Digitalität ist mehr als eine Frage von Jung und Alt. Sie ist eine Frage der Einstellung. Wer nach dieser Mentalität sucht, findet sie häufig in Start-ups. Wie lässt sich dieses Start-up-Mindset auch in etablierte Unternehmen einpflanzen?
Wie man Unternehmen und Menschen durch Veränderungsprozesse führt, dafür gibt es keine Gebrauchsanleitungen. Zumindest Stefanie Peters hat diese Erfahrung gemacht. Im IT-Channel von buchreport.de teilt sie ihre Beobachtungen aus den Start-ups, die sie schon beraten hat, und zeigt, was andere Unternehmen von ihnen lernen können.
1999 begann ich, mich als Beraterin bei der Boston Consulting Group mit den Erfolgsfaktoren des E-Commerce zu beschäftigen. Damals besuchte und interviewte ich viele junge Start-ups, darunter auch den Ebay-Klon Alando, das erste Start-up der Samwer-Brüder. 2006, nach meinem Ausstieg bei BCG, ging ich als erste Mitarbeiterin zu einem Start-up namens Jajah, das kostenlose Voice-over-IP-Telefonie anbot. Anschließend war ich bei der Online-Partnervermittlung be2 verantwortlich für das Geschäft in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Durch dieses Engagement habe ich das digitale Start-up-Geschäft von mehreren Seiten kennengelernt. Und bis heute unterstütze ich Start-ups, auch ehrenamtlich.
Besonderheiten bei Start-ups
Start-ups zeichnen sich durch folgende strukturelle Besonderheiten aus:
- Sie haben ihren Unternehmenskern in der Technologie, ein ganz wesentlicher Unterschied zu den meisten etablierten Unternehmen.
- Sie arbeiten meist vollkommen agil, das ermöglicht eine extrem hohe Innovationskraft. Das heißt, sie erfinden sich jeden Tag ein Stück weit neu. Sie testen, verwerfen, lernen dazu, ändern ihr Produkt und ihr Geschäftsmodell, bis es passt und ihre Kunden messbar zufrieden sind.
- Sie arbeiten so gut wie hierarchiefrei und ganzheitlich. Das heißt, jeder denkt bei den Themen der anderen mit, fühlt sich in unternehmerischer Weise zuständig, dass am Ende alles funktioniert. In Start-ups gibt es kein Silodenken, sondern echte cross-funktionale Teamarbeit.
- Sie müssen meist mit sehr begrenzten Ressourcen auskommen und daher extrem kreativ sein, um ihre Ziele zu erreichen. Das macht sie erfinderisch und zwingt sie, ganz nah am Kunden zu bleiben, um tatsächlich Geld zu verdienen. Diese Zentrierung auf die Kunden geht leider bei größeren Unternehmen oft verloren.
Wenn digitalen »Vorturnern« der Rückhalt fehlt
Um genug von diesen Besonderheiten in etablierte Unternehmen zu implantieren, reicht es nicht, einige jüngere Mitarbeiter – vielleicht sogar mit Start-up-Erfahrung – in Führungspositionen zu bringen. Es ist leider für junge Menschen ziemlich schwierig, bestehende Strukturen zu verändern. Besonders dann, wenn nicht die gesamte Führungsebene dahintersteht und ihrerseits agile Methoden und Arbeitsweisen einführen möchte. Das Gegenteil trifft öfter zu: erfolgreiche Start-ups, die von sehr erfahrenen Gründern in einem Alter von mehr als 50 Jahren geführt werden.
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Zwar bringt eine neue Generation ein neues Mindset und neue, digitale Kompetenzen mit. Doch diese in einem etablierten Unternehmen wirklich einzusetzen, ist nicht einfach, wenn die Unternehmenskultur nicht dazu passt. Dann werden die neuen „Digitalen“ nicht rangelassen. Viele CDOs (Chief Digital Officers) werfen nach weniger als zwölf Monaten das Handtuch – obwohl viele ehemalige Start-up-Gründer unter ihnen sind.
Organisationen auf der Reise in die digitale Welt
Einige Großunternehmen wie Telekom, Mercedes und Siemens versuchen, durch Start-up-Inkubatoren ein anderes Denken in der Unternehmensgruppe zu etablieren. Das ist ein denkbarer erster Schritt in die richtige Richtung, aber kein ausreichender. Ein Inkubator darf nämlich nicht als Feigenblatt dienen, damit man das Kerngeschäft nicht anfassen oder gar kannibalisieren muss.
Doch genau darauf kommt es an: Die etablierte Organisation muss „digitalisiert“ werden – durch neue Geschäftsmodelle, neue Technologien, neue Prozesse, neue Tools, die erforderlich sind, um Kundenansprüchen und Effizienzzielen zu genügen. Die zentrale Herausforderung ist es schließlich, die Unternehmenskultur so zu verändern, dass die Mitarbeiter auf die Reise in die digitale Welt mitkommen. Diese Veränderung vernachlässigen meines Erachtens viele Unternehmen vor lauter cooler Start-up-Aktivität sträflich, was meist dazu führt, dass die Teams sich in Parteien aufspalten nach dem Muster „wir gegen ihr“, „neu gegen alt“.
Das Mindset in der Organisation in dieser Richtung zu verändern, ist ein langer und meist mühsamer Prozess. Ein erster Schritt kann es sein, agile Arbeitsweisen einzuführen, nicht nur in der IT. In allen Bereichen sind cross-funktionale Teams sinnvoll, zum Beispiel wenn es darum geht, neue Ideen und Projekte in Angriff zu nehmen.
Ohne interne Kommunikation kein innerer Wandel
Es gilt diesen Schritt zur agilen Organisation hin mit sehr guter interner Kommunikation zu begleiten: Warum machen wir das? Ist das nur ein Modetrend? Was haben wir davon? Was ändert sich für mich als Mitarbeiter konkret ab morgen? Hier müssen Vorstand, Geschäftsführung und die gesamte Führungsebene als Vorbild agieren und mit Mut neue Wege gehen, das ist ein ganz wesentlicher Erfolgsfaktor.
Wenn ich im Unternehmen ein paar Schlüsselpersonen habe, die als Treiber der digitalen Transformation fungieren können, kann dieser Prozess ohne externe Unterstützung gelingen. Dazu bedarf es einiger Erfahrung in Sachen Digitalität und einiger Kenntnisse in agilen Methoden. Schließlich ist Expertise im Change Management erforderlich. Menschen durch einen Veränderungsprozess führen zu können, das kann man nicht nachlesen, das muss man einfach – am besten mehrmals – selbst getan haben.
Externe Berater und Coaches können zusätzlich helfen, erst mal den richtigen Weg zu skizzieren, eine Roadmap aufzusetzen und mit ihrer Expertise unnötige Fehler zu vermeiden, etwa den, sich zu viel auf einmal vorzunehmen, falsche Tools zu implementieren oder sich unrealistische Ziele zu setzen. Moderne Berater verstehen sich als Enabler, das heißt sie geben Impulse, unterstützen aber nur solange, wie die Mitarbeiter es brauchen, und lassen los, sobald der Change selbsttragend ist.
Wo anfangen mit dem »inneren Start-up«?
Sinnvollerweise startet ein Unternehmen den Change mit einem kleinen Projekt und sucht dafür nach echten Experten, die sich voll und ganz mit dem Thema und dem Kunden identifizieren und pragmatisch und flexibel an die Aufgabe herangehen. Die Suche nach der passenden Unterstützung ist vielleicht etwas aufwändiger, doch sie lohnt sich: Die kleinen Beratungen sind oft viel engagierter und pragmatischer dabei und wollen messbare Ergebnisse liefern.
Dann würde ich einen Workshop in kleinem Kreis (maximal 10 Personen) zu einem konkreten Thema vereinbaren. Dabei können die Berater zeigen, was sie können, wie sie sich mit der Aufgabe auseinandersetzen, wie feinfühlig sie auf die Mitarbeiter eingehen und wie ergebnisorientiert sie einen Prozess steuern. Die Atmosphäre und die Energie, die in diesen Stunden entsteht, ist ein guter Frühindikator für die Qualität der weiteren Zusammenarbeit.
Genauso wichtig ist es, die Personen im Unternehmen, die digitale Visionen teilen und nicht nur Schaumschläger sind, zu identifizieren und zu ermutigen. Dies kann gelingen, indem man ein agiles Projekt zur Entwicklung der digitalen Vision und Strategie des Unternehmens startet – wer daran mitarbeitet und sich inhaltlich engagiert, ist vermutlich geeignet. Konkrete Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Deadlines zeigen sehr schnell, wer nur redet und wer anpackt.
Am besten ist der Einsatz eines diversen Teams, dessen Mitglieder einander befruchten, indem sie die unterschiedlichen Sichtweisen im Unternehmen vertreten – sowohl funktional als auch charakterlich: vom Bedenkenträger zum Antreiber, vom Anpacker zum Strategen, vom Techie zum Marketeer, vom alten Hasen zum jungen Digital Native. Daraus entsteht weit mehr als eine Strategie, das kann bereits der Anfang einer gelungenen Transformation sein.
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