Agilität, Dynamik und Flexibilität sind unter dem Druck zunehmender Globalisierung und rasant wechselnder Technologien in vielen Unternehmen zu zentralen Themen geworden. Firmen müssen flexibel auf Marktveränderungen reagieren. Können sie aber deshalb ihre Strategie über Bord werfen? – Berater Michael Riermeier beleuchtet im IT-Channel von buchreport.de das Spannungsverhältnis von Strategie und Agilität und zeigt Methoden, beides zu versöhnen.
Unternehmen sollten − und das scheint auf den ersten Blick ein Gegensatz zu sein – trotz flexibler Anpassung an die Märkte ihre Strategie im Fokus behalten. Denn Herausforderungen können sie nur dann erfolgreich meistern, wenn sie in ihrer Organisation stabil und gleichzeitig wandlungsfähig sind.
Es gibt kaum eine größere Verschwendung, als das Falsche gut zu machen.
Daher plädiere ich dafür, ein Mehr an Strategie zu wagen. Denn eine analytisch fundierte und gut durchdachte Strategie ist das Fundament eines Unternehmens. Wenn das Fundament wackelt, kann darauf noch so sorgfältig und flexibel aufgebaut werden, die Einsturzgefahr bleibt bestehen. Von vielen Managern wird der Effekt, den die Strategie auf das gesamte Unternehmen hat, unterschätzt. Davon betroffen sind Menschen, Organisationsstrukturen und Prozesse − von der Führungsebene bis zu den einzelnen Abteilungen − und nicht zuletzt die langfristig geltenden Unternehmenswerte. Strategie ist auch ein Führungsinstrument, da sie allen Mitarbeitern Orientierung, Sicherheit und Klarheit über die Zukunft des Unternehmens sowie die Aufgaben jedes einzelnen vermittelt.
Eine kleine Strategiegeschichte
Der Begriff „Strategie“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet Heeresführung. Im antiken Griechenland war ein Stratege ein gewählter Heerführer (stratos = Heer, agein = führen). Bis Mitte des 20. Jahrhunderts hatte der Begriff hauptsächlich eine militärische Bedeutung: als „die Kunst, militärische Mittel zum Zweck der Politik einzusetzen“. Erst nach dem zweiten Weltkrieg gelangte der Strategiebegriff durch die Spieltheorie in die Wirtschaftswissenschaften. Bei dieser werden Entscheidungen unter Berücksichtigung der Reaktionen anderer Spieler analysiert. Eine Strategie gilt danach als vollständiger Plan, der für alle denkbaren Situationen eine richtige Wahlmöglichkeit aufweist, indem er sowohl eigene Aktionen als auch die der gegnerischen Spieler berücksichtigt.
1980 wurde der Begriff der Wettbewerbsstrategie mit den Untersuchungen von Michael Eugene Porter zu einem zentralen Begriff innerhalb des modernen Managements. Der amerikanische Ökonom bezeichnete Strategie als „eine in sich stimmige Anordnung von Aktivitäten, die ein Unternehmen von seinen Konkurrenten unterscheidet“. In seinem Buch zu Strategiekonzepten beschreibt er sie als „die Kunst und die Wissenschaft, alle Kräfte eines Unternehmens so zu entwickeln und einzusetzen, dass ein möglichst profitables, langfristiges Überleben gesichert wird.“ In der heutigen Unternehmensplanung umfasst Strategie einen zielorientierten, langfristigen Plan, der Schwerpunkte setzt und zeigt, mit welchen Maßnahmen Unternehmensziele zu erfüllen oder eine Vision zu erreichen sind.
Industrie 4.0: Steckt die Strategie in der Krise?
Aktuell ist das große Thema die vierte industrielle Revolution: In der Industrie 4.0 verzahnt sich die Produktion mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik. Die rasant zunehmende Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft verändert nachhaltig die Art und Weise, wie zukünftig in Deutschland produziert und gearbeitet wird: Nach Dampfmaschine, Fließband, Elektronik und IT gibt es nun intelligente Fabriken (Smart Factories). Deren technische Grundlage sind intelligente, digital vernetzte Systeme, durch die eine weitestgehend selbstorganisierte Produktion möglich wird. Menschen, Maschinen, Logistik und Produkte kommunizieren und kooperieren direkt miteinander, Prozesse werden miteinander vernetzt, um die Produktion noch effizienter und flexibler zu gestalten.
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Lässt sich überhaupt noch langfristig planen, wenn sich die Arbeitswelt, die Märkte und die Kunden immer schneller verändern? Meine klare Antwort darauf lautet: Ja! Allerdings folgen zwei „Aber“: Ein Strategieprozess lässt sich nur gestalten, wenn die Beteiligten im Unternehmen einen strukturierten Dialog über die Zukunft und die Ziele miteinander führen. Dieser lässt sich nicht von außen aufdrücken, etwa durch einen Berater, sondern muss von innen kommen. Die große Frage dabei lautet: „Wo wollen wir denn eigentlich hin?“ Meine zweite Einschränkung betrifft die Inhalte und die Umsetzung einer Strategie: Beide dürfen nicht als unveränderliches Gesetz gelten. Stattdessen müssen sie in regelmäßigen Intervallen überprüft und eventuell angepasst werden. Eine wichtige unternehmerische Fähigkeit besteht deshalb darin, strategische Entscheidungen zu verändern, wenn klar ist, dass der eingeschlagene Weg nicht erfolgreich ist.
Je durchdachter und klarer die Strategieentwicklung ist, desto nutzbringender werden die Ressourcen eines Unternehmens – Kapital, Arbeit, Wissen, Intelligenz und Kreativität – eingesetzt.
Wer gibt den Auftrag für die Strategie und wer baut sie?
Um langfristig Erfolg zu haben, müssen Unternehmen den Mut aufbringen, sich aus dem Ist-Zustand herauszubewegen und Neuland zu betreten. Es braucht ein Strategiefundament, das gelegentlichen Erschütterungen standhält. Der Grundstein dafür wird nicht ganz unten, sondern auf der obersten Ebene gelegt: Strategieentwicklung ist Aufgabe der Geschäftsleitung, die jedoch oft mit dem Tagesgeschäft ausgelastet ist. Während es in kleineren Unternehmen häufig an Ressourcen und methodischem Know-how mangelt, beschäftigen große Unternehmen ganze Stäbe mit der Strategieentwicklung und -umsetzung.
Statt ausschließlich auf eine Stabsabteilung zu setzen oder Strategieberater einzukaufen, sollte der Auftrag von der Vorstands- an die Führungs- bzw. Bereichsleiterebene gehen. Dabei muss klar definiert sein, wer welche Verantwortung hat: Der Vorstand gibt „Leitplanken“ vor, die Führungsebene ist für die Strategieentwicklung zuständig, ein Chief Strategy Officer (CSO) − oder in kleineren Unternehmen die Geschäftsführung − koordiniert, begleitet und überprüft den Planungsprozess. Optimal ist es, wenn das Management einen strukturierten Dialog über die Zukunft führt, sich über die Ziele austauscht und mit unterschiedlichen Perspektiven auseinandersetzt. Mein Tipp für die beteiligten Führungskräfte: Diskutieren Sie ehrlich und sachorientiert, streiten Sie sich ruhig und einigen Sie sich. Nehmen Sie Kritik an, kämpfen Sie nicht um die Deutungshoheit und bleiben Sie vor allem immer neugierig.
Wer nicht weiß, wohin er will, kann auch nicht wissen, wie er dort hinkommt
Die zentrale Frage lautet: „Wo stehen wir aktuell und wohin wollen wir eigentlich?“ Um einen Lösungskonsens zu entwickeln und vor allem auch umzusetzen, ist es nötig, ein gemeinsames Problembewusstsein und ein gemeinsames Ziel zu entwickeln. Am Anfang eines Strategiefindungsprozesses sollte deshalb die Definition einer Vision stehen. Wo wollen Sie mit Ihrem Unternehmen in fünf oder zehn Jahren stehen? Möchten Sie Preis-, Qualitäts- oder Innovationsführer sein? Hier geht es nicht um konkrete Zahlen, sondern um Vorstellungskraft und um Leidenschaft für Ihr Unternehmen.
Visionen haben eine viel stärkere interne Wirkung, als eine externe. Einem Kunden nützt die Erkenntnis, wo Sie in fünf Jahren stehen wollen, überhaupt nichts, wenn er mit Ihrem aktuellen Produkt unzufrieden ist. Für Ihre Angestellten hingegen ist es motivierend, in einem Unternehmen zu arbeiten, das eine Vision und damit eine Mission hat. So lassen sich Klarheit und ein Gemeinschaftsgefühl schaffen. Ein positiver Nebeneffekt: Wenn die Mitarbeiter verstanden haben, wohin es gehen soll, nehmen Diskussionen über Richtungsentscheidungen auch in kritischen Phasen ab.
Kein fester, sondern ein beweglicher Plan
Eine der wichtigsten unternehmerischen Fähigkeiten besteht darin, strategische Entscheidungen zu verändern, wenn die bisher eingeschlagene Richtung nicht erfolgreich ist. Um schnell zu reagieren und agil zu bleiben, müssen die Verantwortlichen den Markt dauerhaft erforschen und die Ziele immer wieder anpassen. Sie sollten Mitarbeiter zeitnah über Veränderungen informieren und dabei klar, präzise und beständig kommunizieren. Und wie in der Anfangsphase gehört dazu auch, Meinungsverschiedenheiten zu besprechen und zu beseitigen.
Kein Wunschdenken und blinder Aktionismus
Ein Ziel erreichen zu wollen und fest daran zu glauben, ist eine der Grundlagen von Erfolg. Zu einer Strategie gehört allerdings weitaus mehr: Sie muss schlüssige Aussagen darüber machen, auf welchem Weg und mit welchen Maßnahmen das Ziel erreicht werden soll. „Wir wollen mit unserem Produkt die Nr. 1 werden“ ist ein toller Plan, aber den haben die Wettbewerber auch. Senken Sie beispielsweise in vorschnellem Aktionismus den Preis und verkaufen Ihr Produkt für eine Weile so gut, dass Sie Marktführer werden, zieht die Konkurrenz in der Regel nach. Dann ist Ihr Wettbewerbsvorteil dahin, und letztendlich verlieren alle Anbieter durch das abgesenkte Preisniveau. Dazu kommt: Je länger ein falscher Weg beschritten wird, desto größer ist die Ressourcenverschwendung eines Unternehmens. Im schlimmsten Fall konzentrieren Sie Energie auf Ziele, die unerreichbar oder aber der Mühe nicht wert sind.
Ein Strategieteam steht unter hohem Druck: Trifft es falsche Entscheidungen, besteht die Gefahr, dass Projekte erfolglos verlaufen oder sogar das gesamte Unternehmen in Schieflage gerät.
Offene Diskussionen und eine ausgewogene Mannschaft
An den Beginn eines Strategieprozesses gehört ein offener Dialog, in dem Kritiker angehört und eventuelle Gegner überzeugt werden müssen. Um entscheidende Weichen zu stellen, empfehle ich, Kritiker frühzeitig zu beteiligen und natürlich die optimale Mannschaft ins Boot zu holen. In dieses Boot gehören Menschen mit strategischem Weitblick genauso wie Mitarbeiter, die nah am Kunden sind und wissen, welche Herausforderungen im Tagesgeschäft lauern. Die Strategiegruppe benötigt inhaltlichen Sachverstand, ausreichend Kompetenz, um Methoden, Instrumente und Verfahren anwenden zu können, sowie eine hohe Sozialkompetenz, um schwierige Situationen oder Konflikte zu bewältigen. Nur eine ausgewogene Mannschaft sorgt für einen scharfen Blick in alle Richtungen und dafür, dass das Boot nicht untergeht.
Klarheit in der Sache
Wenn Sie in einen blinden Spiegel schauen, sehen Sie viele Flecken, aber kein klares Bild. Um eine Strategie erfolgreich anzugehen, benötigen Sie aber Klarheit darüber, was Sie erreichen wollen. Statt den alten Spiegel mit viel Energie zu putzen, sollten Sie einen neuen kaufen und sich einen klaren, sachlichen Blick verschaffen. Auf den Strategieprozess bezogen: Stellen Sie sich die folgenden Fragen, um von einer eindeutigen Basis aus starten zu können.
- Welches oberste Ziel soll der Strategieprozess haben?
- Wie würde ein gutes, wie ein schlechtes Ergebnis aussehen?
- Woran wollen Sie den Erfolg messen?
- Was soll hinterher anders sein als bisher?
- Wie ist das Ganze umsetzbar? Das bedeutet in der Praxis: Wie lassen sich Strategie und Umsetzung integrieren?
- Wie lässt sich das große Ziel auf die einzelnen Bereiche herunterbrechen, und was bedeutet das für die einzelnen Abteilungen?
- Könnte es Zielkonflikte zwischen Abteilungen geben? Falls ja: Wie lassen die sich lösen?
- Was bedeutet das für jeden einzelnen Mitarbeiter?
Jeder Bereich eines Unternehmens muss die Handlungskonsequenzen verstehen und umsetzen, die aus der Strategie für ihn erfolgen. Die Strategieentwicklung darf jedoch nicht auf der Abteilungsebene begonnen werden, denn der Versuch, die Vorstellungen der einzelnen Bereiche zusammenzusetzen, wird in der Regel nicht klappen und ergibt deshalb auch keine Gesamtstrategie. Stattdessen bedarf es einer übergeordneten Strategie, die auf der Führungsebene verankert sein muss. Erst dann können die einzelnen Bereichsstrategien ausgearbeitet werden.
Fachkompetenz vor Emotion
Um eine schlüssige Strategie zu entwickeln, fehlt es in Unternehmen oft an den notwendigen Informationen oder dem erforderlichen Fachwissen. Das zeigt sich dann in endlosen Strategiemeetings: Persönliche Meinungen ersetzen fachliches Wissen, im Vordergrund stehen Emotionen statt zielführender Informationen. Strategisches Handeln kann so aber nicht funktionieren, denn die einzelnen Schritte müssen sachgerecht und lösungsorientiert sein. Deshalb sollten Sie das im Unternehmen verfügbare Expertenwissen nutzen und − sollte es intern nicht vorhanden sein − extern einkaufen. Nur so können Sie erfolgversprechende Lösungen entwickeln und geeignete strategische Maßnahmen ergreifen.
Aktiv kommunizieren
Was nützt die tollste Strategie, wenn sie am Ende nicht gelebt wird? Um die Mitarbeiter mitzunehmen, ist eine klare Kommunikation wichtig. Allzu oft versickern für den Veränderungsprozess wichtige Informationen und kommen nicht bei allen Beteiligten an. Das ist Gift innerhalb eines Unternehmens: Mitarbeiter fühlen sich ausgeschlossen, die Motivation sinkt, die Arbeitsergebnisse werden schlechter. Erst wenn alle Beteiligten inhaltlich ins Bild gesetzt werden und vom Strategieprozess überzeugt sind, kann es zu echten, gelebten Veränderungen kommen. Nur mit einer aktiven Kommunikation lassen sich Ziele und Abläufe transparent gestalten, realistische Erwartungen erzeugen sowie in Krisensituationen Probleme verständlich darstellen und eventuelle Ängste der Beteiligten minimieren.
Schuldzuweisungen vermeiden
Hat sich eine Strategie als erfolglos erwiesen, ist eine Fehleranalyse unumgänglich. Hierbei muss ein Klima geschaffen werden, in dem sowohl der Unternehmer als auch die Mitarbeiter offen zu eigenen Fehlern stehen können. In einer Unternehmenskultur, in der jeder Fehler zu persönlichen Schuldzuweisungen führt, vermeiden die Mitarbeiter aus Angst oft eine exakte Analyse. Nur wenn Sie als Unternehmer oder Führungskraft einen konstruktiven Umgang mit eigenen Fehlern vorleben, können Sie darauf vertrauen, dass Ihre Mitarbeiter sich für Veränderungen einsetzen. Dazu gehört auch, ihnen zuzuhören, wenn sie Sie auf Probleme in der Praxis hinweisen.
Mit freundlicher Genehmigung von Raum Für Führung, Frankfurt.
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