBot an. Sie fassen innerhalb von Sekunden digitale Dokumente oder Audio-Inhalte zusammen, sodass Redakteure wertvolle Zeit sparen, die sie wiederum in andere Aufgaben investieren können. Solche Analysen bieten zusätzlichen Mehrwert: So lassen sich komplexe Manuskripte im SummarizeBot beispielsweise nach Schlüsselbegriffen (Keywords) grafisch auswerten oder in Hauptbestandteile des Textes (Key Fragments) untergliedern (Abbildung 1).
Bei dem steigenden Arbeitspensum von Verlagsredaktionen, die jeden Monat ein umfangreiches Volumen an Manuskripten erhalten und sich gleichzeitig noch mit Themenrecherchen beschäftigen müssen, kann diese SummarizeBot-Analyse eine gute Unterstützung bieten. Doch eine sorgfältige Bewertung von Inhalten und Themen durch einen erfahrenen Redakteur können die Tools noch lange nicht ersetzen. Das wird auch deutlich, wenn man sich die Auswertungen des SummarizeBot im Bereich der Belletristik anschaut, die im Vergleich zu Fachtexten deutlich kryptischer ausfallen. Wir haben uns dies einmal am Beispiel des Klassikers „Alice im Wunderland“ angeschaut und ein Stückwerk aus Begriffen erhalten (Abbildung 2).
Hier besteht also noch viel Entwicklungsbedarf hinsichtlich der Fähigkeiten von Chatbots. Und es bleibt abzuwarten, inwieweit Technologien wie Machine Learning, künstliche Intelligenz oder die Algorithmen, die den Bots zugrunde liegen, überhaupt jemals an die Fertigkeiten von Menschen in diesen Bereichen heranreichen werden. Eine Hilfestellung bieten sie allemal bereits in ersten Ansätzen, und das ist sicherlich auch der Anspruch, den Lösungen wie der SummarizeBot in erster Linie erfüllen sollen.
Intelligente Unterstützung bei der Trend- und Themenrecherche
Einen weiteren Anwendungsbereich von Chatbots zeigen aktuell auch redaktionelle Angebote von Medienhäusern auf: So bietet der Nachrichten-Chatbot „Novi“, der von Tagesschau und NDR für das öffentlich-rechtliche Jugendangebot „funk“ entwickelt wurde, tagesaktuelle Nachrichten über den Facebook Messenger, Skype oder Web-Apps. Das Angebot richtet sich momentan an die Zielgruppe der 14- bis 29-jährigen, hat aber das Potenzial, die Nachrichtennutzung über neue Content-Formate und Kanäle attraktiver zu machen. Der Trend, der dahintersteckt, wird auch als „Conversational Journalism“ bezeichnet – sprich die Vermittlung von Inhalten in Form einer Unterhaltung (Abbildung 3). Das heißt „Novi“ liefert nicht nur aktuelle News, sondern beantwortet auch Fragen zu Hintergründen und wird damit zum erklärenden Gesprächspartner. Das kann nicht nur für Konsumenten hilfreich sein, sondern auch für Redaktionen. Man denke nur an die Themen- und Trendrecherche: Wofür interessieren sich bestimmte Lesergruppen? Welche Themen gewinnen aktuell im gesellschaftlichen Diskurs an Relevanz? Gibt es dazu bereits Veröffentlichungen? Und wo finde ich fachlich passende Hintergrundinformationen und belastbare Daten? Ein interner oder branchenübergreifender Verlags-Chatbot könnte zur Quelle für Experteninformationen werden, der auch schwer zugängliche Archiv- und Nischeninformationen zugänglich macht. Denkbar wäre auch ein prozessübergreifender Faktencheck.
Blick in die Zukunft
Ein Blick auf die bereits vorhandenen Chatbot-Beispiele zeigt, dass die digitalen Assistenten mehr können als nur den Bestellstatus im Kundenservice wiederzugeben. Durch ihren bereits jetzt schon enormen Funktionsumfang können sie Redaktionen gezielt bei der Recherche nach Informationen und der Analyse von Daten unterstützen. Ausgestattet mit künstlicher Intelligenz sind sie gar in der Lage, langfristig dazuzulernen und somit eigenständig immer besser und gezielter Trends aufzuspüren und vorzuschlagen. Mit zunehmender Weiterentwicklung wird nicht nur der Funktionsumfang hinsichtlich Messaging-Plattformen, audiovisueller Wiedergabeformate oder Auswertungsmöglichkeiten zunehmen. Auch das fachliche Angebot für den Einsatz in Verlagen wird zunehmen, und es werden neue Anwendungsmöglichkeiten erschlossen. Insgesamt ist diese Entwicklung positiv zu betrachten: Denn Redakteure haben dadurch mehr Zeit zur Verfügung, um sich mit der Entwicklung von Ideen, dem Kontakt mit Autoren und der Qualitätssicherung zu beschäftigen. Betrachtet man all diese Möglichkeiten, so wird deutlich, dass Chatbots das Potenzial haben, die künftige Arbeit von Redaktionen und Verlagen positiv zu beeinflussen. Experimentieren und Ausprobieren ist also angesagt, um herauszufinden, welche Funktionen für die eigenen Aufgaben den größten Mehrwert bieten. Die Devise lautet: „Ran an die Bots!“
Inken Kuhlmann-Rhinow ist als Marketing Director EMEA bei HubSpot verantwortlich für die strategische Entwicklung des Marktführers für Inbound-Marketing, Sales-, CRM- und Kundenservice-Software in den wachsenden Märkten in EMEA, insbesondere in DACH und Frankreich.
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