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Wie Hippies das Internet zerstörten

US-Informatiker Moshe Y. Vardi. Foto: privat.

US-Informatiker Moshe Y. Vardi. Foto: privat.

Das Internet ist für viele kein Ort zum Wohlfühlen mehr. Fake News, Hasskommentare, Cambridge Analytica, das Erstarken antidemokratischer Demagogen und das schrankenlose Wachstum der Plattformen sind nur einige Stichworte. Wie wurde das Internet zu dieser Wüste?

Verantwortlich dafür ist ausgerechnet ein Milieu, dem unlautere Absichten fremd waren, meint US-Informatikprofessor Moshe Y. Vardi: Die Hippies. Deren Postulat „freier“, das heißt kostenloser Informationen habe die Geschäftsmodelle inspiriert, die Plattformen zu Datenkraken und zu Sammelbecken unkontrollierter verbaler Gewalt machen.

Wenn wir vom „Internet“ sprechen, beziehen wir uns nicht nur auf das globale System der vernetzten Computernetze, sondern auch auf die Anwendungen, die dieses Netzwerk nutzen, einschließlich

  • E-Mail
  • Web
  • Suchmaschinen
  • Social Media

und dergleichen. Um zu verstehen, wie dieses Internet wurde, was es heute ist, müssen wir die Entstehung von Online-Communities Anfang und Mitte der Achtziger Jahre noch einmal Revue passieren lassen. Betrachten wir zum Beispiel „The Well“ („der Brunnen“), die erste virtuelle Community. Sie begann 1985 als Online-Pinnwand und bezeichnete sich selbst als „eine beliebte Wasserstelle für klare und spielerische Denker“. Einer der Gründer des Well war Stewart Brand, bekannt als Herausgeber des Whole Earth Catalog, eines amerikanischen Gegenkulturmagazins und Produktkatalogs, der seit Ende der 1960er Jahre regelmäßig erscheint. Mit „Gegenkultur“ ist eine westliche Anti-Establishment Kulturbewegung gemeint, deren Mitglieder als „Hippies“ bekannt waren. Das heutige Internet mit seiner techno-utopischen Kultur ist so mit der Gegenkulturbewegung der 1960er Jahre verbunden.

Die falsch verstandene Forderung nach Gratiskultur

In einer Hacker-Konferenz 1984 sagte Brand zu Steve Wozniak, einem der Gründer von Apple: „Informationen wollen frei sein, weil die Kosten für ihre Veröffentlichung immer niedriger werden. Der Satz „Information will frei sein“, bedeutet, dass Menschen kostenlos auf Informationen zugreifen können sollten. Er ist zu einer Ideologie vieler Technologie-Aktivisten geworden, die jede Einschränkung des offenen und freien Zugangs zu Informationen kritisieren. Völlig vergessen ist heute die Tatsache, dass dieser Satz aus dem Zusammenhang gerissen ist: Der vorhergehende Satz von Brand war nämlich „Information will teuer sein, weil sie so wertvoll ist.“

Natürlich wollen Informationen nichts. Es sind Menschen, die wollen, dass Informationen frei sind, aber „Informationen wollen frei sein“ passte sehr gut zu dem Anti-Establishment-Charakter des Techno-Utopismus. Als das Internet und das World Wide Web Anfang der Neunziger Jahre explosionsartig wuchsen, wurde die Gratiskultur zum Mantra.

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Aber Gratiskultur bedeutete, dass Information, anstatt einen Informationsmarkt zu schaffen, zur „Allmende“ geworden ist, zu einer unregulierten gemeinsamen öffentlichen Ressource, die, wie von Garrett Hardinin einem einflussreichen Artikel von 1968 zeigt, der „Allmendeproblematik“ unterworfen ist. Diese Formulierung bezeichnet das Phänomen, dass sich der einzelne Nutzer, der entsprechend seinen eigenen Interessen handelt, konträr zum Gemeinwohl verhält. Denn natürlich lieben wir alle kostenlose Informationen. Die Frage ist, ob diese Art von Informationsfreiheit gut für die Gesellschaft ist.

Märkte und Pseudo-Märkte

Märkte, in denen Verkäufer und Käufer die Preise für Waren und Dienstleistungen bestimmen, gehören zu den größten Erfindungen der menschlichen Zivilisation, obwohl die Diskussionen über die Vor- und Nachteile von freien Märkten, koordinierten Märkten, geregelten Märkten und dergleichen nicht abreißen. Aber unabhängig von diesen Details bieten uns die Märkte einen Mechanismus zur Ermittlung des Wertes von Waren und Dienstleistungen. Der Kommunismus ist der berühmteste Versuch des 20. Jahrhunderts, marktfreie Volkswirtschaften aufzubauen. Er brachte Zwang in kolossalem Ausmaß und unfassbare Verluste an Menschenleben mit sich. Das Internet ist der zweite große Versuch, eine marktfreie Ökonomie aufzubauen, diesmal beschränkt auf Informationen. Als sich Ende der Neunziger und Mitte der 2000er Jahre die Themen Websuche und Soziale Medien als Geschäftsfelder herauskristallisierten, war die Informationsfreiheit bereits ein geheiligtes Internet-Prinzip. Die Unternehmen passten sich daran an und entwickelten sich folglich zu Werbeunternehmen. Ethan Zuckerman, Direktor des MIT Center for Civic Media, nannte die Gratiskultur „Die Erbsünde des Internets“.

Die Illusion des »freien« Internets

Warum ist die Informationsfreiheit so ein schrecklicher Fehler? Zunächst einmal ist Informationsfreiheit natürlich eine Illusion. Googleund Facebooksind erstaunlich profitable Unternehmen. Woher kommen diese Gewinne? „Nicht von mir“, sagen Sie vielleicht, „die Inserenten zahlen, um zu werben.“ Aber Werbung ist nur der Aufwand, den Unternehmen treiben müssen, um Umsatz zu erzielen, und die Werbetreibenden schlagen diesen Werbe-Aufwand einfach auf den Preis der von ihnen angebotenen Waren und Dienstleistungen. Statt eines transparenten Marktes, in dem offen deklarierte Preise die Kunden über den Wert von Produkten orientieren, haben wir also einen undurchsichtigen Markt, in dem die Verbraucher die Internetunternehmen im Wesentlichen durch eine unsichtbare Steuer finanzieren.

Aber die Intransparenz des Marktes ist nur ein Problem. Wie wir heute wissen, benötigen Werbetreibende im Internet Daten, um eine effektive Auslieferung von Anzeigen zu gewährleisten. Damit bezahlen wir nicht nur mit der erwähnten unsichtbaren Steuer für „kostenlose Informationen“, sondern auch mit unseren persönlichen Daten. Das Internet ist zu einer riesigen Überwachungsmaschine geworden.

Eine späte Entschuldigung

In einem kürzlich erschienenen Artikel des New York Magazine entschuldigte sich das „Internet“. Der Artikel listet alles auf, was mit dem Internet schief gelaufen ist. Stichwortgeber sind einige der Architekten, die es gebaut haben. Er ist lesenswert. Aber die eigentliche Frage dahinter ist die, ob es nicht zu spät ist, das werbefinanzierte Geschäftsmodell aufzugeben und ein besseres Internet aufzubauen. Das ist, glaube ich, eine der wichtigsten Fragen in der Informationstechnik.

Aus 

 

Moshe Y. Vardi ist Karen Ostrum George Distinguished Service Professor für Computational Engineering und Direktor des Ken Kennedy Institute for Information Technology an der Rice University, Houston.

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