Eine Lehre aus der Coronakrise: Stark digitalisierte Firmen kamen tendenziell besser durch als andere und konnten zum Teil sogar gegen die Krise wachsen. Wieso das so ist und was genau IT und Digitalisierung mit Resilienz, also mit Krisenfestigkeit zu tun haben, erklären die Change- und Technologie-Berater Carsten Hentrich und Michael Pachmajer im IT-Channel von buchreport.de.
Mit IT ein resilientes Unternehmen werden
Die Coronakrise stellt viele Unternehmen radikal und konfrontativ vor die Frage, wie sie widerstandsfähiger gegenüber ungeplanten Ereignissen werden. Oder anders ausgedrückt: Wie bauen Unternehmen die notwendigen Fähigkeiten auf, um besser auf künftige Krisen vorbereitet zu sein? Seien diese bedingt durch neue Technologien, politische Ereignisse, disruptive Geschäftsmodelle infolge der Plattform-Ökonomie, veränderte Kundenerwartungen infolge des Klimawandels – oder eben verursacht durch einen Virus.
Agile Problemlösungskompetenz als Teil der Unternehmenskultur
Unternehmen, die agile Problemlösungskompetenzen aufgebaut haben, sind in der aktuellen Lage durchaus im Vorteil. Also Unternehmen, die eine Kompetenz haben, schnell auf ungeplant auftretende Problemstellungen zu reagieren, indem sie neue kreative Lösungen finden, und eben nicht in Schockstarre verharren, sondern kreative Lösungskonzepte schnell in Handlungen übersetzen. Unternehmen, die in der Lage sind, das zu tun, ihre Kernkompetenzen zu nutzen und sie auf neue Einsatzgebiete zu übertragen, sind klar im Vorteil und damit widerstandsfähiger. Das erfordert Mut und Experimentierfreude sowie Fertigkeiten in agilen Problemlösungsmethoden, die in der Unternehmenskultur tief verankert sein müssen.
Auf Seiten der Geschäftsmodelle beobachten wir, dass digitale Geschäftsmodelle im Vorteil sind, da sie nicht so stark von globalen Lieferketten abhängig sind. Ein rein digitaler Service skaliert gerade durch seine Unabhängigkeit von der physischen Produktwelt, die in der aktuellen Krise mit Einbrüchen bei Logistik, Nachfrage und Produktion zu kämpfen hat. Wer schon seit längerem eine digitale Servicewelt rund um die eigenen Produkte aufgebaut hat, sieht sich jetzt im Vorteil. Und Service-Plattformanbieter erleben aktuell einen Boom, u.a. im umkämpften Food-Delivery-Geschäft, das infolge der Ausgangsbeschränkungen in der Coronakrise massiv befeuert wird.
Digitales Geschäft über Nacht?
Einige Händler dagegen versuchen verzweifelt mal eben über Nacht auf Online umzustellen. Selbst im B2B-Geschäft findet eine zwanghafte Verlagerung in den Online-Vertrieb mittels digitaler Kommunikationswerkzeuge statt. Von heute auf morgen wird kurzerhand Zoom oder MS Teams eingeführt, vorbei an allen Sicherheitsbedenken, über die man schon seit Jahren diskutiert. Die Digitalisierung der Kundenschnittstelle hat in wenigen Wochen alle Branchen durchsetzt. Eitelkeiten und politische Machtstrukturen, die vorher die Entwicklungen blockiert haben, sind auf einmal weggefegt. Vertriebsleiterinnen und Vertriebsleiter, die vorher das Online-Geschäft boykottierten, da sie um ihre eigenen Umsätze bangten, haben auf einmal keine Wahl mehr.
Für die Realisierung digitaler Geschäftsmodelle müssen Unternehmen jetzt anfangen, die technologischen Grundlagen zu schaffen. Die IT ist das Betriebssystem für die digitalen Geschäftsmodelle und bekommt damit einen anderen Stellenwert – wissend, dass das nicht von heute auf morgen geht: Der Umbau zu einer modularen IT-Architektur nach dem Lego-Prinzip und zu agilen, iterativen Arbeitsweisen dauert Jahre. Bereits seit Jahren wird viel Geld in die Erneuerung von IT-Systemen gesteckt – hauptsächlich, um bestehende Prozesse zu automatisieren und damit Prozesskosten zu sparen. Allerdings werden Unternehmen dadurch nicht innovativer, entwickeln keine neuen Geschäftsmodelle, werden eben nicht zukunftsfähiger. Jetzt aber wird die Technologie die tragende Säule des Geschäfts.
Resilienzprinzip muss sich auch in IT widerspiegeln
Modulare IT-Strukturen bilden den Gedanken eines kollaborativen Netzwerks in der IT ab. Einzelne Module können autonom entwickelt, betrieben und innoviert werden. Die Module sind miteinander vernetzt. Dadurch werden Innovationskraft und Lösungsgeschwindigkeit der IT erhöht, die kritische Faktoren für die Widerstandsfähigkeit des Unternehmens sind.
Neue digitale Geschäftsmodelle werden kontinuierlich neu erfunden und müssen von der IT abgebildet und umgesetzt werden. Damit muss sich das Resilienzprinzip der agilen Problemlösungskompetenz in der IT in einem agilen IT-Betriebsmodell widerspiegeln. Die modulare IT-Architektur bildet auch Redundanzen ab. Fällt ein Server aus und eine kritische Funktion fällt dadurch weg, muss ein anderer Server übernehmen – ein Grundprinzip moderner Cloud-Architekturen.
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Das Immunsystem der IT ist die lernende Sicherheitsinfrastruktur. Deshalb werden Mechanismen etabliert, um diese zu stärken. Ein gutes Beispiel dafür ist der Chaos Monkey bzw. das Konzept des Chaos Engineering von Netflix: Netflix hat ein dediziertes internes Team, das kontinuierlich aktiv daran arbeitet, das Produktivsystem zu crashen, einfach herunterzufahren und damit dem Unternehmen zu schaden. Der Rest des Netflix-Teams muss das System gegen die Angriffe des Chaos Monkeys immunisieren. Der Ausnahmezustand einer Pandemie als Normalität.
Die Buchbranche muss IT neu denken
Für die Buchbranche heißt das, schnell Innovationskompetenz zur Vermarktung von Inhalten in verschiedensten digitalen Formaten aufzubauen und in die nötigen technologischen Strukturen zu investieren. Insbesondere bedeutet das, nicht den Fehler zu machen, die alte IT eines Medienunternehmens mit viel Aufwand zu renovieren, sondern vielmehr eine ganz neue Plattform-IT parallel aufzubauen. Mit ITlern idealerweise, die ganz andere Kompetenzen haben als in der alten Welt. Die als Innovatoren wirken und die Potenziale von disruptiven Technologien schnell in Geschäftsmodelle übersetzen können.
Um es nochmals deutlich zu machen: Es geht nicht darum, die Prozesse eines klassischen Verlagsgeschäfts zu digitalisieren. Es müssen nutzerzentrisch und an den individuellen Bedürfnissen der Konsument*innen orientiert ganz neue digitale Medienformate und Inhalte über digitale Services vermarktet werden. Dafür braucht es eine neue Plattform-IT-Kompetenz.
Neue digitale Geschäftsmodelle schnell zu erfinden, zu verproben und zu skalieren auf Basis einer adäquaten IT im Unternehmen, die auch die nötige Umsetzungsgeschwindigkeit mitgehen kann, ist demnach von zentraler Bedeutung hinsichtlich der Widerstandsfähigkeit für Krisen. Der parallele Aufbau einer Plattform-IT versetzt die Akteure in der Buchbranche schneller in die Lage, neue digitale Ideen einfacher zu realisieren.
Carsten Hentrich und Michael Pachmajer sind Gründer und Geschäftsführer von d.quarks, einer Plattform für die unternehmerische und gesellschaftliche digitale Transformation. Beide sind Dozenten an der Goethe Business School und Autoren von „d.quarks. Der Weg zum digitalen Unternehmen” (Murmann, Managementbuch des Jahres 2016). Sie sind außerdem Gastgeber des Podcasts „Der Moment der Wahrheit – Menschen machen Digitale Transformation“.
Michael Pachmajer / Carsten Hentrich: CoronaX by d.quarks. Resilienz erhöhen nach der Krise
- regelmäßig ergänzte E-Book-Serie im Online-Shop des Murmann Verlags
- ab 31.07.2020 auch als vollständiges E-Book im Handel erhältlich
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